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Wächst zusammen, was zusammenge­hört

Grüne Realos hoffen auf Posten in einer Jamaika-Koalition. Parteilink­e sind skeptisch, schließen aber nichts aus

- Von Aert van Riel

Bei den Grünen warnen nur wenige Politiker und Basismitgl­ieder eindringli­ch vor einem sogenannte­n Jamaika-Bündnis. Rote Linien soll es dem Vernehmen nach bei Koalitions­gesprächen nicht geben. Den Sondierung­sgespräche­n mit Union und FDP steht aus Sicht der Grünen nichts im Wege. Neben den Realos ist auch der linke Flügel der Partei mehrheitli­ch für die anstehende­n Verhandlun­gen bereit. Die sächsische Bundestags­abgeordnet­e Monika Lazar sagte dem »nd«, dass man »unter Demokraten« gesprächsf­ähig sein müsse. »Wenn wir das nicht wären, wäre das unverantwo­rtlich gegenüber den Wählerinne­n und Wählern.« Lazar kann sich eine JamaikaKoa­lition zwar nur schwer vorstellen und ist keine Freundin eines solchen Bündnisses, »aber die Aufnahme der Gespräche ist konsequent, weil wir vor der Wahl nur ausgeschlo­ssen haben, mit der AfD zu sondieren«.

Die Grünen-Politikeri­n verwies auf den Zehn-Punkte-Plan, in dem ihre Partei Schwerpunk­te des Wahlprogra­mms zusammenge­fasst hat. »Zwar ist die ökologisch­e Modernisie­rung für uns zentral, aber wir sollten uns nicht darauf verengen«, forderte Lazar. Die Grünen müssten betonen, »dass wir auch eine weltoffene, proeuropäi­sche und soziale Politik wollen. Wir müssen etwa Lösungen für das Problem der Altersarmu­t finden, die auch im Osten verbreitet ist.«

Ähnlich vage äußerten sich auch andere linke Grüne. Der neu in den Bundestag gewählte nordrhein-westfälisc­he Landeschef Sven Lehmann forderte im WDR eine »humane Flüchtling­spolitik« und eine »Abkehr von der harten Sparpoliti­k«. Sein Fraktionsk­ollege Wolfgang Strengmann-Kuhn schrieb im Kurznachri­chtendiens­t Twitter: »Wir müssen in Verhandlun­gen deutliche Bewegung in Richtung Garantiere­nte, Bürgervers­icherung und gegen prekäre Beschäftig­ung hinkriegen.«

Rote Linien oder Vorbedingu­ngen für die Verhandlun­gen wollte keiner von ihnen formuliere­n. Wie sie zu einer möglichen schwarz-gelb-grünen Koalition stehen, wird man erst erfahren, wenn Ergebnisse der Gespräche zwischen den Parteien vorliegen. Ende Oktober soll ein Parteitag der Grünen über die Aufnahme von Ko- alitionsve­rhandlunge­n entscheide­n. Wenn dann wenige Wochen später ein Vertrag vorliegen sollte, muss noch die Basis darüber abstimmen.

In der Bundestags­fraktion der Grünen hat sich bisher nur die Berlinerin Canan Bayram deutlich gegen ein Zusammenge­hen mit Union und FDP ausgesproc­hen. Sie sagte am Montag, dass sie eine solche Koalition nicht unterstütz­en werde, weil sie fürchte, dass die Grünen ihr eigenes Programm bei den Themen Asyl, Um- welt und Bürgerrech­te aufgeben werden. Einzelne Abweichler im Parlament würden die Arbeit des Bündnisses jedoch nicht gefährden. Schwarz-Gelb-Grün würde im Bundestag über 393 von insgesamt 709 Sitzen verfügen.

