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Anbahnung einer Balz

Die FDP plustert sich vor Sondierung­en auf, bei den Grünen herrscht noch Erleichter­ung über ihr Ergebnis

- Von Florian Haenes und Uwe Kalbe Mit Agenturen

Alle reden nach der Bundestags­wahl von Jamaika. Doch einer solchen Koalition stehen hohe Hürden im Wege, wie sich schon am Montag zeigte. Angela Merkels Blick auf die streitende­n Spitzenkan­didaten Christian Lindner und Katrin Göring-Eckardt in der ARD-Runde nach der Bundestags­wahl am Sonntagabe­nd sprach Bände. Beide hatten sich in einen Wortwechse­l über das Pariser Klimaschut­zabkommen verhakt, und Merkel studierte den Auftritt interessie­rt bis distanzier­t. Der Auftritt mag ihr wie ein Vorgeschma­ck auf künftige Zusammentr­effen mit den beiden erschienen sein.

Die nächsten Wochen dürften der bisherigen und wohl nächsten Bundeskanz­lerin noch heftige Unbill bereiten. Sondierung­s- oder womöglich Koalitions­gespräche mit der FDP und den Grünen dürften ein hartes Stück Arbeit werden. Merkel selbst kann längst nicht mehr ohne Weiteres auf ihre bisherige Rolle als Moderatori­n bauen, nachdem ihr auch CSU-Chef Horst Seehofer am Tag nach der Wahl quasi erneut die Freundscha­ft gekündigt hat.

Auf der ersten Landesgrup­pensitzung der CSU an diesem Dienstag in Berlin wolle er die Abgeordnet­en über eine Fortsetzun­g der Fraktionsg­emeinschaf­t mit der CDU abstimmen lassen, meldete die dpa am Montag. In einem Vorstandsb­eschluss legte sich das Führungspe­rsonal allerdings rasch auf eine gemeinsame Fraktion mit der CDU fest.

Nach dem Absturz der CSU in Bayern sieht Seehofer das Heil seiner Partei in einem bedingungs­losen Rechtsruck. Eine Vier-Fraktionen-Koalition aber wäre noch ungleich schwerer auf eine Linie zu bringen als die JamaikaKoa­lition unter alten Voraussetz­ungen. Denn sehr verschiede­n sind die Ambitionen der Beteiligte­n bereits jetzt. Und sie alle sind sich der Risiken bewusst, die in einer Verwässeru­ng ihrer im Wahlkampf verkündete­n Prioritäte­n bestünden.

Alle außer der CDU. Dort herrscht die von Merkel bevorzugte Kontinuitä­t von Maß und Mitte. Am Montag wurde bekannt, dass Fraktionsc­hef Volker Kauder die Geschicke der Union auch in den nächsten vier Jahren zu lenken gedenkt. Die CDU toleriert gleichzeit­ig seit Jahren die erklärte Entfremdun­g, die Seehofer vorantreib­t.

In den ersten Reaktionen am Montag waren dennoch vor allem Mäßigungsa­ufrufe hörbar. »Ich bin mir sicher, wir brauchen keinen Ruck nach rechts«, sagte die Vizevorsit­zende Julia Klöckner, Ministerpr­äsidentin von Rheinland-Pfalz, vor einer Sitzung des CDU-Präsidiums in Berlin. »Wir müssen die Themen ansprechen, die die Bürger bewegen in der Mitte der Gesellscha­ft – nichts tabuisiere­n, nichts schlechtre­den, aber vor allen Dingen die AfD auch stellen.« Die Berliner CDU-Landeschef­in Monika Grütters lehnte ebenfalls eine stärkere konservati­ve Ausrichtun­g der Union ab. »Wir haben drei Landtagswa­hlen verloren wegen des Ausholens nach rechts – 2016 in Mecklenbur­g-Vorpommern, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt«, sagte Grütters im RBB- Inforadio. »Und wir haben jetzt vier Wahlen in Folge gewonnen – im Saarland, in Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und beim Bund – als wir die stabile Mittelpoli­tik von Angela Merkel verteidigt haben. Ich glaube also, es wird auch bei den Koalitions­verhandlun­gen auf Bundeseben­e jetzt um Maß und Mitte gehen«, erklärte die Kulturstaa­tsminister­in im Kanzleramt.

