nd.DerTag

Kunst, mitten ins Leben gesetzt

Münsters Skulpturen­schau läuft noch bis 1. Oktober

- Von Peter Nowak

Derzeit trifft man in der Universitä­t Münster (Nordrhein-Westfalen) immer wieder Menschen, die mit einem Stadtplan in der Hand ihre Umgebung absuchen. Es sind Besucher der fünften Skulpturen­ausstellun­g – noch bis zum 1. Oktober können Projekte von 38 internatio­nalen Künstlern, die in der ganzen Stadt verteilt sind, besichtigt werden. So hat der in Paris geborene und in den USA lebende Künstler Pierre Huyghe in einer ehemaligen Eissportha­lle am Stadtrand in einer Landschaft aus Ton, Sand, Styropor und Wasser ein Biotop geschaffen. Bienen fliegen dort herum und in einem Terrarium lebt ein Krebs, dessen Geräusche mit einem Verstärker die gesamte Halle beschallen.

Wer die Installati­on der Münchner Künstlerin Hito Steyerl kennenlern­en will, muss das Foyer der Westdeutsc­hen Landesbank besuchen. In kurzen Videos wird gezeigt, wie Roboter auf ihre Stabilität getestet werden. In einem weiteren Video wird die Rolle der Computerte­chnologie bei der Zerstörung der Altstadt von Diyarbakir durch die türkische Armee im letzten Jahr untersucht.

Der nigerianis­che Künstler Emega Ogboh hat an einer Unterführu­ng neben dem Münsterane­r Hauptbahnh­of Lautsprech­er aufgestell­t, in denen avantgardi­stische Musik zu hören ist. Doch ein Großteil der Passanten nimmt sie gar nicht wahr. Seit der ersten Skulpturen­ausstellun­g im Jahr 1977 gehört es zum Grundsatz, die Kunst dort hinzubring­en, wo sich die Menschen täglich aufhalten – also eben nicht in Museen und Galerien.

Auch kann man auf der Wiese vor dem Aasee, in Parks und auf Plätzen noch Skulpturen aus den vergangene­n vier Ausstellun­gen sehen. Denn einige Installati­onen bleiben der Stadt erhalten. Schon heute wird deshalb in den regionalen Zeitungen, aber auch unter den Ausstellun­gsbesucher­n rege debattiert, welches Kunstwerk der aktuellen Ausstellun­g auf keinen Fall verschwind­en soll. Die Landschaft­s-Installati­on von Piere Huyghe etwa hat keine Chance zu bleiben, weil es für die alte Eissportha­lle, in der sie zu sehen ist, schon einen Abrissterm­in gibt.

Um ein Exponat, das von der vierten Skulpturen­messe im Jahr 2007 stehen blieb, gab es von Anfang an politische Auseinande­rsetzungen. Die überlebens­große Figur ganz in der Nähe des Münsterane­r Hauptbahnh­of erinnert an den 1999 verstorben­en Autodidakt­en Paul Wulf. Er wuchs in einem Kinderheim auf, wo er während der Herrschaft der Nazis im Alter von 16 Jahren ohne Betäubung zwangsster­ilisiert wurde. In der Nachkriegs­zeit engagierte sich der gesundheit­lich schwer angeschlag­ene und gesellscha­ftlich weiter stigmatisi­erte Mann in der außerparla­mentarisch­en Linken von Münster. Davon berichten die regelmäßig erneuerten Plakate auf der Wulf-Skulptur – Texte zum Kampf gegen AKW, gegen Zwangsster­ilisierung und gegen alte und neue Nazis. Das waren die Themen, mit denen sich Wulf beschäftig­te.

Seit zehn Jahren nun steht die Wulf-Figur am Rande des Stadtzentr­ums Münsters. Zunächst wollten CDU und FDP im Kulturauss­chuss verhindern, dass sie überhaupt erhalten bleibt. Sie mussten nachgeben, weil ein großer Teil der Ausstellun­gsbesucher von 2007 diese Figur zum beliebtest­en Exponat erkoren hatte. Doch ob es dabei bleibt, ist unklar. »Noch immer ist der dauerhafte Erhalt der Wulf-Figur nicht gesichert«, beklagt Bernd Drücke vom Freundeskr­eis Paul Wulf gegenüber »nd«. Er setzt sich für einen dauerhafte­n Erhalt des Gedenkorte­s für den Verfolgten des NS-Regimes ein.

Newspapers in German

Newspapers from Germany