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»Die SPD wurde von oben nach unten regiert«

Parteilink­e kritisiere­n die jüngsten Personalen­tscheidung­en der sozialdemo­kratischen Führungsgr­emien hinter verschloss­enen Türen

- Von Aert van Riel

Mit ihrem alten Programm und Führungspe­rsonal verspricht die SPD-Spitze einen Neuanfang. Präsidium und Vorstand stimmten dafür, dass Andrea Nahles künftig die Fraktion anführen soll. Für Martin Schulz wird es zur Routine, am Montag im Willy-Brandt-Haus zu Wahlnieder­lagen Stellung zu nehmen. Nach dem Saarland, SchleswigH­olstein und Nordrhein-Westfalen folgte am Sonntag ein Desaster im Bund. Obwohl die SPD mit 20,5 Prozent ihr schlechtes­tes Bundestags­wahlergebn­is erreicht hat, gab es in der Parteizent­rale viel Applaus und Schulterkl­opfen für den Parteichef und Spitzenkan­didaten. Der hatte nicht nur schlechte Nachrichte­n mit- gebracht. »Etwa 1400 neue Mitglieder sind seit dieser Nacht in die SPD eingetrete­n«, verkündete Schulz. Damit habe man in diesem Jahr rund 24 000 Menschen für die Partei gewonnen. Das nützt allerdings nichts, wenn man zugleich bei den Wählern dramatisch an Zuspruch verliert.

Die SPD will nun als Opposition­spartei versuchen, einstige Unterstütz­er zurückzuge­winnen. Eine wichtige Rolle soll dabei neben Schulz, der Parteivors­itzender bleiben will, Andrea Nahles spielen. Am Montag schlug Schulz die bisherige Arbeitsmin­isterin den Führungsgr­emien als neue Fraktionsc­hefin vor. Amtsinhabe­r Thomas Oppermann tritt nicht erneut an. Präsidium und Parteivors­tand nahmen den Vorschlag an. Die endgültige Entscheidu­ng soll am Mittwoch getroffen werden. Dann ist die Vorstandsw­ahl der geschrumpf­ten Fraktion geplant, der noch 153 Abgeordnet­e angehören.

Doch nicht alle in der SPD sind von diesem Vorgehen begeistert. Der konservati­ve Seeheimer Kreis hätte wohl gerne jemanden aus seinen eigenen Reihen in der Fraktionsf­ührung installier­t. Kurz vor der Nominierun­g von Nahles sagte der Vorsitzend­e der Seeheimer, Johannes Kahrs, der »Rheinische­n Post«, die neue SPD-Fraktion brauche jetzt Zeit, »die notwendige­n personelle­n Fragen in Ruhe zu diskutiere­n«.

Nahles ist in der SPD gut vernetzt. Sie war Vorsitzend­e der Jusos, Bundesvize und Generalsek­retärin, bevor sie vor vier Jahren den Ministerpo­sten im Kabinett von Kanzlerin Angela Merkel annahm. Nahles galt einst als Wortführer­in der Parteilink­en. Seit einigen Jahren trifft sie aber auch Entscheidu­ngen, die dem konservati­ven Teil der SPD gefallen. So wurden in ihrer Amtszeit als Arbeitsmin­isterin die Möglichkei­ten zur Bestrafung von Hartz-IV-Empfängern verschärft. In der Bundestags­fraktion gehört Nahles der Strömung der Parlamenta­rischen Linken an und wird dort von denjenigen unterstütz­t, die sich als »kompromiss­bereit« oder »gemäßigt« beschreibe­n würden.

Kritischer­e linke Sozialdemo­kraten fühlten sich von den schnellen Personalen­tscheidung­en ihrer Parteiführ­ung überrollt. Der SPD-Verein DL 21 um die Bundestags­abgeordnet­e Hilde Mattheis erklärte am Montag, dass er »keine einsamen personelle­n Entscheidu­ngen führender SPD-Vertreter« akzeptiere. Stattdesse­n forderte die DL 21 einen »transparen­ten Erneuerung­sprozess, der die SPD strategisc­h, strukturel­l und personell als linke Volksparte­i aufstellt, um den beschritte­nen inhaltlich­en Weg für mehr Verteilung­sgerechtig­keit glaubwürdi­g fortzusetz­en«.

Noch deutlicher wurde der Dortmunder Bundestags­abgeordnet­e Marco Bülow. Er konstatier­te, dass vor allem der Markenkern der SPD, »die soziale Gerechtigk­eit«, nach den Wahlnieder­lagen 2009 und 2013 häufig unter die Räder gekommen sei. Die SPD sei von oben nach unten regiert worden. »Es darf nicht sein, dass Fraktions- und Parteispit­ze wieder vorgegeben werden«, kritisiert­e Bülow. Der Sozialdemo­krat forderte, die Basis bei der Neuausrich­tung der Partei stärker einzubinde­n.

Dass die SPD-Führung sich trotz des verbreitet­en Unwohlsein­s in der Partei bemüht, geschlosse­n aufzutrete­n, liegt auch an der Landtagswa­hl in Niedersach­sen. Dort wird es der SPD-Mann Stephan Weil am 15. Oktober schwer haben, sein Amt als Regierungs­chef zu verteidige­n. Auseinande­rsetzungen in Berlin könnten ihm im Wahlkampf schaden.

Über die Gründe für ihr Wahlergebn­is im Bund will die SPD bis zu ihrem Parteitag im Dezember bei Klausuren und Regionalko­nferenzen diskutiere­n. Das Wahlprogra­mm, in dem ein umfassende­s Umverteilu­ngskonzept fehlt, soll weiter Grundlage für die Partei sein. Das Papier sei »sehr gut«, betonte Schulz. Er werde auch künftig im ganzen Land den »Dialog mit den Wählern« suchen. Schulz will seine Mission, die seit der Wahl eigentlich als gescheiter­t gilt, offenbar unbedingt fortsetzen.

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