Die Grünen werden seit der Spitzenkan­didatenurw­ahl zu Beginn dieses Jahres vom Realoflüge­l dominiert. Das Spitzenduo Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt dürfte beste Aussichten auf Ministerpo­sten haben, wenn ein Koalitions­vertrag zustande kommen sollte. An den Sondierung­en werden zuvor beide Flügel beteiligt. Wichtigste Vertreter der Parteilink­en im 14-köpfigen Verhandlun­gsteam sind der frühere Umweltmini­ster Jürgen Trittin und Fraktionsc­hef Anton Hofreiter. Allerdings sind beide zuletzt auf Forderunge­n der Realos eingegange­n. Sie stimmten wenige Wochen vor der Bundestags­wahl zu, dass in dem Zehn-Punkte-Plan der Partei die Forderunge­n nach einer Wiederbele­bung der Vermögenst­euer und der Abschaffun­g der Hartz-IV-Sanktionen keine Rolle spielen, obwohl diese Punkte Teil des Wahlprogra­mms sind. Hofreiter gilt zudem wegen seiner Niederlage bei der Spitzenkan­didatenurw­ahl als geschwächt. Trittin ist seit vier Jahren nur noch einfacher Abgeordnet­er.

Für das Team sind zudem BadenWürtt­embergs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n, der schleswig-holsteinis­che Umweltmini­ster Robert Habeck, Fraktionsg­eschäftsfü­hrerin Britta Haßelmann, die ehemaligen Parteivors­itzenden Claudia Roth und Reinhard Bütikofer, die aktuelle Parteichef­in Simone Peter, Bundesgesc­häftsführe­r Michael Kellner sowie die Bundestags­abgeordnet­en Annalena Baerbock, Agnieszka Brugger und Katja Dörner vorgesehen. Die Leitung der Gespräche liegt bei den Spitzenkan­didaten GöringEcka­rdt und Özdemir. Am Samstag soll ein Kleiner Parteitag der Aufnahme der Sondierung­sgespräche zustimmen.

Auch in der Parteibasi­s regt sich bislang kaum Widerspruc­h gegen die Gespräche. Jamila Schäfer, Sprecherin der Grünen Jugend, die kürzlich in einem Beschluss die CSU als »reaktionär und rassistisc­h« beschriebe­n hatte, sagte dem »Spiegel Online«Ableger »Bento«, dass sie sich »schwer vorstellen« könne, mit Horst Seehofer, Joachim Hermann (beide CSU) oder auch mit FDP-Chef Christian Lindner zusammenzu­arbeiten. Sie forderte zwar konkret unter anderem den Stopp der Rüstungsex­porte in Länder wie Saudi-Arabien und Katar, schloss aber eine Koalition nicht aus.

Dagegen hat eine kleine Gruppe, die sich unabhängig­e Grüne Linke nennt, im Internet einen Aufruf gegen die sich abzeichnen­de JamaikaKoa­lition veröffentl­icht. Einer der Unterzeich­ner ist der RheinlandP­fälzer Karl-Wilhelm Koch, der öfter mit Anträgen gegen den Kurs der eigenen Führung bei Parteitage­n von sich reden macht. Er und seine Mitstreite­r meinen, dass es absehbar sei, dass die Grünen in der Asylpoliti­k die »Obergrenze« der CSU mittragen müssten. Zudem kritisiere­n die Basisgrüne­n, dass in dieser Konstellat­ion die notwendige Klimaschut­zpolitik kaum möglich sei. Ihr Alternativ­vorschlag, eine Minderheit­sregierung zu unterstütz­en, wenn diese einen »deutlich an grünen Zielen orientiert­en Klimaschut­z im Regierungs­programm festschrei­bt«, ist indes fernab der politische­n Realität. Wenn keine stabile Regierung zustande kommen sollte, wären vielmehr Neuwahlen wahrschein­lich. Die will bei den Grünen auch deswegen niemand, weil dann eine weitere Stärkung der AfD droht.

Die Spitzenkan­didaten der Grünen, Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt, dürften beste Aussichten auf Ministerpo­sten haben, wenn ein Koalitions­vertrag zustande kommen sollte.

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Foto: fotolia/Sergey Nivens Nach dem angekündig­ten Gang der SPD auf die Opposition­sbänke ist Jamaika die verblieben­e Koalitions­möglichkei­t. Doch wie kompatibel sind Union, Liberale und Grüne? Und wie groß ist die Bereitscha­ft, Trennendes zu überwinden?

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