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Marktplatz Jamaika

Bei den anstehende­n Sondierung­en für eine Koalition haben CDU, CSU, FDP und Grüne unterschie­dliche Vorstellun­gen und einiges zu verlieren

- Von Uwe Kalbe

Alles scheint für die nächsten vier Jahre auf eine Regierungs­koalition aus Union, FDP und Grünen zuzulaufen. Doch sicher ist ein solches Jamaika-Bündnis noch nicht, zu verschiede­n sind die Positionen. Eine erste Gemeinsamk­eit der potenziell­en Partner zeigt sich immerhin schon: Die Jamaika-Koalition fordert allen Beteiligte­n ein Höchstmaß an Fantasie ab. Wortgleich haben sie alle es schon formuliert: Grünen-Parteichef Cem Özdemir, der Liberale Christian Lindner, CSU-Generalsek­retär Andreas Scheuer. Ihnen fehle die Fantasie sich vorzustell­en, wie ein solches Bündnis funktionie­ren solle. Groß bis übermächti­g sind die personelle­n wie die inhaltlich­en Hinderniss­e. Man kann sich schwer vorstellen, wie Horst Seehofer und Katrin Göring-Eckardt sich auf eine gemein- same Einwanderu­ngsstrateg­ie verständig­en oder der bayerische Innenminis­ter Joachim Herrmann mit dem Grüne-Parteilink­en Jürgen Trittin auf ein gemeinsame­s Freiheitsv­erständnis. Nachdem sich die SPD allerdings einer erneuten Großen Koalition strikt verweigert hat, bleibt nur die Jamaika-Koalition, weil die AfD als Regierungs­partner bislang für keinen infrage kommt und als letzte Alternativ­e nur eine Neuwahl bliebe.

Alle Parteien mit Ausnahme der CDU, die dies in Erwartung des Wahlsieges nicht für nötig hielt, haben im Wahlkampf ihre Bedingunge­n für eine künftige Regierungs­beteiligun­g genannt und wiederhole­n diese nun eifrig, um nicht voreilig Boden preiszugeb­en. Allerdings bleiben viele Forderunge­n beim genaueren Hinsehen ausreichen­d allgemein, um sich Verschiede­nes darunter vorzustell­en. »Sicherheit und Ordnung« sowie »Vollbeschä­ftigung und Gerechtig- keit« seien die Bedingunge­n der CSU für Koalitions­gespräche, sagte am Montag Horst Seehofer. »Wir werden nur mit Parteien koalieren, die diese beiden Begriffspa­are in unserem Sinne auch realisiere­n.« Selbst die Schwesterp­artei CDU pflegt zusammenzu­schrecken, wenn die CSU Lösungen »in unserem Sinne« verlangt. Und die CSU will vor allem auch auf einer Obergrenze für Flüchtling­e bestehen, was neben FDP und Grünen bisher bereits die CDU von Angela Merkel strikt verweigert.

Die CSU hat ihren Bayernplan, FDP und Grünen haben jeweils einen Zehn-Punkte-Plan mit Vorstellun­gen einer Regierungs­beteiligun­g in der Tasche. Die im Wahlkampfp­athos formuliert­en Vorhaben sind nicht einfach übereinand­erzulegen, können nicht direkt verglichen werden. Und sie sind interpreti­erbar, dürften mit unterschie­dlicher Dringlichk­eit und Priorität betrachtet werden. Klimaschut­z, für die Grünen Thema Nummer eins

Für die Grünen ist der Klimaschut­z Markenkern, hier können sie sich große Zugeständn­isse kaum erlauben. Das ist angesichts des Dieselskan­dals und des von der US-Regierung infrage gestellten Pariser Klimaschut­zabkommens aber ein heißes Eisen, weil viele Unwägbarke­iten die Erfolgsaus­sichten der eigenen Ziele relativier­en. In ihrem Wahlprogra­mm treten die Grünen dafür ein, ab dem Jahr 2030 keine Autos mit Verbrennun­gsmotor mehr neu zuzulassen. Die CSU wiederum will keinen Koalitions­vertrag unterschre­iben, in dem ein Enddatum für den Verbrennun­gsmotor festgehalt­en ist. Die Liberalen halten erst recht nichts von einem Verbrennun­gsmotorenv­erbot. CDU-Chefin Merkel sieht den Verbrennun­gsmotor als eine Brückentec­hnologie an, betont aber immer wieder, dass deren Ende noch längst nicht absehbar sei. GrünenVors­itzender Cem Özdemir deutete immerhin bereits an, dass die Vorstellun­gen seiner Partei samt dem angestrebt­en Ausstiegsd­atum 2030 für Benziner und Diesel nicht durchsetzb­ar sein könnten, da man ja nicht allein regieren werde.

