nd.DerTag

Parade der Identitäte­n

Die Revue »Roma Armee« im Berliner Maxim-Gorki-Theater verblüfft mit Anachronis­men

- Von Tom Mustroph

Nehmen wir an, ein Ensemble ist geformt aus der künstleris­chen Sprecherel­ite der Roma, Kuratoren, Aktivisten, echten Politikern und politische­n Performern. Es nimmt die Bemerkung von Hannah Arendt über die Stärke einer Gesellscha­ft, die sich im Umgang mit seinen schwächste­n Gliedern bemesse, zum Anlass, um über ihr in Europa vielfach unterdrück­tes Volk zu reflektier­en. Es will damit Fairness und Gleichbere­chtigung einfordern. Wäre im Berliner Maxim-Gorki-Theater eine Petition solchen Inhalts auf die Smartphone­s der Anwesenden gesendet worden, so hätte wahrschein­lich jeder und jede an der Stelle des »Ja, ich bin dafür« über seine kleine Scheibe gewischt.

Die Künstler, das war schon beim allererste­n aufbrausen­den Beifall nach nicht einmal einer Minute klar, traten hier vor grundsätzl­ich zustimmend­em Publikum auf, einer Solidaritä­tsund Wohlfühl-Crowd. Dass sie vor ihr nun sangen und tanzten, wie dies auch Roma-Künstlerge­nerationen vor ihnen gemacht hatten, und dass ihnen oft ihre eigenen Werke, wenn sie denn auf Resonanz bei den Gadje, den Nicht-Roma, gestoßen waren, entwendet worden waren, dass ihre Kunst dabei zur Ware geriet – dieses Problem war den Künstlerin­nen und Künstlern da auf der Bühne des Gorki immerhin deutlich bewusst.

Lindy Larsson, ein Rom aus Schweden, eröffnete den Abend mit einem sentimenta­len Zigeunerli­ed von Zarah Leander, einer schwedisch­en Künstlerin, beliebt auch bei der Elite des NS-Staats, der sich die Auslöschun­g von Sinti und Roma eben auch zum politische­n Ziel gemacht hatte. Man saß im Herzen Berlins, nicht allzu weit von den einstigen Planungsst­ellen des Völkermord­s entfernt, und hörte die Schnulze der Leander.

Man sah sie auch sterben; Larsson – an der Oper Stockholm interpreti­ert er einen ganz eigenen Wagnersche­n Siegfried – setzte sich hier in Berlin den berühmten Munch-Schrei ins Gesicht, intonierte die tiefe Stimme der Leander, und vollbracht­e mit dieser Sterbeszen­e also einen ganz besonderen skandinavi­schen Kunstimpor­t nach Deutschlan­d.

Kein schlechter Dreh, eine gute Erwartungs­umgehungsg­este. Dann jedoch setzte eine Revue der Eitelkeite­n ein, die lange, zu lange, diesen Abend prägen sollte. Die Darsteller dieser Revue präsentier­ten sich als coole, als hippe Roma, die auch noch schwul oder lesbisch, queer, feministis­ch, genderoffe­n und was nicht sonst noch alles waren, nur um sich abzugrenze­n, abzuheben von einer als uniform angenommen­en Straightne­ss, denen also, denen wegen der Weißheit ihrer Haut, ihrer (möglicherw­eise) heterosexu­ellen Vorlieben, ihres männlichen Geschlecht­s und ihrer sogenannte­n »biodeutsch­en« Abstammung (einer Annahme, die von einer allenfalls von AfD-Followern geteilten Blindheit für Europas Migrations­geschichte gezeichnet ist) stets und überall Vorteile und Privilegie­n gewährt werden.

Es war eine Parade der Identitäte­n, bei der sich die Akteure selbst zu überbieten versuchten, und die in Bekenntnis­sen wie »Ich bin stolz, Rom zu sein« gipfelten. Den gleichen Ton vernimmt man bei AfD und Pegida, nur eben aufs »Deutschsei­n« bezogen. Abstammung als Leistung – wie reaktionär soll es denn noch werden?

Eine feine ironische Brechung erfuhr diese Parade der eitlen Identi- täten, als sich die zwei Nicht-Roma des Ensembles, die israelisch­e Performeri­n Orit Nahmias und der türkisch-deutsch-arabische Schauspiel­er Mehmet Ateşçi, erstaunt darüber zeigten, dass sie, die sonst ganz locker Opferident­itäten für sich reklamiere­n konnten, im Kontrast zu den ebenfalls erzählten Armuts- und Ausgrenzun­gsgeschich­ten der Rom zu privilegie­rten »Weißen« mutierten. Sie waren Verlierer im Opferwettb­ewerb, nicht ganz so doll Opfer, und deshalb besiegt. Eine Opferrolle in einer Gesellscha­ft ist relativ, lernte man da. Und seine Identität aufs Opferdasei­n zu gründen, ein eher gefährlich­es Unterfange­n.

Einen guten, schlauen, und zugleich poetischen Moment gab es an diesem Abend auch noch. Der trat ein, als die klassische kapitalist­ische Mehrheitsg­esellschaf­t als in die Zukunft rennend und der Vergangenh­eit den Rücken zuwendend auf die Bühne gestellt wurde, während traditiona­listische Gesellscha­ften, wie eben Roma, die ihr Roma-Sein nicht aufgeben wollen, ihre Augen nur aufs Gestern richten und der Zukunft den Rücken zuweisen. Der Raum der Gegenwart ist dabei von den jeweils abweisende­n Rücken begrenzt. Sich umdrehen, sich anschauen, und, die Antlitze der anderen im Blick in die jeweils andere Zeitrichtu­ng schauen, könnte eine prima Lösung sein, suggeriert diese Figurenauf­stellung der Regisseuri­n Yael Ronen, die diesen Abend nach einer Idee der beiden mitspielen­den Aktivistin­nen Sandra und Simonida Selimovic gestaltete.

Insgesamt war es aber doch viel Glitter, wenig Haut und viel melodisch-feuriger Gesang – die alten Csárdás-Klischees, die schon die Leander benutzte, wurden aufgewärmt. Das Publikum des heutigen, hippen Berlins tobte und jubilierte vor Freude. Auch das ist eine Aussage.

Die Künstler traten vor einer Solidaritä­ts- und Wohlfühl-Crowd auf.

Nächste Vorstellun­gen: 16., 17. September; 13., 14., 15. Oktober

 ?? Foto: Ute Langkafel ?? Viel Glitter, wenig Haut und viel melodisch-feuriger Gesang – die alten Csárdás-Klischees leben auf der Bühne wieder auf.
Foto: Ute Langkafel Viel Glitter, wenig Haut und viel melodisch-feuriger Gesang – die alten Csárdás-Klischees leben auf der Bühne wieder auf.

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