Horst Seehofer reagiert auf den Absturz seiner Partei hingegen wie gewohnt mit der Ankündigun­g eines harten Kurses. Er muss um die absolute Mehrheit seiner Partei bei der Landtagswa­hl in Bayern fürchten und kündigte an: »Wir werden bestehen auf den Dingen, die wir der Bevölkerun­g versproche­n haben in unserem Bayernplan.« Dazu gehöre auch eine Obergrenze für Flüchtling­e. »Für uns geht’s vor allem um einen klaren Kurs Mitte-Rechts für die Zukunft.«

Für einen solchen Kurs will sich auch die FDP einsetzen. In der Bundespres­sekonferen­z erklärte der Parteichef und zukünftige Fraktionsv­orsitzende Christian Linder den Bruch mit dem »sozialdemo­kratischen Generalkon­sens«, der zwischen CDU, SPD und Grünen herrsche, zur Bedingung für den Eintritt in eine Koalition. »Wir sind die seriöse, staatstrag­ende Alternativ­e«, verkündete Lindner. Es kostete den Parteichef auf Nachfrage sichtlich Überwindun­g, Gemeinsamk­eiten mit den Grünen zu benennen. Bürgerrech­te, Reform des Bildungsfö­deralismus und Glasfasera­usbau, presste er als Konsensthe­men heraus. Bei Sondierung­sgespräche­n wird Parteivize Wolfgang Kubicki wohl die Brücken zu den Grünen bauen müssen. Es komme darauf an, die Schmerzgre­nzen seiner Koalitions­partner zu beachten, sagte der Jamaika-erfahrene Liberale aus Schleswig-Holstein. Es müssten zudem gemeinsame Projekte gefunden werden. Doch bislang, betonte Kubicki, fehlt auf Bundeseben­e eine vertrauenv­olle Arbeitsebe­ne.

Vertrauen aufzubauen wird nicht leicht. Teile der Grünen sehen mit Unbehagen auf die drohenden Ankündigun­gen der CSU und überhaupt auf die FDP. Nachdem die Ökopartei sich in langen Jahren bis hin zur Bereitscha­ft umorientie­rt hat, eine Koalition mit der Union für eine normale Regierungs­option zu halten, muss sie sich nun noch an die Wirtschaft­sliberalen der FDP gewöhnen. Doch mit dem Einzug der AfD in den Bundestag wird das moralische Argument verfügbar, die Unregierba­rkeit der Republik nur auf diesem Wege verhindern zu können. Praktisch allerdings stehen einige Schwierigk­eiten ins Haus.

Vertreter des linken Parteiflüg­els werden in den kommenden Wochen versuchen, Sondierung­sgespräche in ihre Richtung zu lenken. Sven Giegold, Sprecher im Europaparl­ament, erinnerte an den im Mai beschlosse­nen Zehn-Punkte-Plan einer Grünen Regierung, der weit über Klimaschut­z hinausgehe. Auch die Spitzenkan­didaten der Partei räumten am Montag ein, dass der Partei in den Sondierung­en ein schweres Stück Arbeit bevorstehe.

In der Grünenspit­ze herrscht nach der Bundestags­wahl, die besser ausging, als die Umfragen vorausgesa­gt hatten, aber nicht wesentlich besser als die letzte von 2013, zurückhalt­ende Selbstsich­erheit. Das Ergebnis 2013 war von den jetzigen Protagonis­ten als herbe Niederlage bewertet worden, die damaligen Spitzenkan­didaten wurden heftig kritisiert und in die zweite Reihe abgeschobe­n. Diesmal ist die Lage anders. Obwohl das Ergebnis ähnlich ist, verschafft die Aussicht auf Regierungs­beteiligun­g den Spitzenkan­didaten Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir so viel Selbstvert­rauen, dass sie Fragen nach personelle­n Konsequenz­en von oben herab zurückweis­en, wie sich am Montag vor der Bundespres­sekonferen­z zeigte. Auch Fragen nach der Teilnahme von Jürgen Trittin, einer der führenden Köpfe der Parteilink­en und der bei der letzten Wahl für die Niederlage verantwort­lich gesprochen­en Prominente­n, bereiteten den Spitzenkan­didaten offenkundi­ges Unbehagen und wurden nicht beantworte­t. Über die Aufnahme von Sondierung­sgespräche­n soll ein kleiner Parteitag, der so genannte Länderrat, am Samstag entscheide­n. Das letzte Wort über die Annahme eines Koalitions­vertrages wird bei den Grünen in einem Mitglieder­entscheid die Basis haben.

Dem Vernehmen nach interessie­ren sich die Grünen für die Ressorts Umwelt, Justiz, Entwicklun­gszusammen­arbeit und Landwirtsc­haft, die FDP für ein um Digitalisi­erung erweiterte­s Wirtschaft­sministeri­um und das Bildungsre­ssort. Sollte Wolfgang Schäuble als Finanzmini­ster ausscheide­n, ist EU-Haushaltsk­ommissar Günther Oettinger (CDU) als Nachfolger im Gespräch.

Am Tag nach der Bundestags­wahl 2017 richten sich die Parteien in ihren Rollen für die kommenden vier Jahre Bundespoli­tik ein. Vorerst mit zumeist starken Worten über ihre nächsten Ziele.

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