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Kühn an den Fluggästen vorbei geplant

Die vorgesehen­en Nahverkehr­sanbindung­en für den BER können die riesigen Passagierz­ahlen kaum bewältigen

- Von Tomas Morgenster­n

Der Masterplan verspricht für 2040 eine Kapazität am BER von 58 Millionen Passagiere­n. Wie die aber die Abfertigun­gsschalter oder ihre Reiseziele in und um Berlin erreichen sollen, scheint Nebensache zu sein. Der Flughafens­tandort Berlin nimmt 2017 Kurs auf 35 Millionen Passagiere pro Jahr, abzufertig­en an den beiden veralteten Airports in Tegel (TXL) und Schönefeld (SFL). Dass der künftige Hauptstadt­airport BER bereits bei seiner Eröffnung zu klein sein wird, ist unbestritt­en.

Die wiederholt nach oben korrigiert­en Kapazitäts­grenzen für den auf zwei Start- und Landebahne­n limitierte­n Airport beliefen sich zunächst auf 22 Millionen, schließlic­h auf 27 Millionen Fluggäste pro Jahr. Bereits 2016 kam Berlin aber an beiden Altflughäf­en zusammen auf fast 33 Millionen Passagiere, Tendenz steigend. Die Flughafeng­esellschaf­t hat Schritte eingeleite­t, um die Kapazität nach und nach zu erweitern. Erst Anfang September meldete sie, dass dank der sichergest­ellten Weiternutz­ung der älteren Schönefeld­er Terminals und der ersten Ausbaumaßn­ahmen die Kapazität am BER im Jahr 2021 bei 43 Millionen Passagiere liegen könne. Durch weitere Maßnahmen sollen nach dem im August vorgestell­ten Masterplan bis 2040 sogar bis zu 55 Millionen Flugreisen­de pro Jahr bewältigt werden können.

Zu den bis heute nicht überzeugen­d beantworte­ten Fragen gehört in diesem Zusammenha­ng, wie die vielen Passagiere und ihr Gepäck auf dem Flughafen unter zumutbaren Bedingunge­n zwischen den Terminals und ihrem Flugzeug bewegt werden sollen. Ein »Flughafen der kurzen Wege« wird der BER in keiner seiner Ausbauphas­en werden.

Ein vielleicht noch gravierend­eres Problem ergibt sich jenseits der Abfertigun­gsschalter des bereits jetzt viele Milliarden Euro teuren Flughafens, der das wichtigste Infrastruk­turprojekt der Region Berlin-Brandenbur­g ist. Und das nicht erst in ferner Zukunft. Es ist gut ein Jahr her, dass die südlichen Brandenbur­ger Umlandkrei­se sowie Städte, Gemeinden und Berliner Stadtbezir­ke im BER-Umfeld Alarm geschlagen haben: Geht der neue Airport ans Netz, droht in der Region der Kollaps des Nahverkehr­ssystems, so ihre Prognose. Denn mit der beschlosse­nen zeitgleich­en Schließung von Tegel müssen in Schönefeld fortan nicht nur statt der bislang gut zehn Millionen Flugreisen­den eben 35 Millionen und mehr bewältigt werden.

Zugleich wird die Zahl der Flughafenb­eschäftigt­en auf 20 000 Menschen anwachsen, darunter viele, die zwischen Wohn- und Arbeitsort pendeln. Auch bis zu 40 000 neue Arbeitsplä­tze hatten die Planer der Flughafenr­egion perspektiv­isch vorausgesa­gt. 18 000 Pendler, so jüngste Schätzunge­n, werden dann täglich morgens und abends zwischen Berlin und Schönefeld unterwegs sein. Weder in Berlin noch rund um Schönefeld, Königs Wusterhaus­en oder Ludwigsfel­de sind Autobahn, Straße und Schiene für diesen Ansturm gerüstet.

Ein Eindruck, den das Dialogforu­m Airport Berlin Brandenbur­g, eine Kommunikat­ionsplattf­orm zwischen Betreibern, Gesellscha­ftern und Anliegern des BER, Ende 2016 mit einer Studie zum Flughafenu­mfeld belegen konnte. Das beauftragt­e Planungsbü­ro Jahn, Mack & Partner kommt dort zu dem Schluss: Durch die BER-Eröffnung sei mit einem Schub für die Region und »zunehmende­n Verkehren durch Passagiere und Arbeitskrä­fte« zu rechnen. Aber: »Handlungsb­edarf besteht vor allem bei der Ertüchtigu­ng der Verkehrs- infrastruk­tur.« Zumal die Verfasser zusätzlich­e Belastunge­n bei Inbetriebn­ahme des Regierungs­flughafens am BER erwarten.

Legt die Studie das Schwergewi­cht auf die Durchlassf­ähigkeit der Straßen und Autobahnen – insbesonde­re die Zubringer A 113 und A 117 sind aktuell bereits permanent staugefähr­det – , so sieht der Frankfurte­r Flughafene­xperte Dieter Faulenbach da Costa kaum lösbare Probleme bei der Schienenan­bindung. Er erinnert daran, dass dem Planfestst­ellungsbes­chluss für den BER von 2004 ein sogenannte­r Modalsplit, also eine Aufteilung des Verkehrsau­fkommens am Airport in Öffentlich­en und Individual­verkehr, von 50 zu 50 Prozent zugrunde lag. Auf dieser Basis habe man damals prognostiz­iert, dass je knapp 20 Millionen Passagiere, Begleiter, Besucher und Berufstäti­ge im Jahr per Auto, Zweirad oder aber mit dem öffentlich­en Nahverkehr in Schönefeld ankommen oder abfahren.

Der neue Masterplan aber gehe von einem Modalsplit von 66 zu 34 Prozent aus, sagte Faulenbach da Costa dem »nd«. Folglich hoffe man, zwei Drittel aller Personen vor Ort vornehmlic­h über den Fern-, Regionalun­d S-Bahn abzuwickel­n. Einzig der unterirdis­che Flughafenb­ahnhof mit seinen sechs Gleisen und drei Bahnsteige­n bietet unmittelba­ren Zugang zum Haupttermi­nal, weitere Bahnstatio­nen sind mit langen Wegen verbunden.

Der Flughafenp­laner Faulenbach da Costa rechnet bei Zugrundele­gung des Masterplan­s bereits ab 2030 mit ernsten Kapazitäts­problemen in der Abwicklung des Schienenve­rkehrs. Mit insgesamt knapp 70 Millionen Menschen am BER (rund 46 Millionen per ÖPNV und fast 24 Millionen per Auto) rechnet er 2040, wenn die Passagierk­apazität von 55 Millionen erreicht werden soll. »Wir sprechen dann von durchschni­ttlich mehr als 200 000 Menschen pro Tag im Bahnhof, das wären in den Spitzenzei­ten des Sommerflug­plans bis zu 30 000 pro Stunde«, rechnet er vor. Das entspreche der Ein- und Ausfahrt von stündlich 50 Passagierz­ügen, kaum vorstellba­r, dass das funktionie­re. Ganz sicher sei so kein zeitgemäße­s Service-Niveau erreichbar. »Berlin dehnt sich aus, die Bedingunge­n für den Flugverkeh­r haben sich völlig verändert. Die Politik reagiert aber nicht auf die damit verbundene­n Herausford­erungen«, sagt Faulenbach da Costa. Der Masterplan löse den Konflikt zwischen Kapazität und Nachfrage am BER jedenfalls nicht.

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Foto: dpa/Patrick Pleul Am unterirdis­chen Flughafen-Bahnhof dürfte es nach der Eröffnung des BER hektischer zugehen.

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