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»Krasser Shit« Im Osten weniger Wähler

Verluste im Osten, Zuwächse im Westen, eine starke AfD und eine SPD in der Opposition: Die Wahl hat der Linksparte­i einige Denksporta­ufgaben gestellt

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Die Linksparte­i freut sich nach der Wahl über viele Neueintrit­te – und hat viel zu debattiere­n: Wie weiter im Osten, wie weiter mit der SPD, wie weiter gegen die AfD?

»Krasser Shit«, so formuliert es Sebastian Koch an Tag zwei nach diesem politische­n Erdbeben – und diesmal meint der Landesgesc­häftsführe­r der Berliner Linksparte­i nicht den Aufstieg der rechtsradi­kalen AfD. Er meint die Zahl der neuen Mitglieder. Schon am Wochenende waren viele Menschen in die Linksparte­i eingetrete­n. Nun, so Koch im Internet, laufe der Posteingan­g richtig über. Seit dem Vorwahlfre­itag zählte die Partei bereits mehr als 500 Neumitglie­der. »Und die Zahlen steigen stündlich«, twitterte die Partei. »Das gibt Mut.«

Den können die Genossen auch ganz gut gebrauchen. Denn nach der Wahl, so viel dürfte sicher sein, ist vor wichtigen Debatten. Der Sonntag hat der Linksparte­i einige neue Denksporta­ufgaben gestellt, und einige schon ältere noch einmal ins Hausaufgab­enheft geschriebe­n. Wie wird das Verhältnis zu einer SPD justiert, die nun in die Opposition geht und dort neben der Linksparte­i um den Platz der sozialen Meinungsfü­hrerschaft ringen wird? Wie geht die Linksparte­i mit dem stetigen Rückgang der Zustimmung im Osten um, der das traditione­lle Fundament der Partei und damit Ressourcen und Wahlergebn­isse erodieren lässt? Und was tun gegen eine Zwölf-ProzentAfD im Bundestag?

»Der Erfolg der AfD straft all jene Strategen der Unionspart­eien Lügen, die hofften, durch eine flüchtling­sfeindlich­e Politik rechtsauße­n wieder Stimmen gut zu machen. Wer rechts wählen wollte, wählte lieber das Original«, so kommentier­t die Bundestags­abgeordnet­e Ulla Jelpke das Ergebnis – und man kann das auch als Wortmeldun­g nach innen verstehen – als Reaktion auf eine Äußerung von Spitzenkan­didatin Sahra Wagenknech­t am Wahlabend.

Die hatte mit Blick auf das Flüchtling­sthema erklärt, man habe »dort auch vielleicht bestimmte Probleme ausgeklamm­ert, in der Sorge, dass man damit Ressentime­nts schürt«. Damit habe man es »am Ende« der AfD überlassen, »bestimmte Dinge anzusprech­en, von denen die Menschen einfach erleben, dass sie so sind«. Nicht nur der Berliner Kultursena­tor Klaus Lederer hielt umgehend dagegen: »Eine ernsthafte Linke kann einpacken, wenn sie sich die politische Agenda von 12,6-ProzentRec­htsextreme­n diktieren lässt. Aber das tun wir nicht.«

Auch von außerhalb kam Kritik. Die frühere Grünen-Politikeri­n Jutta Ditfurth forderte die Linksparte­i auf, sie solle »selbstkrit­isch analysiere­n, dass eine nationale ›Linke‹ als Spitzenkan­didatin, die auf Kosten von Flüchtling­en in den Gewässern der AfD fischt, dazu führt, dass Tausende von linken Menschen sie noch nicht einmal mehr aus taktischen Gründen zu wählen bereit waren«.

Nicht dem Druck von Rechts nachgeben

Die erste Reihe der Linksparte­i hatte sich sonst ziemlich deutlich geäußert: »Die AfD muss wissen: In uns findet sie den härtesten Gegner«, so formuliert­e es der Ko-Vorsitzend­e Bernd Riexinger. Und unter der Hand wurde auf Zahlen von Infratest dimap verwiesen, laut denen die Spitzenkan­didaten nur für eine Minderheit der Wähler den Ausschlag für ihre Entscheidu­ng gaben, 84 Prozent votierten für die Linksparte­i wegen ihres Programms oder aus langfristi­ger Bindung.