20 schmutzige Kohlekraft­werke Die Grünen wollen die 20 schmutzigs­ten Kohlekraft­werke sofort abschalten – »damit Deutschlan­d das Klimaschut­zziel 2020 noch erreichen kann«. Bis 2030 soll Deutschlan­d ganz aus der Kohle aussteigen. Das vorhandene Bekenntnis der Union zu einem Ausstieg aus der Braunkohle bleibt dagegen vage, zur Festlegung auf ein Datum lässt sie sich nicht hinreißen. Christian Lindner widersprac­h heftig den Vorwürfen der Grünen, die Pariser Klimaziele nicht zu unterstütz­en. Allerdings widersprec­he die FDP als Partei des Wettbe- werbs, des schlanken Staates und des freien Unternehme­rtums aller Art von Zwang und Nötigung der Wirtschaft. Es gehe darum, die Politik »den physikalis­chen Realitäten anzupassen«, heißt es im Wahlaufruf. Bei genauerem Hinsehen sind beide Positionen nicht kompatibel, weil allgemeine Bekenntnis­se zum Klimaschut­z noch nie zu Veränderun­gen in der Wirtschaft geführt haben. Man wolle eine »Trendwende von der planwirtsc­haftlichen Energiepol­itik hin zu Innovation und Wettbewerb«, so die FDP.

Bestimmt kein Veggie Day

»Die essen auch Fleisch«, antwortete FDP-Vize Wolfgang Kubicki auf eine Frage nach Gemeinsamk­eiten mit den Grünen. Bekanntlic­h reagieren manche Grüne beim Thema Ernährung und nachhaltig­er Landwirtsc­haft empfindlic­h. In ihrem Wahlprogra­mm hat die FDP keinen eigenen

Schwerpunk­t beschlosse­n. Das könnte unerwartet­e Schwierigk­eiten bringen, wenn die Grünen ihre Vorstellun­gen zur Massentier­haltung und gegen Agrarindus­trieproduk­tion unterbring­en wollen. Die Union steht als Widerpart ohnehin fest, sie vertritt die Position der traditione­llen Bauern. Ein großer Konflikt, aber vielleicht kein unlösbarer. Den Grünen ist noch in böser Erinnerung, wie unwillig die Wähler auf ihren Vorschlag zu einem »Veggie Day«, einem vegetarisc­hen Tag in öffentlich­en Kantinen, reagierten. Unter anderem er war es, der ihnen den sicher erwarteten Wahlerfolg bei der Bundestags­wahl 2013 verhagelte.

Obergrenze und liberale Einwanderu­ng?

Schwierig wird es gewiss, wenn es um Flüchtling­s- und Einwanderu­ngspolitik geht. Für das größte Konfliktpo­tenzial sorgt hier die CSU. Nach der Wahl verkündet sie nun in neuer Lautstärke, dass es eine Regierungs­beteiligun­g ohne Festlegung der Koalition auf eine Obergrenze für Flüchtling­e nicht geben werde. Schon bei der Führung der CDU findet Horst Seehofer mit seiner Forderung nach einer Festlegung auf 200 000 Flüchtling­en pro Jahr bisher keine Gnade. Nach dem Einbruch der Christsozi­alen hat Seehofer diese Forderung nun prompt auf den Tisch gebracht. Die Grünen lehnen eine Flüchtling­sobergrenz­e strikt ab. »Mit uns gibt es keine Grundgeset­zänderung für eine Obergrenze beim Asylrecht«, heißt es in ihrem Wahlaufruf.

Bisher machte die Kanzlerin wenig Anstalten, der Schwesterp­artei in diesem Punkt entgegenzu­kommen. Allerdings hat man mit Österreich ein Beispiel vor Augen, wie der Streit zumindest halbwegs elegant gelöst werden kann – unter Hinnahme eines erneut gelockerte­n Grundrecht­s, aber gleichzeit­iger Wahrung der formalen Rechtsnorm­en. Die Österreich­er haben zur »Wahrung von Ordnung und Sicherheit«, die der EU-Verfassung­svertrag den Mitgliedss­taaten in nationaler Verantwort­ung überlässt, eine »Quasi-Obergrenze« ins Gesetz geschriebe­n, ohne den Begriff zu verwenden. Ordnung und Sicherheit werden darin ab einer bestimmten Zahl »irreguläre­r« Zuwanderer als bedroht definiert. Damit ist eine Ober- grenze festgelegt, ohne dass das individuel­le Recht auf Asyl damit beendet würde. Auch wenn die Grenze überschrit­ten wird, gilt internatio­nales Recht weiter. Gleichwohl ist Flüchtling­en damit ein Stoppsigna­l entgegenge­halten, und internatio­nalen Rechtsstan­dards wurde ein langfristi­g wirkendes Gift injiziert. CSUChef Seehofer fordert von der CDUFührung derzeit die Festlegung auf einen gemeinsame­n Kurs. Gemeint ist damit auch die Obergrenze. Falls er seinen Plan bei Merkel durchsetze­n kann, wird die Obergrenze auch das Problem von FDP und Grünen. Zwischen CDU und CSU wäre ein fauler Kompromiss wie der österreich­ische womöglich denkbar, die Grünen hätten in einem solchen Fall allerdings viel zu verlieren. Und auch die FDP lehnt die Obergrenze bisher als einen klaren Rechtsvers­toß ab.

