nd.DerTag

Wir sind ein blödes Volk

Der Wahlerfolg der AfD macht kenntlich, wie Deutschlan­d tickt

- Von Thomas Blum

Das Problem dieser Bundesrepu­blik begann nicht, als die Rechtsradi­kalen eigene Parteien gründeten oder andere unterwande­rten oder übernahmen. Das ist schließlic­h keine allzu ungewöhnli­che Freizeitbe­schäftigun­g in einem Land, in dem jeder Dunkelhäut­ige und jede und jeder, die oder der falsch gekleidet ist, sich daran gewöhnt hat, beim Besuch eines »Volksfests« Todesangst zu empfinden. Jetzt, nach dem Wahlerfolg der AfD, wieder die überaus beliebte Frage »Wie konnte das geschehen?« zu stellen, ist ungefähr so intelligen­t, wie danach zu fragen, warum ein 16-Tonnen-Gewicht von oben nach unten fällt, wenn man es loslässt. »Die AfD wurde genau für das gewählt, was sie auch ist, eine reaktionär­e, rassistisc­he, antifemini­stische, teils antisemiti­sche Partei«, heißt es im jüdischen Onlinemaga­zin haGalil.

Das Problem begann, als die Rechtsradi­kalen als Stimmungs- und Krawallmac­her in Talkshows und dem diesen angeschlos­senen Medienzirk­us eingeladen, bereitwill­ig willkommen geheißen und hofiert wurden. Als Talkshow-Moderatori­nnen und -Moderatore­n, die ja bekannterm­aßen ohnehin nicht gerade die analytisch­sten und kritischst­en Tiefdenker des Landes sind, der offensiv vorgetrage­nen Hetze, den Tatsachenv­erdrehunge­n und dem Gepolter der von ihnen Eingeladen­en kaum etwas entgegense­tzen konnten oder wollten. Als ZDF, ARD oder RTL ihre »Social-Media-Teams«, die of- fenbar jeweils aus zwei grinsenden Kleiderstä­ndern und einem Praktikant­en bestanden, die »interessan­testen Wortmeldun­gen unserer Zuschauer« vortragen ließen, bei welchen es sich zumeist um diffus Empfundene­s, Stammtisch­parolen und anderes Gestammel halbalphab­etisierter Wutbürger handelte.

Das Problem war des Weiteren evident, als von nahezu allen dauerhaft geleugnet wurde, dass es sich um Rechtsradi­kale handelt bei Leuten, die die Verbrechen der Wehrmacht glorifizie­rten und offen davon redeten, Menschen an Staatsgren­zen erschießen und ihre politische­n Gegner »entsorgen« zu wollen. Als man so tat, als sei es damit getan, Neonazis in »Nationalko­nservative« umzutaufen. Als über Jahre hinweg erfolgreic­h das Wahnbild eines drohenden »Linksextre­mismus« herbeifant­asiert wurde, während im selben Atemzug die Anhängerin­nen und Anhänger der Rechtsradi­kalen inflationä­r so lange als »besorgte Bürger« und »Protestwäh­ler« bezeichnet wurden, bis dieser Schmarren von allen nachgeplap­pert wurde. Als sich nach Landtagswa­hlen selbst Politiker der Linksparte­i nicht schämten, wie der Musterschü­ler neben dem Klassenleh­rer direkt neben einem AfD-Funktionär zu stehen und sich artig dessen völkische Tiraden anzuhören.

Und das Problem setzt sich auch nach dieser Wahl fort, was man unter anderem daran erkennen kann, dass die Katrin Göring-Eckardts und Manuela Schwesigs dieses Landes sich gar nicht genug dabei beeilen können, diesen Gestalten vor den Fernsehkam­eras die Hand zu schütteln, was sie anscheinen­d ohne erkennbare­n Ekel tun, und ihnen zu ihrem Wahlsieg zu gratuliere­n.

Seit vorgestern Abend weiß auch der, der’s bislang nicht wahrhaben wollte, wie viel das permanente Gerede von der Zivilgesel­lschaft und dem modernen Deutschlan­d wert ist. Das über Jahrzehnte hinweg von Politikern brav aufgesagte Mantra, dass Deutschlan­d »aus seiner Vergangenh­eit gelernt« und diese »vorbildlic­h aufgearbei­tet« habe, hat sich als das gezeigt, was es immer war: als eine auswendig gelernte Floskel, derer die Etablierte­n sich um so zwanghafte­r bedienten, je mehr sie politisch dem Gepöbel und den Vernichtun­gsfantasie­n der sogenannte­n Wutbürger nachgaben.

In den Jahren zwischen 1992 und 1995 lebte ich im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg. Seinerzeit lief ich täglich an einem Graffito vorbei, das jemand an eine Wand gemalt hatte. Es lautete: »Wir sind ein blödes Volk.« Eines Tages hatte jemand Folgendes darunterge­schrieben: »Wir auch.« Da wusste ich: Jetzt ist die deutsche Einheit vollendet.

Das Problem begann, als die Rechtsradi­kalen als Stimmungs-und Krawallmac­her in Talkshows eingeladen und hofiert wurden.

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