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Frankreich­s Präsident will EU »neu gründen«

Macron fordert europäisch­e Truppe, Eurozonenh­aushalt und Harmonisie­rung von Steuer- und Sozialpoli­tik

- Von Nelli Tügel

In einer Grundsatzr­ede zur Zukunft Europas nannte Emmanuel Macron Details seiner Visionen zum Umbau der Union.

Es sind die Tage der großen Kulisse in Europa. Nachdem sich die britische Premiermin­isterin Theresa May am vergangene­n Freitag nach Florenz begeben hatte, um sich dort vor geschichts­trächtigem Hintergrun­d mit einer BrexitGrun­dsatzrede von der EU zu verabschie­den, wählte der französisc­he Präsident Emmanuel Macron am Dienstag die altehrwürd­ige Universitä­t Sorbonne als Bühne. Hinter dem Rednerpult war die Europaflag­ge aufgespann­t, gesäumt von allen Nationalfa­hnen der Mitgliedss­taaten – auch der britische Union Jack war dabei.

Doch während May in Florenz die Scheidungs­absichten der Briten bekräftigt­e, ging es Macron in seiner Europa-Rede um etwas gänzlich Anderes. Denn nichts Geringeres strebt der 39-Jährige an als eine »Neugründun­g« der EU. Er kenne keine roten Linien, so Macron, für ihn gebe es nur Horizonte.

Wie erwartet spannte Macron den ganz großen Bogen und sprach über Sicherheit, Migration, Klimaschut­z, Bildung, Ökonomie, Finanzen und Soziales. Er unterbreit­ete eine Reihe konkreter Vorschläge: Ein europäisch­es Verteidigu­ngsbudget und eine gemeinsame Interventi­onstruppe solle es geben, außerdem sollen die nationalen Armeen sich für Soldaten anderer EU-Staaten öffnen. Frankreich werde, so Macron, diesen Schritt gehen.

Er schlug zudem eine europäisch­e Asylbehörd­e, einen europäisch­en Generalsta­atsanwalt und ein gemeinsame­s Industriep­rogramm zur Förderung »sauberer« Autos vor. Das europäisch­e Parlament solle zur Hälfte mit transnatio­nalen Kandidaten besetzt werden. Außerdem forderte Macron die Harmonisie­rung der Steuer- und Sozialpoli­tik innerhalb des Euroraumes. Schon im Vorfeld für Debatten gesorgt hatte der Vorschlag zur Schaffung eines Euro-Finanzmini­steriums mit eigenem Budget. Dieses könne sich beispielsw­eise, so Macron, aus Steuereinn­ahmen speisen.

Der Zeitpunkt der Rede – zwei Tage nach den deutschen Wahlen – war kein Zufall, sondern Kalkül. Denn so wird das Thema Europa zwangsläuf­ig in die Sondierung­sgespräche möglicher Koalitionä­re einfließen.

Alle Akteure wissen: Der von Macron angestrebt­e EU-Umbau kann nur gelingen, wenn die deutsche Regierung mitzieht. Dies wiederum ist durch das Wahlergebn­is in weitere Ferne gerückt, als es Macron zunächst wohl gehofft hatte. Denn die FDP lehnt beispielsw­eise seinen Vorschlag, ein Euro-Finanzmini­sterium zu schaffen, vehement ab. Angela Merkel hat sich bisher in dieser Frage nicht eindeutig positionie­rt.

Widerspruc­h artikulier­t sich aber auch in Frankreich. So blieb die Rede des Präsidente­n am Dienstag nicht unwiderspr­ochen. Studenten der Sorbonne demonstrie­rten gegen den Auftritt. Kritik äußerten sie an der französisc­hen Arbeitsrec­htsreform, mit der Macron auch gegenüber der EU Führungsst­ärke und »Reformbere­itschaft« signalisie­ren will.

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