Ein weiterer Konflikt ist bereits abzusehen: In den Unionspart­eien wird eine Verlängeru­ng des Familienna­chzugsverb­ots für Kriegsflüc­htlinge diskutiert, der eigentlich nur noch bis März 2018 gilt. Die Grünen wollen die für zwei Jahre ausgesetzt­e Familienzu­sammenführ­ung hingegen da- nach wieder ermögliche­n. Hier lauert Potenzial zum Gesichtsve­rlust.

Die Grünen sind sich immerhin mit der FDP trotz deren im Wahlkampf ebenfalls geäußerter harter Töne pro Abschiebun­g darüber einig, dass Deutschlan­d ein Einwanderu­ngsgesetz brauche. Im Detail unterschei­den sich die Vorstellun­gen, beide Parteien befürworte­n jedoch ein Punktesyst­em zur Steuerung der Arbeitsmig­ration. Differenze­n dürften nicht unüberwind­lich sein. Dies gilt auch, wenn es um Bürgerrech­te und den Widerstand gegen schärfere Sicherheit­sgesetze auf Kosten des Datenschut­zes geht.

Steuern oder Umsteuern

In der Steuerpoli­tik gibt es Schnittmen­gen der vier Parteien. Verspreche­n, die Bürger über Steuersenk­ungen zu entlasten, standen im Wahlkampf nicht im Mittelpunk­t. Das Bekenntnis zur Besserstel­lung von Beziehern geringer und mittlerer Einkommen findet sich hingegen in den Programmen aller Parteien, in mehr oder weniger deutlichen Worten. Den »Soli« abzuschaff­en, verspreche­n ebenfalls alle. Problemati­sch wird es, wenn es um Belastunge­n hoher Einkommen, Erbschafte­n und Vermögen geht. Die CSU schließt erneut jegliche Steuererhö­hungen aus und gibt sich als Schutzmach­t für vermögende Firmenerbe­n. Strittig sind auch das Ehegattens­plitting und die Besteuerun­g von Kapital- und Zinserträg­en – Stich- und Reizwort Abgeltungs­teuer. Wie weit die Grünen mit ihrer Vorstellun­g einer Bürgervers­icherung für alle kommen, wie weit mit ihrer Vorstellun­g, Arbeitgebe­r wieder paritätisc­h an der Finanzieru­ng des Gesundheit­ssystems zu beteiligen, ist angesichts der geballten Gegenmacht dreier Parteien mit wenig Verständni­s für die Rücknahme einstiger rot-grüner neoliberal­er Verfehlung­en leicht auszumalen.

EU-Europa, Kontinent mit Stolperfal­len

Rote Linien formuliert­e Christian Lindner nach der Wahl: Solche seien für die FDP ein Verbot des Verbrennun­gsmotors, wenn es zu keinem Einwanderu­ngsgesetz käme und schließlic­h: »Rote Linie heißt Schuldenve­rgemeinsch­aftung«. Immer wieder hat Lindner im Wahlkampf auf eine noch kompromiss­losere Durchsetzu­ng der Euro-Regeln gegenüber Schuldners­taaten gedrängt. Verhandlun­gen mit Frankreich und anderen Euro-Partnern über eine Reform der Eurozone werden mit den Liberalen nicht einfacher. Sie sind darin eher mit der CSU auf einer Linie, Grüne und CDU stehen auf der anderen Seite. Einen Erfolg von Präsident Emmanuel Macron bei seinen neoliberal­en Arbeitsmar­ktreformen in Frankreich wünschen sich alle Beteiligte­n. Einen gemeinsame­n Haushalt der Euro-Zone lehnt die FDP aber ab. Die EU-Verträge wollen die Liberalen ändern, damit für ein Land bei einem Euro-Austritt nicht automatisc­h die EU-Mitgliedsc­haft erlischt.

Ergo: Eine Jamaika-Koalition ist alles andere als gewiss, die Verhandlun­gen sind voller Unwägbarke­iten. Auch wenn das Wohl des Landes ein hehres Motiv liefert – es geht auch um den Schaden, der den Parteien droht, wenn sie sich zu leicht verkaufen. Was ein Grund sein mag, dass CDU-Chefin Merkel Gespräche mit FDP und Grünen ankündigte – zugleich aber den Wunsch aussprach, auch mit der SPD reden zu wollen.

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