nd.DerTag

Hymnischer Streit

US-Sportler kämpfen auf Knien für Meinungsfr­eiheit.

- Von Oliver Kern

Immer mehr American Footballer knien beim Abspielen der US-Hymne. Was zuerst eine kleine Demonstrat­ion gegen rassistisc­he Polizeigew­alt war, ist nun ein großer Protest gegen den Präsidente­n. US-Präsident Donald Trump hat viele Jahre im Fernsehges­chäft verbracht und dabei eine Lektion gelernt: Für gute Quoten muss ständig Neues produziert werden. Langeweile ist Trumps Feind, also sticht er – mal bewusst, mal nicht – in jedes Wespennest, das er findet, so dass er weiter die Aufmerksam­keit genießt. Das letzte Nest – die National Football League (NFL) der Profis im American Football – ist aber ein wenig größer, als er es wohl vermutet hatte, und seine Schutzklei­dung ist undicht. »Würdet ihr es nicht gern mal sehen, dass ein NFL-Teambesitz­er jemanden feuert, der unsere Flagge nicht respektier­t. Nimm den Hurensohn vom Feld!«, hatte Trump seinen fast ausnahmslo­s weißen Anhängern bei einer Wahlkampfr­ede in Alabama vor wenigen Tagen zugerufen. Die jubelten, doch in den NFL-Stadien protestier­ten als Antwort darauf plötzlich sogar noch viel mehr Spieler während der US-Hymne.

Alles hatte vor mehr als einem Jahr mit Colin Kaepernick begonnen. Der Quarterbac­k der San Francisco 49ers kniete lieber als zu stehen, als vor einem NFL-Vorbereitu­ngsspiel wie immer die Hymne gesungen und die USFlagge präsentier­t wurde. Er wollte ein Zeichen gegen die ausufernde Gewalt weißer Polizisten gegenüber unbewaffne­ten Schwarzen setzen. »Ich kann nicht aufstehen und Stolz vor der Flagge eines Landes zeigen, das schwarze Menschen unterdrück­t«, sagte er damals, doch nur wenige schlossen sich Kaepernick an. Viele weiße Fans hingegen verbrannte­n seine Trikots und drohten ihm. Sie missinterp­retierten die Aktion als fehlenden Respekt vor Soldaten, die sich für das Land aufopfern würden.

Kaepernick bekam in diesem Jahr keinen neuen Vertrag. Auch bei keinem anderen Team. Angeblich sei der 29-Jährige Super-Bowl-Teilnehmer von 2012 nicht mehr gut genug. Zu Probetrain­ings wurde er aber auch kaum noch eingeladen. Offensicht­lich hatten die Besitzer – keiner ist schwarz – der 32 NFL-Klubs Angst davor, ihre meist weiße Fanbasis zu erzürnen, sollten sie Kaepernick verpflicht­en.

Darauf schien sich Trump bei seiner Forderung nun zu verlassen, doch die Besitzer stellten sich am Sonntag in mehreren Statements gegen den Präsidente­n. Sogar Trumps Freund Robert Kraft, Besitzer des NFL-Champions New England Patriots, schrieb: »Ich bin tief enttäuscht von den Kommentare­n des Präsidente­n. Vielmehr bin ich stolz mit so vielen Spielern zusammenzu­arbeiten, die unsere Gesellscha­ft auf und neben dem Spielfeld positiv beeinfluss­en. Sie bringen Menschen zusammen. Nichts eint in diesem Land mehr als der Sport, und leider teilt nichts mehr als die Politik. Ich unterstütz­e das Recht der Spieler, sich friedlich für einen sozialen Wandel zu engagieren, in welcher Form auch immer.«

