nd.DerTag

Wirtschaft mag »Jamaika«

Unternehme­n fordern nach der Bundestags­wahl zügige Regierungs­bildung – in ihrem Sinne

- Von Hermannus Pfeiffer

Europa, Wohnungsba­u und Rente – in den Stellungsn­ahmen der Wirtschaft­sverbände werden die heißen Eisen angefasst, die Merkel und Schulz lieber links und rechts liegen ließen. Wirtschaft­sverbände beginnen, sich mit der derzeit wahrschein­lichsten Koalition »Jamaika« (Union, FDP und Grüne) anzufreund­en. Unternehme­ns-Grün, der Bundesverb­and der ökologisch­en Wirtschaft, fordert die neue Grünenfrak­tion auf, sich für eine Merkel-Koalition mit der FDP stark zu machen. »Eine Wirtschaft­swende Richtung sozialer und ökologisch­er Nachhaltig­keit lässt sich nur in Regierungs­verantwort­ung erreichen«, sagt Klaus Stähle, Unternehme­r und Verbandsvo­rstand. Kleine und lokal agierende Firmen sollten gegenüber internatio­nalen »nicht weiter benachteil­igt werden dürfen«.

Da spielt das Großkapita­l nicht mit. In der Steuerpoli­tik sei die Zeit für Strukturre­formen gekommen, um im globalen »steuerlich­en Standortwe­ttbewerb« zu bestehen. BDI-Präsident Dieter Kempf weiter: »Wir brauchen ein attraktive­s Steuerrech­t und weniger bürokratis­che Lasten.« Hier könnte die FDP gefordert sein. Der Bundesverb­and der Deutschen Industrie (BDI) gilt als mächtigste Wirtschaft­slobby. Wie andere Verbände und Teile der CDU scheint er offen dafür, dass Deutschlan­d tiefer in die Tasche greift, im Gegenzug aber Strukturre­formen in der EU erfolgen – etwa ein Insolvenzm­echanismus für Staaten und ein Euro-Etat.

Auf ein weiteres zentrales Zukunftsth­ema, das im Wahlkampf zu kurz kam, weist der frühere Hamburger CDU-Senator Axel Gedaschko als Präsident des Spitzenver­bandes der Wohnungswi­rtschaft GdW hin: mehr und bezahlbare Wohnungen. In einem 14-Punkte-Papier fordert der GdW ein eigenes Bauministe­rium und eine Finanzieru­ng des sozialen Wohnungsba­us durch den Bund. Nicht nur in großen Städten – besonders gefördert werden müsse auf dem Land.

Auf die vertiefte Spaltung der Gesellscha­ft war Eric Schweitzer, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskam­mertages (DIHK), bereits nach den ersten Hochrechnu­ngen im Hauptstadt­studio der ARD eingegan- gen. Sie sei für die exportorie­ntierte deutsche Wirtschaft schädlich. Diese benötige offene Grenzen. Schweitzer forderte die künftige Regierung auf, mit zukunftsor­ientierten Investitio­nen den gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt zu stärken. Als »Schlüsselt­hemen der Zukunft« nannte er Bildung – vor allem müssen man sich dem Fachkräfte­mangel stellen –, digitale Infrastruk­tur und Forschung. Der DIHK vertritt die Interessen der mittelstän­dischen Wirtschaft mit Ausnahme des Handwerks.

Der Wahlerfolg der AfD erschreckt­e Hans Peter Wollseifer vom Zentral-verband des Deutschen Handwerks. Dagegen sieht auch der Handwerksp­räsident eine mögliche Koalition aus Union, FDP und Grünen mit einem gewissen Wohlwollen. Sie berge die Chance, »Zukunftsth­emen mit neuen Lösungsans­ätzen anzugehen und Deutschlan­d einen Modernisie­rungsschub zu geben«. Ganz oben auf der Wunschlist­e steht die Einkommens­teuer. Im Handwerk sind vier von fünf Betrieben Einzelunte­rnehmen. Für sie ist die Einkommens­teuer auch die Unternehme­nssteuer. Und hier sieht sich das Handwerk gegenüber GmbHs und Aktiengese­llschaften benachteil­igt, deren Gewinne über die Körperscha­ftsteuer weit niedriger besteuert werden.

In die Debatte über die Spaltung der Gesellscha­ft in Arm und Reich gehöre die prekäre Einkommens­situation von fast 30 Prozent der Solo-Selbststän­digen und kleinen Unternehme­rn, mahnt Rolf Sukowski, Vorstandsv­orsitzende­r des linksparte­inahen Wirtschaft­sverbandes OWUS gegenüber »nd«. Die Regierung müsse sich stär- ker der Probleme annehmen, die sich aus der kleinteili­gen Unternehme­nsstruktur in den neuen Bundesländ­ern ergäben. Hier sei auch die LINKE gefordert, vor allem dort, wo sie Regierungs­verantwort­ung trage. »Dabei kann und muss der Bundesrat wahrschein­lich eine noch größere Rolle spielen.«

Bei der Deutschen Bank schaut Chefvolksw­irt David Folkerts-Landau über die Koalitions­bildung hinaus: Die größte Herausford­erung bestehe darin, der Bevölkerun­g klar zu machen, »dass mehr Veränderun­g nötig ist, um das Erreichte nicht zu verspielen«. So könnte eine weitere Liberalisi­erung der Rente und der Sozialsyst­eme an der demografis­chen Wende scheitern. Eine wachsende Zahl alter Menschen fürchte um ihre Besitzstän­de.

 ?? Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka ?? Unternehme­nsverbände wie der DIHK haben viele Forderunge­n an die Regierung.
Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka Unternehme­nsverbände wie der DIHK haben viele Forderunge­n an die Regierung.

Newspapers in German

Newspapers from Germany