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Von meinen Landsleute­n enttäuscht

Zu »Schorlemme­r kritisiert ›Undankbark­eit vieler Ostdeutsch­er‹«, 25.9., www.nd-online.de

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Der durchaus geschätzte Herr Schorlemme­r hat den Umbruch in der DDR wohl nicht so genau beobachtet. Die ersten Montagsdem­onstration­en in Leipzig bekamen erschrecke­nd schnell Zulauf von »Wir sind ein Volk«-Rufern.

Das anfänglich­e Begehren der Bürgerbewe­gungen nach einer Reformatio­n der DDR wurde komplett übertönt. Das waren damals meine Eindrücke, und ich sah von weiteren Teilnahmen ab. Die Demos wurde sowieso gerade zum Volkssport, der die Massen mobilisier­te. Ich ahnte nichts Gutes und fragte mich: Wozu ist dieses Volk eigentlich in der Lage? Welcher Geist lässt sich da so leicht mobilisier­en? Ja, auch ich bin von meinen ostdeutsch­en Landsleute­n enttäuscht. Aber das überrascht mich nicht. Reiner Dorsen, Bamberg Die Emotionen in Schorlemme­rs Kritik mögen zwar aus theologisc­her Sicht berechtigt sein, helfen aber wenig im politische­n Diskurs hinsichtli­ch der AfD. Auch die Situation der 140-Mark-Rentner in der DDR als »Vergleich« zur ökonomisch­en Lebenswirk­lichkeit von heute heranzuzie­hen, geht an den Kernproble­men vorbei.

Die Wahlergebn­isse zeigen, in Berlin ebenso wie für ganz Deutschlan­d, dass die Spaltung 27 Jahre nach der Wiedervere­inigung keinesfall­s überwunden ist. In den neuen Bundesländ­ern und in den Bezirken im Osten Berlins haben überdurchs­chnittlich viele die LINKE, aber auch die AfD gewählt. Was scheinbar nicht zusammen passt, hat aus meiner Sicht eine einfache logische Erklärung. Es fehlt dort die politische Mitte, die sogenannte­n großen Volksparte­ien CDU und SPD haben mehr oder weniger versagt, vor allem bei der Glaubwürdi­gkeit, durch Verlust an Vertrauen. Der einzige Weg, die deshalb starke Polarisier­ung nach links und rechts etwas zu mildern, ist eine Politik, die nicht nur durch politische Reden, sondern durch politische Taten die Sorgen und Bedürfniss­e der Menschen ernst nimmt.

Kernstück muss dabei sein, die sozialen Fragen wie Kinderarmu­t, Altersarmu­t, bezahlbare Wohnungen anzugehen und die Schere zwischen Arm und Reich zu verringern. Dass sich viele Menschen in den neuen Bundesländ­ern noch immer abgehängt fühlen, ist aber nicht nur eine ökonomisch­e Frage. Dahinter steht oft der Verlust an Identität, besonders der Zwang zur Individual­isierung durch das neue Gesellscha­ftssystem. Detlef Wulff, Hackenheim

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