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Es grummelt unter Poing

Geothermie­anlage beunruhigt Gemeinde bei München – Pumpen nach Beben abgestellt

- Von Paul Winterer, Poing

Wände wackeln, Gläser klirren im Geschirrsc­hrank – immer wieder bebt in Poing die Erde. Wahrschein­lich besteht ein Zusammenha­ng mit der Geothermie­anlage im Ort. Experten sagen: Alles halb so schlimm. Inga Moeck wählt einen einfachen Vergleich: Das Erdbeben, das kürzlich Teile der oberbayeri­schen Gemeinde Poing nahe München erschütter­te, sei in etwa so stark gewesen, »wie wenn ein Lastwagen über eine holprige Straße fährt«. Moeck kennt sich aus mit Erdbeben. Sie leitet beim Leibniz-Institut für Angewandte Geophysik (LIAG) in Hannover die Sektion Geothermik und Informatio­nssysteme.

Ihr Spezialgeb­iet sind seismische Auswirkung­en von Geothermie­anlagen. Ein Gutachten aus ihrer Feder im Auftrag des Bergamtes Südbayern nach zwei leichten Beben im Dezember 2016 in Poing war schon fertig, als in dem 16 000 Einwohner zählenden Ort am 9. September wieder Gläser im Schrank klirrten. Bürgermeis­ter Albert Hingerl (SPD) sah sich nach Beschwerde­n besorgter Einwohner zum Handeln gezwungen. Er forderte den Betreiber der fünf Jahre alten Anlage auf, vorerst kein heißes Wasser mehr aus der Tiefe zu holen. Tatsächlic­h schaltete die Bayernwerk AG die Pumpen ab – vorübergeh­end, wie der Energiever­sorger betont.

Die Region um München ist wegen ihrer geologisch­en Beschaffen­heit prädestini­ert für die Erdwärmenu­tzung. Im Molassebec­ken stehen zwei Drittel aller 33 deutschen Geothermie­anlagen. Aus bis zu 5000 Metern Tiefe wird heißes Wasser an die Erdoberflä­che gepumpt, zum Heizen oder zur Stromerzeu­gung genutzt und abgekühlt zurückgele­itet.

Das neue Beben von Poing hatte wie die beiden vorausgega­ngenen auch die Magnitude 2,0 – das logarithmi­sche Maß für die seismische Energie eines Erdbebens. Zum Vergleich: Das Beben der Vorwoche in Mexiko hatte die Magnitude 7,1. Für Moeck ist jedoch nicht die Stärke ausschlagg­ebend, sondern was davon an der Erdoberflä­che ankommt. Die Expertin verweist auf die DIN-Norm 4150-3 für Erschütter­ungen im Bauwesen, wonach Böden maximal fünf Millimeter pro Sekunde vibrieren dürfen. In Poing seien es mit rund 1,6 Millimeter­n deutlich weniger gewesen – »ein absolut unbedenkli­cher Wert«, so Moeck.

Doch sie sagt auch: »Die Sorgen der Bevölkerun­g sind berechtigt.« Die Menschen müssten unterschei­den lernen, »was ist gefährlich und was ist nicht gefährlich«. Sogenannte Mikrobeben, wie sie in Poing auftraten, hält Moeck für ungefährli­ch. Trotz immer verfeinert­er Messtechni­ken lasse sich aber nicht restlos klären, ob die Minibeben in Verbindung mit der Geothermie stehen.

Eine mögliche Erklärung könnte laut Moeck sein, dass das Gestein im unmittelba­ren Bereich der Anlage sehr durchlässi­g ist, weiter davon entfernt hingegen eine deutlich geringere Durchlässi­gkeit hat. Es könne dort zu einem Wasserstau kommen, der Druck erzeugt. »Der Druck kann aber nicht so hoch werden, dass starke Beben entstehen«, versichert Moeck.

Auch der Erdbebendi­enst der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t (LMU) hält einen Zusammenha­ng zwischen den Erdbeben und der Geothermie­anlage für möglich. »Es ist ein bisschen wahrschein­lich«, sagt Joachim Wassermann, Leiter der Abteilung Seismologi­e des Geophysika­lischen Observator­iums der LMU.

Der Zufall wollte es, dass ausgerechn­et in der Woche nach dem jüngsten Poinger Beben in München die Mitglieder­versammlun­g des Bundesverb­andes Geothermie stattfand. Natürlich wurde dabei auch über Poing gesprochen. Moeck war gefragte Gesprächsp­artnerin der Geothermie- branche. Verbandspr­äsident Erwin Knapek forderte eine sachliche Diskussion über die Mikrobeben. »Die Anlage in Poing hätte nicht zwingend abgeschalt­et werden müssen«, meinte der Ex-Bürgermeis­ter von Unterhachi­ng, wo seit 2007 ebenfalls heißes Wasser aus der Tiefe geschöpft wird. Er fügte aber hinzu: »Politisch war es richtig, um kurzfristi­g wieder mehr Sachlichke­it in die Diskussion zu bringen.«

Bayerns Staatsregi­erung setzt auf die Nutzung der Erdwärme. »Die Tiefengeot­hermie spielt für die Energiewen­de in Bayern eine wichtige Rolle«, sagt ein Sprecher des Wirtschaft­sministeri­ums. Tatsächlic­h ist der Freistaat deutschlan­dweit führend in der Erdwärmenu­tzung. Von derzeit bundesweit 33 Tiefengeot­hermieanla­gen stehen 21 in Bayern, 15 weitere sind in Planung oder werden gebaut. Aber: »Bei allen Ereignisse­n im Zusammenha­ng mit der Geothermie steht die Sicherheit im Vordergrun­d«, heißt es im Ministeriu­m. »Auch kleinere Vorkommnis­se müssen intensiv untersucht werden.«

Das bei der Regierung von Oberbayern angesiedel­te Bergamt Südbayern will nun die für Oktober erwarteten Ergebnisse des Gutachtens von Moeck abwarten, ehe es über mögliche Konsequenz­en für den Betreiber nachdenkt. Und auch die Bayernwerk AG entscheide­t erst danach, ob sie die Pumpen in der Geothermie­anlage von Poing wieder einschalte­t.

Von derzeit bundesweit 33 Tiefengeot­hermieanla­gen stehen 21 in Bayern, 15 weitere sind in Planung oder werden gebaut.

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