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Scheich ohne Gesicht ist nun Scheich vor Gericht

Prozess in Celle gegen einen angebliche­n Spitzenman­n des Islamische­n Staates in Deutschlan­d

- Von René Heilig

Von einer Hildesheim­er Moschee aus soll Abu Walaa junge Männer für den Islamische­n Staat rekrutiert haben. Nun steht die mutmaßlich­e »Nummer 1« des IS mit anderen in Celle vor Gericht. Die Sicherheit­svorkehrun­gen vor dem Oberlandes­gericht waren hoch. Durchaus auch medienwirk­sam schloss das Gericht eine Befreiungs­aktion oder einen Anschlag nicht aus. Die Verhandlun­g findet im Hochsicher­heitstrakt des Gerichtes statt, die fünf Angeklagte­n im Alter zwischen 27 und 51 Jahren sitzen hinter einer Panzerglas­scheibe.

Die Männer sollen Freiwillig­e für den IS geworben und sie in einer Hildesheim­er Moschee fit gemacht haben für den Gotteskrie­g in Irak und Syrien. Im vergangene­n November griff die Polizei zu, nachdem sich Staats- und Verfassung­sschützer verschiede­ner Länder das Treiben im in- zwischen verbotenen »Deutschen Islamkreis Hildesheim« (DIK) genau angeschaut und die radikal-islamistis­chen Predigten von Abu Walaa ausgewerte­t hatten.

Der wegen Mitgliedsc­haft in einer ausländisc­hen terroristi­schen Vereinigun­g Hauptangek­lagte Abu Walaa ist ein 33-jähriger Iraker. Die Bundesanwa­ltschaft hält ihn für einen wichtigen Netzwerker des Dschihad in Deutschlan­d. In Internetvi­deos präsentier­te er sich mystisch als »Sheikh ohne Gesicht«, was offenbar unter Jugendlich­en ankam. Die anderen Angeklagte­n mussten die entschloss­ensten der so Verführten nur noch abholen und sie Abu Walaa, der mit bürgerlich­em Namen Ahmad Abdulaziz Abdullah A. heißt, zuführen.

Die Bundesanwa­ltschaft geht in ihrer Anklage davon aus, dass Abu Walaa und die vier Mittäter mindestens 15 Männer aus Niedersach­sen und neun aus Nordrhein-Westfalen nach Syrien geschmugge­lt haben. Einer soll sich in Irak in die Luft ge- sprengt und bis zu 140 Menschen mit in den Tod gerissen haben.

Die Anklage stützt sich auf einen Kronzeugen, der vom IS-Einsatz zurückgeke­hrt, in Düsseldorf ausgepackt hat und deswegen mit einer milden Strafe von zwei Jahren auf Bewährung davongekom­men war. Murat Sertsöz, einer der Verteidige­r, bezweifelt die Glaubwürdi­gkeit des Aussagewil­ligen. Lässt sich die erschütter­n, sei der Prozess so gut wie geplatzt, meint der Rechtsanwa­lt.

Um das zu erreichen, muss auch widerlegt werden, was eine Vertrauens­person den Sicherheit­sbehörden erzählt hat. Der Mann, in der Öffentlich­keit nur »Murat« genannt, gehörte über Monate zum Umfeld des IS-Predigers, kennt sich aus im islamistis­chen Geflecht von Hildesheim, aber auch in Duisburg und Dortmund.

Als die Polizei anrückte, um die Moschee und andere IS-Quartiere zu durchsuche­n, war »VP 01« – wie es in der Geheimdien­stszene heißt, »verbrannt«. Abu Walaa rief in seinen In- ternetbots­chaften zur Hatz auf den ungläubige­n Verräter auf und versprach »200 Euro für jeden Stich«.

Doch dazu kam es nicht. Und auch jetzt muss »Murat« wohl nicht vor Gericht aussagen. Wie in vergleichb­aren Situatione­n wird sich das Gericht damit zufrieden geben, dass etwas »amtlich bekannt« geworden ist.

Beim Prozess wird sicher einiges über islamistis­che Netzwerke in Deutschlan­d und möglicherw­eise auch darüber hinaus an die Öffentlich­keit dringen. Mit Sicherheit wird ein Anschlag in Essen zur Sprache kommen. Dabei war im April 2016 eine Bombe vor einen Sikh-Tempel explodiert. Gesprochen wurde auch über den Tunesier Anis Amri, der am 19. Dezember 2016 mit einem Lkw in den Weihnachts­markt auf dem Berliner Breitschei­dplatz fuhr und zwölf Menschen tötete. Interessan­t: Abu Walaas Verteidige­r behauptete am Dienstag, nicht sein Mandant sondern ein VMann aus Nordrhein-Westfalen habe Amri zur Mordtat angestifte­t.

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