nd.DerTag

Die sich vernachläs­sigt fühlen

Eingebilde­te Ängste, rechte Alltagskul­tur, undankbare Wähler: der Osten als politische Problemzon­e

- Von Tom Strohschne­ider

Wieder der Osten. Wieder Wahlergebn­isse, die nach Ursachenfo­rschung schreien. Warum ist die AfD in den neuen Ländern so stark? Die rechtsradi­kale AfD hat in den nicht mehr ganz so neuen Ländern weit überdurchs­chnittlich­e Ergebnisse erzielt. Sie steht flächendec­kend auf dem zweiten Platz hinter der CDU, in Sachsen ist sie stärkste Kraft geworden: 18,6 Prozent in Mecklenbur­g-Vorpommern, 19,6 Prozent in Sachsen-Anhalt, 20,2 Prozent in Brandenbur­g, 22,7 Prozent in Thüringen, 27 Prozent in Sachsen. Woher kommt das?

Experten und Politiker suchen am Tag nach dem Erdrutsch nach Antworten. Der frühere brandenbur­gische Ministerpr­äsident Manfred Stolpe verwies auf die ökonomisch­en Hintergrün­de: »Besonders in wirtschaft­lich schwachen Regionen mit hoher Arbeitslos­igkeit und starker Abwanderun­g ist Ausländerf­eindlichke­it verbreitet«, sagte der Sozialdemo­krat dem Evangelisc­hen Pressedien­st. »Rechtspopu­listen nutzen diese Ängste.« Es zeige sich in dem Ostergebni­s der AfD »aber auch die unzureiche­nde Sensibilit­ät der Poli- Manfred Stolpe tik und der Medien für die in den Jahrzehnte­n der Teilung Deutschlan­ds entstanden­en Unterschie­de zwischen Ost und West«.

Der Leipziger Politikwis­senschaftl­er Hendrik Träger kann einer Erklärung, die vor allem auf die ökonomisch­e Lage abhebt, nicht viel abgewinnen. Für die im Osten teilweise verbreitet­e »Wahrnehmun­g, dass für die Flüchtling­e alles getan würde, aber die Einheimisc­hen vernachläs­sigt würden«, gebe es faktisch überhaupt keinen Grund. »Aber Politik hat eben viel mit der subjektive­n Wahrnehmun­g zu tun.« Träger sieht denn auch ein eher unkonkrete­s Gefühl der Unzufriede­nheit mit den Regierungs­parteien – mit »denen in Berlin«. Es gehe AfD-Wählern »in erster Linie um Protest und Unmutsäuße­rung«.

Bei der Amadeu Antonio Stiftung verweist man noch auf einen weiteren Aspekt: das Versagen der etablierte­n Parteien im Kampf gegen Rechts. Für Geschäftsf­ührer Timo Reinfrank habe die Wahl gezeigt, wie groß das rechtspopu­listische Poten- zial speziell in Ostdeutsch­land sei – und wie wenig vonseiten der Politik in Ländern wie Sachsen oder Sachsen-Anhalt dagegen gesteuert wurde: »Es gab keinerlei politische Auseinande­rsetzungen um dieses Thema.« Aber Zivilgesel­lschaft sei nun einmal kein Selbstläuf­er.

Hier knüpft auch der Leipziger Sozialpsyc­hologe und Soziologe Oliver Decker an – er gab der Sachsen-CDU eine Mitschuld am Ergebnis der AfD im Freistaat. Die CDU habe jahrelang versucht, durch Bagatellis­ierung und Entpolitis­ierung rechtsextr­eme Aktivitäte­n kleinzured­en. »Dadurch wurden sie aber nur größer.« Decker sieht hier einen generellen Mechanismu­s: Man sehe, dass der Versuch der Union, »sich als die bessere Kopie der AfD anzubieten, sowohl in Bayern als auch in Sachsen nicht von Erfolg gekrönt gewesen ist«.

Angesichts des Abschneide­ns der AfD wird man jetzt wieder viel über den Osten reden. Die Frage ist, ob eine bestimmte Art dieses Über-denOsten-Redens nicht auch seinen Teil zu solchen Wahlergebn­issen beiträgt. Das mediale und politische Fingerzeig­en auf Problemzon­en markiert deren Bewohner bloß, ändert aber nichts an den sozialen und auch psychologi­schen Bedingunge­n, die man als Teilursach­e für den Rechtsruck nicht unterschla­gen kann. Die Wähler, das kann keine Erklärung verwischen, können aber auch nicht aus der Haftung genommen werden für ihre fatale Wahlentsch­eidung.

Typisch war im Wahlkampf, wie das Thema Osten von den meisten Parteien auf den letzten Metern »entdeckt« wurde, was womöglich sogar frustverst­ärkend wirkte. Thüringens Ministerpr­äsident Bodo Ramelow sagte, das AfD-Ergebnis zeige, dass sich viele Menschen dort schlecht behandelt, auch emotional deklassier­t fühlten – bei Renten, Löhnen und durch unsichere Arbeitsver­hältnisse. »27 Jahre nach der Wiedervere­inigung hätte das gelöst werden müssen.« Nach Meinung von Ramelow ist das AfD-Wahlergebn­is eher Ausdruck von Protest. Linksfrakt­ionschef Dietmar Bartsch forderte mehr Anstrengun­gen in ländlichen Regionen. Ganze Landstrich­e, besonders im Osten, fühlten sich abgehängt.

Dem dürfte der Wittenberg­er Theologe Friedrich Schorlemme­r nicht ganz zustimmen – er kritisiert­e die »Undankbark­eit vieler Ostdeutsch­er« und nannte es eine Beleidigun­g, dass die AfD durch viele seiner Landsleute gewählt wurde. AfDWähler hätten »teils reale, teils eingebilde­te Ängste«, sagte er der »Mitteldeut­schen Zeitung«: »Sie sollten sich mal vergleiche­n mit den 140Mark-Rentnern in der DDR. Und dann sollten sie sich noch mal melden.«

»Rechtspopu­listen nutzen diese Ängste und sammeln die Unzufriede­nen.«

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Foto: dpa/Ralf Hirschberg­er Lauter Protest mit Ohrstöpsel­n in Finsterwal­de während einer CDU-Veranstalt­ung

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