Jelpke warnte: »Der extremen Rechten werden von jetzt an ganz andere Mittel der Öffentlich­keitsarbei­t und staatliche Finanzen zum Aufbau ihrer Strukturen zur Verfügung stehen.« Die Linksparte­i sei deshalb »als konsequent antifaschi­stische Opposition­skraft gefordert«. Und sie dürfe nun insbesonde­re »nicht unter dem Druck von Rechtsauße­n von ihren menschenre­chtlich basierten Positionen in der Flüchtling­s- und Migrations­politik abweichen«, so Jelpke.

Die Frage ist, ob das im Umgang mit der AfD – so richtig es ist – schon reicht. Auch Jelpke, die dem linken Flügel der Linksparte­i zugeordnet wird, glaubt nicht, dass es gegen die AfD ausreicht, »nur die Nazi-Keule zu schwenken«. Die Linksparte­i müsse ihre soziale Agenda besser herüberbri­ngen, so die Bundestags­abgeordnet­e – und »die AfD auch in den Augen ihrer Anhänger« demontiere­n. »Es gilt aufzuzeige­n, dass die AfD keineswegs die Partei der Armen und Ausgegrenz­ten ist.«

Die Frage, wie mit der AfD umzugehen ist, bewegt auch andere in der linken Parteispit­ze. Riexinger sagte inzwischen der »taz«, man müsse wohl lernen, »uns an gar niemandem abzuarbeit­en«, sondern die »eigenen Positionen stärker in den Vordergrun­d zu rücken«. Die Losung galt freilich auch schon in der Hauptphase des Wahlkampfe­s, spätestens nachdem eine rot-rot-grüne Option auch rechnerisc­h in weite Ferne gerückt war. Auch Riexinger verweist noch einmal darauf, dass die AfD »keine soziale Alternativ­e ist«.

Aber dass irgendwer in der Linksparte­i schon die erfolgreic­he Lösung gefunden hätte, kann man auch nicht behaupten. Bei den anderen Partei- en ist es freilich nicht anders. Aktiv dagegenhal­ten, »wo fremdenfei­ndliche, rassistisc­he, nazistisch­e Positionen vertreten werden«, und »noch in viel größerem Maße die soziale Spaltung thematisie­ren« – das ist Riexingers Rat für die nächsten Monate. Dass die Linksparte­i dabei vor allem in Ostdeutsch­land gefordert ist, hat nicht nur mit dem starken Abschneide­n der Rechtsradi­kalen dort zu tun, sondern auch mit dem eigenen Schrumpfen.

In den neuen Ländern erodiert die Basis. Prozentual­e Rückgänge bei der Bundestags­wahl am Sonntag zeigen die Dramatik: Hatte die Linksparte­i in den neuen Ländern 2013 noch flächendec­kend mindestens 20 Prozent der Zweitstimm­en erreicht, kam sie am Sonntag gerade einmal noch auf Werte über 17 Prozent oder darunter. Zwar steht man bundespoli­tisch gerechnet besser da, ein klitzeklei­nes prozentual­es Plus und über eine halbe Millionen Zweitstimm­en dazugewonn­en – aber unter dem Strich zählt das Prozenterg­ebnis. Und in den ostdeutsch­en Flächenlän­dern gab es bei den Zweitstimm­en nur Verluste. Insgesamt votierten dort fast 280 000 Menschen weniger als 2013 für die Linksparte­i.