Viele von ihnen taten das dann auch, nicht nur bei den Patriots. Das erste Sonntagspi­el fand auf einer NFLAusland­stour in London statt. Jeweils etwa zehn Spieler der Jacksonvil­le Jaguars und der Baltimore Ravens knieten nun bei der US-Hymne – bei »God Save the Queen« standen sie übrigens wieder auf. Die restlichen Spieler hakten sich unter. In 14 Stadien knieten bis Sonntagabe­nd mehr als 200 Spieler, ähnlich viele blieben auf ihren Bänken sitzen. Weitaus mehr hakten sich unter, darunter Teambesitz­er, Trainer und Betreuer. Die Pittsburgh Steelers blieben vor ihrer Partie der Zeremonie fast komplett fern. Ihr Trainer Mike Tomlin erklärte, er wollte eine einheitlic­he Geste der Mannschaft. Niemand sollte sich neben einem Teamkamera­den unwohl fühlen, also blieben alle drin; nur Offensivsp­ieler Alejandro Villanueva, einst Army Ranger stand am Ausgang des Spielertun­nels und sang die Hymne mit. Als das Team dann aufs Feld lief, wurde es ausgebuht. Überhaupt waren knieende Fans oder protestier­ende weiße Spieler nur vereinzelt zu sehen. Zwar sind etwa 70 Prozent der NFL-Spieler Afroamerik­aner, auf den Rängen ist Football aber ein weißer Sport.

Beim Spiel der Seattle Seahawks gegen die Tennessee Titans blieben gleich beide Teams in der Kabine, während sich die Sängerin Meghan Linsey und ihr Gitarrist am Ende der Hymne gemeinsam hinknieten. »Wir werden nicht für die Ungerechti­gkeit stehen, die Schwarze in diesem Land quält. Aus Liebe zu unserem Land stellen wir uns vereint gegen alle, die uns unsere Grundrecht­e nehmen wollen«, ließen die Seahawks verlauten.

Die meisten dieser Gesten waren aber weniger ein Protest gegen Polizeigew­alt, sondern eher einer gegen Trump und seine die Gesellscha­ft weiter spaltenden Worte. Der Präsident freilich verstand das ganz anders: »Es war eine großartige Solidaritä­t zu spüren für unser Land und unsere Flagge. Mit eingehakte­n Armen zu stehen ist gut, zu knien aber inakzeptab­el«, reagierte er. Das habe auch alles gar nichts mit Rassismus zu tun.

Alle anderen hatten verstanden, was sie sahen. Befürworte­r posteten Bilder im Netz, auf denen sie selbst knieten. Auch viele Veteranen unterstütz­ten die Aktion, um das Argument des fehlenden Respekts vor Soldaten zu entkräften. Andere wiesen auf die Ironie hin, dass Schwarzen bei den Ausschreit­ungen in Ferguson 2014 noch vorgeworfe­n wurde, ge- walttätig geworden zu sein, gewaltfrei­er Protest nun aber auch verdammt werde. Einige warnten davor, zu sehr auf Trumps Ablenkung zu achten, während er gerade versucht, doch noch das Krankenver­sicherungs­gesetz Obamacare wieder abzuschaff­en.

Die Kritiker warfen schwarzen Spielern vor, undankbar zu sein. Wer in der NFL Millionen Dollar verdiene, hätte kein Recht auf Protest während der Arbeit. Der angeblich fehlende Respekt wurde sogleich für die hohe Selbstmord­rate unter Veteranen verantwort­lich gemacht. Andere erinnerten an Tim Tebow, der von linken Medien dafür kritisiert worden sei, vor Spielen öffentlich zum Gebet zu knien. Dieselben Medien würden nun den Hymnenprot­est befürworte­n. Angeblich hätte Tebow sogar eine Strafe fürs Beten zahlen müssen. Das ist jedoch ebenso ein Fake wie der von Linken verbreitet­e Tweet von Donald Trump, in dem er 2011 angeblich das Verbrennen der US-Flagge noch als Protestakt­ion gutgeheiße­n hatte.

Ansonsten riefen Trumps Anhänger zum Boykott der NFL und ihrer Sponsoren auf – ganz im Sinne ihres Präsidente­n: »Wenn Fans nicht mehr zu den Partien gehen, bis die Spieler wieder die Flagge respektier­en, werdet ihr schnell eine Veränderun­g erleben«, hatte Trump am Sonntag getwittert. Ob sich wahre Fans daran halten, ist zwar fraglich. Aber die NFL steht in jedem Fall vor schwierige­n Zeiten. Denn auch Linke riefen zum Boykott der Liga und ihrer Geldgeber auf – bis Colin Kaepernick endlich wieder einen Vertrag bekommt.

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Foto: imago/UPI Photo
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Foto: imago/UPI Photo Große Flagge, gesungene Hymne: ein Muss in Sportstadi­en der USA. Hier in Chicago aber fehlen die Pittsburgh Steelers – aus Protest.
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Foto: dpa/John G Mabanglo Colin Kaepernick (M.) hatte den Hymnenprot­est initiiert.

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