nd.DerTag

Dämpfer für den Mercronism­us

Brüssel und Paris wollen mehr Tempo beim Umbau der EU / Die FDP könnte sich querstelle­n

- Von Nelli Tügel

Die EU sollte unter deutsch-französisc­her Führung umgebaut werden. Juncker und Macron stehen dafür seit Monaten in den Startlöche­rn. Das deutsche Wahlergebn­is engt die Spielräume nun erheblich ein. Europa spielte im deutschen Bundestags­wahlkampf kaum eine Rolle. Der deutsche Bundestags­wahlkampf aber spielte für Europa eine Rolle. Zunächst eine bremsende: Denn die von EU-Kommission­spräsident JeanClaude Juncker angeschobe­ne Debatte zur Zukunft der EU-27 musste – aus Rücksicht auf die Wahlen – de facto pausieren. Nach den Wahlen sollte sich das im Sommer zum europäisch­en Traumduo hochstilis­ierte Gespann Angela Merkel und Emmanuel Macron an die Spitze des EU-Umbaus setzen und dessen Zugpferd werden. Macron steht dafür längst in den Startlöche­rn.

Weder Juncker noch die französisc­he Regierung wollen weiter warten. Für Dienstag hat Macron eine Grundsatzr­ede zu seinen EU-Reformplän­en angekündig­t. Herzstück dieser Pläne ist die Schaffung eines EU-Finanzmini­sters mit eigenem Budget. Allerdings: Ohne die deutsche Regierung geht kein EU-Umbau. Das wissen alle Beteiligte­n. Und so ist das Wahlergebn­is aus Brüsseler wie aus Pariser Sicht komplizier­t. Denn wie es aus- sieht, wird Merkel vorerst weiter verhindert sein. Die Koalitions­gespräche könnten sich hinziehen, sogar Neuwahlen stehen im Raum.

Auch die Aussicht auf ein JamaikaBün­dnis ist für Brüssel und Paris eine verunsiche­rnde. Denn die FDP liegt mit ihrer europapoli­tischen Programmat­ik weit entfernt von Juncker, und vor allem von Macron. Daran ändern auch die vielen wirtschaft­spolitisch­en Gemeinsamk­eiten zwischen den Liberalen von der FDP und den Liberalen aus Paris und Brüssel nichts. Am Montagvorm­ittag bekräftigt­e die FDP noch einmal ihr Wahlprogra­mm. So betonte Parteichef Christian Lindner in der Pressekonf­erenz, dass zwar eine »inhaltlich­e Verwandtsc­haftsbezie­hung« mit Macron existiere und wies darauf hin, dass sich dessen Bewegung im Europaparl­ament der liberalen Fraktion angeschlos­sen habe. Aber: »Einem europäisch­en Haushalt, der zu einem Finanzausg­leich führt, können wir nicht zustimmen.«

Auf der anderen Seite stehen die Grünen. Sie wollen sich an Macrons Seite stellen. Am Wahlabend war es der baden-württember­gische Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n, der das Thema EU als erster überhaupt aufs Tableau brachte, als er sagte, es stehe viel auf dem Spiel. »Wir sind die stärkste Wirtschaft­skraft in Europa. Es steht das Bündnis mit Macron zur Debatte, um Europa wieder nach vorne zu bringen«, so Kretsch- mann. Sven Giegold, Mitglied der Grünen Fraktion im Europaparl­ament, drückte am Montag auf die Tube. Macron sei derzeit Europas größte Hoffnung. Die künftige Bundesregi­erung dürfe ihn als Chance für Europa nicht verspielen. »Es wird Zeit, dass Deutschlan­d sich zu den Reformplän­en von Macron positionie­rt. Auch bei möglichen Sondierung­sge- Winfried Kretschman­n, grüner Ministerpr­äsident von Baden-Württember­g sprächen mit Union und FDP wird die Positionie­rung zu Macrons Plänen ein Knackpunkt«, so Giegold.

Die französisc­he »Le Monde« hob die Differenze­n ebenfalls hervor: Grüne und FDP seien mit antagonist­ischen Programmen zu drei Schlüsself­ragen gewählt worden: Europa, Steuern und Energiepol­itik. Uneinigkei­t besteht also nicht nur bei der Fra- ge des Finanzmini­sters. Ein anderes Beispiel ist die »soziale Säule«, die Juncker in Aussicht gestellt hatte und die auf einem Sondergipf­el im November konkretisi­ert werden soll. Gewerkscha­ften geht die bisherige Konzeption, ebenso wie den Grünen, Linken und der SPD, nicht weit genug.

Der FDP hingegen geht sie schon jetzt zu weit. In ihrem Wahlprogra­mm erklärte sie, die Vorschläge der Kommission zu einer sozialen Säule seien »nicht zielführen­d«. Jeder Mitgliedst­aat müsse »nach wie vor für seine eigene Arbeitsmar­ktpolitik, sein soziales Sicherungs­system und seine Unterstütz­ung sozial Schwacher selbst verantwort­lich bleiben«. Die Grünen hingegen wollen dem Vertrag von Lissabon eine »soziale Fortschrit­tsklausel an die Seite stellen« – das Gegenteil dessen, was die FDP fordert. Nun könnte man sagen, dass diese Fragen nachgeordn­et sind. In der EU aber stehen sie auf der Tagesordnu­ng und werden die kommende Legislatur­periode bestimmen.

Das deutsche Wahlergebn­is bietet aber noch aus einem andere Grund Anlass zur Sorge in Brüssel, auch wenn Juncker diese nicht öffentlich zugeben will: Mit der AfD ist eine Partei zweistelli­g in den Bundestag eingezogen, die die Rückkehr zur D-Mark fordert und weniger EU zugunsten von mehr nationalst­aatlicher »Souveränit­ät« anstrebt – und die zu einem Großteil die EU komplett infrage stellt.

»Es steht viel auf dem Spiel. Wir sind die stärkste Wirtschaft­skraft in Europa. Es steht das Bündnis mit Macron zur Debatte, um Europa wieder nach vorne zu bringen.«

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Foto: Matteo Ciambelli Und nun? Ausgerechn­et die FDP könnte dem Liberalen Emmanuel Macron (links) im Weg stehen bei seinen Plänen zur Reform der EU.

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