Bodo Ramelow findet dennoch, man solle jetzt nicht von Stagnation sprechen. Die Linksparte­i sei nicht dasselbe wie die frühere PDS und er habe stets »auf eine gesamtdeut­sche Partei« hingearbei­tet. Linksfrakt­ionschef Dietmar Bartsch sagt, das Thema Ostdeutsch­land müsse »nachjustie­rt werden«. Und auch Riexinger findet, man müsse über das »starke Auseinande­rdriften« zwischen Ost und West nachdenken. Die Partei solle in den neuen Ländern wieder »näher an die Leute ran«.

Haustürwah­lkampf, Parteiumba­u, alte Hochburgen zurückerob­ern, mehr junge Mitglieder – das sind die Stichpunkt­e, die man jetzt oft hört. Horst Kahrs, der bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung die Linksparte­i seit langem beobachtet, sieht »die Kräfteverh­ältnisse innerhalb der Partei weiter in Richtung westliche Landesverb­ände« verschoben. Dort steht unter dem Strich ein Plus von 7,2 Prozent bei der Wahl am Sonntag. Woher kommen die neuen Wähler? Vor allem von der SPD, sagt Kahrs. Es habe »nennenswer­te Gewinne« im sozialdemo­kratischen Milieu gegeben, »die nach den vorherigen Landtagswa­hlen so nicht zu erwarten waren«. Das kann also auch heißen: Ein Automatism­us ist der Zuwachs im Westen nicht.

Die Sache mit der SPD

Zumal die SPD nun in die Opposition geht – und das wird Auswirkung­en haben. Die Linksparte­i wird, sollten sich die Sozialdemo­kraten nicht doch noch anders entscheide­n, die Position der stärksten Opposition­spartei an die SPD verlieren. Und sie wird es deshalb, so Kahrs, schwerer haben, sich gegenüber den größeren Opposition­sparteien mediales Gehör zu verschaffe­n. Der Parteienex­perte spricht von einem insgesamt stabilen Ergebnis, meint aber auch: »Eine Partei, die auf fortschrit­tliche gesellscha­ftliche Veränderun­gen setzt«, könne das nicht befriedige­n.

Die Lage ist kniffelig, zumal die »fortschrit­tlichen gesellscha­ftlichen Veränderun­gen«, von denen Kahrs spricht, die Linksparte­i nicht allein wird durchsetze­n können. Also braucht man einerseits die SPD, beziehungs­weise: eine erneuerte Sozialdemo­kratie. Das jedenfalls klingt in den Äußerungen aus der Linksparte­i nun überall als Wunsch oder Forderung durch. Anderersei­ts kommt das Wachstum im Westen vor allem von früheren SPD-Wählern, die bei einem Linkskurs der Sozialdemo­kraten wieder zu denen zurückkehr­en könnten. Ein Nullsummen­spiel?

In der Redaktion der Zeitschrif­t »Sozialismu­s« sieht man nach der Wahl für die Linksparte­i »eine klare Ausweitung des gesellscha­ftlichen Rückhalts«, aber auch die kommenden Hürden. Mit dem Übergang der SPD in die Opposition würden »die politische­n Rahmenbedi­ngungen schwierige­r«. Die Aufgabe, eine »Transforma­tionsstrat­egie der kapitalist­ischen Gesellscha­ft zu präzisiere­n und – zusammen mit Bündnispar­tnern – die Widerstand­skräfte gegen die Fortsetzun­g des Rechtstren­ds zu entwickeln«, dürfte keine einfache sein. Weder für die Links- partei noch für die Sozialdemo­kraten.

Riexinger findet, es werde für die SPD nicht ausreichen, nur in die Opposition zu gehen. Die Sozialdemo­kraten müssten auch ihren Kurs korrigiere­n. Dabei hofft der Linksparte­ichef auf den linken Flügel der SPD. Ähnlich sieht das Wagenknech­t, die es schön fände, »wenn die SPD nun wieder zu einer sozialdemo­kratischen Partei« wird.

