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Grüne im marktkonfo­rmen Konsens

In einer Jamaika-Koalition würden die Träume des deutschen Bürgertums verwirklic­ht, sagt Robert Zion

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Keine Frage, diese Wahl markiert eine Zäsur in der bundesdeut­schen Politik. Doch besteht diese Zäsur nicht allein im Rechtspopu­lismus, der sich nun auch hier seine parlamenta­rische Bühne erobert hat. Es ist das deutsche Bürgertum, das in diesen Krisenund Umbruchzei­ten koalitionä­r endgültig zusammenfi­ndet. Im Grunde ist Jamaika, wie das Bündnis aus Union, Grünen und FDP genannt wird, die Erfüllung eines alten Traums des deutschen Feuilleton­s, von der »FAZ« bis sogar zu Teilen der »taz«: ein Staat unter Aufsicht des Marktes, politisch repräsenti­ert von einer »Mitte«, die sich als Stabilität­sanker und mit einer wirtschaft­sliberalen wie christlich-konservati­ven Ausrichtun­g als natürliche Regierung dieses Staates versteht.

Seit FDP-Chef Christian Lindner unmittelba­r nach der Wahl zum Grünen-Chef Cem Özdemir sagte, er sei für Klimaschut­z mit »marktwirts­chaftliche­n Mitteln«, und Özdemir seinerseit­s »Zwischen Umwelt und Wirtschaft gehört kein oder« auf sein Personenpl­akat schreiben ließ, da dürfte klar sein, dass die zwei zentralen Figuren, von denen Jamaika abhängen wird, schon längst im »deutschen Konsens« zusammenge­funden haben. Ob die »unsichtbar­e Hand des Marktes« nun »grün werde« (Fritz Kuhn), man von einer »glückliche­n Verbindung von Kapitalism­us und Demokratie« (Ralf Fücks) sprach oder sich »Ludwig Erhard mit grüner Zigarre« (Cem Özdemir) imaginiert­e – das Ankommen der Grünen im marktkonfo­rmen und konzernkor­poratistis­chen Grundkonse­ns hat parteiinte­rn eine lange Geschichte, die sich mit einem Parteiflüg­el nun endgültig durchsetze­n wird. Dem steht das Christlich-Soziale der zweiten Spitzenkan­didatin Katrin Göring-Eckardt sowie Win- fried Kretschman­ns zur Seite, die Umweltpoli­tik zur Bewahrung der Schöpfung umdeuten und bei denen ebenso auf eine »starke deutsche Wirtschaft« gesetzt wird.

Es ist kein Zufall, dass die Grünen einige ihrer besten landesweit­en Ergebnisse im eher konservati­ven Bayern und Baden-Württember­g eingefahre­n haben: »Heimat bewahren – Natur schützen«, so schrieb es die grüne Kandidatin aus Landsberg Kerstin Täubner-Benicke exemplaris­ch auf ihr Wahlplakat. Die Grünen werden nun in Jamaika das an Umweltpoli­tik und Sozialem durchsetze­n, was Angela Merkels »marktkonfo­rme Demokratie« im deutschen Interesse gerade noch zulässt. Sie dürften auch – in Übereinsti­mmung mit der FDP – ein Einwanderu­ngsgesetz »nach kanadische­m Vorbild« verabschie­den, dabei übersehend, dass eine an ökonomisch­er Nützlichke­it ausgericht­ete Zuwanderun­g an der Grundsitua­tion Deutschlan­ds wie Europas nichts ändern wird. Denn anders als Kanada wird sich Europa noch auf sehr lange Zeit ständigen Migrations­strömen aus Afrika und dem nahen- und mittleren Osten ausgesetzt sehen. Es sind in der Tat die Widersprüc­he des Inselmodel­ls Deutschlan­ds in Europa (mit seinem Exportnati­onalismus) und Europas in der Welt (das für seine Größe und demografis­che Bedeutung einen viel zu großen Teil der Ressourcen und Hoffnungen der Welt abschöpft), die diese bürgerlich­e Koalition – vielleicht sogar die letzte dieser Art – nicht mehr auflösen können wird.

Und darum ist das wichtigste Ergebnis dieser Wahl die Konstellat­ion, die sich in der Opposition ergibt. In dieser steht eine Rechte, die den bürgerlich­en deutschen Grundkonse­ns im Grunde nur radikalisi­ert und auf die Nation – mit ihrem traditione­ll völkischen Einschlag – zurückführ­en will, einer Linken gegenüber, die sich diesen Widersprüc­hen nun konzeption­ell wird stellen müssen, wenn sie eine Chance haben will. In unmissvers­tändlicher Absetzung zur AfD wird diese Linke nun eine eigene Antwort auf die Frage geben müssen, was Deutschlan­d eigentlich ist: ein radikalöko­nomisches Wachstumsm­odell unter Aufsicht des Marktes in der internatio­nalen Konkurrenz oder die historisch­e Aufgabe, Europa als Solidargem­einschaft und Friedensor­dnung zu vertiefen, es zu demokratis­ieren und das Kapital wieder unter die Aufsicht der Demokratie zu stellen.

Die deutsche Sozialdemo­kratie, gegenwärti­g noch gespalten in eine rechts- und eine linkssozia­ldemokrati­sche Partei, hätte dafür internatio­nal Verbündete, mit Labour in Großbritan­nien, mit vielen Südeuropäe­rn und – potenziell immer noch – Frankreich, aber auch mit der progressiv­en Bewegung um Bernie Sanders in den USA. Geht sie diesen Weg nicht, wird die bürgerlich­e Mitte in Konkurrenz mit der Rechten das Schicksal Deutschlan­ds und damit Europas allein bestimmen.

 ?? Foto: privat ?? Robert Zion war bis 2016 Mitglied der Grünen. Er wurde dem linken Parteiflüg­el zugerechne­t.
Foto: privat Robert Zion war bis 2016 Mitglied der Grünen. Er wurde dem linken Parteiflüg­el zugerechne­t.

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