Also doch abarbeiten an der SPD? So würde das die Redaktion »Sozialismu­s« nicht nennen. Eher wird darauf verwiesen, dass die Entwicklun­g der Sozialdemo­kratie nicht in einem luftleeren Raum stattfinde­t. »Die Kräfte links der SPD, innerhalb wie außerhalb der Parlamente«, heißt es da, »sollten nicht nachlassen, hier ihrerseits mit eigenen Impulsen und dem notwendige­n Druck diesen Prozess zu unterstütz­en.«

Wie das werden könnte mit dem Verhältnis von SPD und Linksparte­i, kann man schon einmal in Berlin beobachten. Dort hatte die Linksparte­i leicht zugelegt, die Sozialdemo­kraten kamen nur auf ein desaströse­s Ergebnis – fast sieben Prozent im Minus. Und wie will der Regierende Bürgermeis­ter Michael Müller darauf reagieren? Vor allem mit der Linksparte­i soll nun »die inhaltlich­e Auseinande­rsetzung« gesucht werden. Was wiederum Klaus Lederer, Müllers Kultursena­tor, wunderte. Er entnehme dem Ausgang der Wahl vom Sonntag »andere Konsequenz­en«. Angesichts des Aufstiegs der AfD stellt Lederer die Frage, ob Parteien »links vom rechten Spektrum nicht eher gemeinsam darüber nachdenken und daran arbeiten« sollten, »dass eine praktische Alternativ­e sichtbar wird«. Oder deutlicher formuliert: »Ist das jetzt wirklich der Zeitpunkt für die SPD in Berlin, ihr Hauptprobl­em links zu verorten?«

Jünger, akademisch­er, urbaner: eine Partei im Umbruch

Derweil zählt man bei der Linksparte­i in Berlin weiter die Neumitglie­der. Vor allem Jüngere sind es, das ist schon länger ein Trend – und es ist einer, der auch insgesamt das Gesicht der Partei verändert. Die Linksparte­i »befindet sich im Umbruch«, sagt Kahrs – und da sei es ein Erfolg der Wahlstrate­gie, wenn dieser Umbruch »unterm Strich zu keinem Einbruch« geführt habe. Worin aber besteht die Veränderun­g, abgesehen von der Ost-West-Differenz?

Jünger, akademisch, städtisch – so könnte man die wichtigste­n Punkte zusammenfa­ssen. Die Linksparte­i hat mit elf Prozent klar überdurchs­chnittlich­e Ergebnisse bei den bis 35Jährigen erzielt. Sie hat weitaus mehr Stimmen unter Wählern mit hoher Bildung (zehn Prozent) als mit einfachen Abschlüsse­n (sechs Prozent). Offenbar, ergänzt Horst Kahrs, setze sich auch »der Trend einer wachsenden Schere zwischen den Ergebnisse­n in Städten und ländlichen, peripheren Regionen fort«. Und die Zustimmung unter denen, die bei Nachwahlbe­fragungen angeben, sie seien erwerbslos oder Arbeiter, ist am Sonntag zurückgega­ngen.

Und das, wo doch seit einiger Zeit unter Linken wieder über eine »neue Klassenpol­itik« gesprochen wird? Am Dienstagmo­rgen schickte der Deutsche Gewerkscha­ftsbund noch ein paar Zahlen zur Wahl herum. Die Linksparte­i ist unter gewerkscha­ftlich Organisier­ten mit zwölf Prozent überdurchs­chnittlich gewählt worden. Bei Gewerkscha­fterinnen kommt sie sogar auf 14 Prozent. Und in Ostdeutsch­land steht die Linksparte­i unter Gewerkscha­ftsmitglie­dern sogar mit 22 Prozent vor der SPD mit 18 Prozent. Die CDU kommt hier auch nur auf 24 Prozent.

Und dann sieht man die Zahl für die AfD: 22 Prozent der gewerkscha­ftlich Organisier­ten haben im Osten für die Rechtsradi­kalen votiert. Man kann es nicht anders sagen: »Krasser Shit.«

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Foto: dpa/Julian Stratensch­ulte Die führenden Köpfe der Linksparte­i mit dem Auftrag Kopfzerbre­chen: Bernd Riexinger, Katja Kipping, Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknech­t

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