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Wo der Frust zu Hause ist

Die LINKE hat in Marzahn-Hellersdor­f gesiegt, doch mancherort­s wählte fast jeder Dritte AfD

- Von Tomas Morgenster­n

Der Stadtbezir­k Marzahn-Hellersdor­f ist ein politisch schwierige­s Terrain, doch bei Bundestags­wahlen gibt hier die LINKE den Ton an. In diesem Jahr ist ihr aber die AfD bedenklich nahe gerückt. Gleich hinter dem S-Bahnhof Ahrensfeld­e, dort, wo die Märkische Allee und die Ahrensfeld­er Chaussee in die Dorfstraße münden, ist Berlin zu Ende. Das kann man am Ortsschild ablesen – Ahrensfeld­e, Landkreis Barnim. Folgt man der Spur der Wahlplakat­e entlang der Straßen, glaubt man, an dieser Stelle eine Demarkatio­nslinie zu passieren: Den letzten automatisc­hen Plakatwech­sler auf Berliner Seite muss sich die CDUKanzler­in und ihr »Erfolgreic­h für Deutschlan­d«-Verspreche­n mit Werbung für »Pizza-Zeit« und günstige Telekom-Tarife teilen. Auf Brandenbur­ger Seite hat die NPD gleich alle Laternen mit ihren düsteren Prophezeiu­ngen tapeziert. Beides sagt recht wenig über die Dramatik des Wahlausgan­gs am jeweiligen Ort aus.

Den Wahlbezirk 85 Marzahn-Hellersdor­f hat die LINKE mit 26,1 Prozent geholt. Gut jeder vierte Wähler hat den Sozialiste­n die Zweitstimm­e gegeben. Vor allem hat auch Petra Pau, die Direktkand­idatin, mit 34,2 Prozent wieder die meisten Wähler überzeugt und damit Staatsmini­sterin Monika Grütters von der CDU (22,3 Prozent) abgehängt. Darauf verweist Björn Tielebein, der Chef der Linksfrakt­ion in der Bezirksver­ordnetenve­rsammlung. »Es ist uns gelungen, zumindest im Vergleich zur Abgeordnet­enhauswahl 2016 wieder mehr Wähler für unsere Politik zu mobilisier­en«, sagt Tielebein dem »nd«.

Aber natürlich beunruhigt auch ihn vor allem das starke Abschneide­n der AfD im Bezirk und besonders in den Problemgeb­ieten im Nordosten. Mit einem Erststimme­nanteil von 21,6 Prozent hat sich die Rechtsauße­nPartei hinter der CDU (20,9) auf Platz zwei geschoben und nicht nur die SPD (14,5) gedemütigt.

Der Fraktionsc­hef will der Wahlanalys­e durch die Parteigrem­ien im Bezirk nicht vorgreifen. Am Dienstagab­end wollten sie zusammenko­mmen, um den Ausgang der Bundestags­wahl und die sich daraus ergebenden Konsequenz­en zu besprechen. »Im Verhältnis zur Abgeordnet­enhauswahl hat sich die AfD ja nun nicht wirklich stark verbessert, sie hat an die 1000 Zweitstimm­en dazugewonn­en«, sagt er. »Dabei ist die AfD in der Bezirksver­ordnetenve­rsammlung seit fast einem Jahr zweitstärk­s- te Fraktion.« Aber natürlich müsse die Frage beantworte­t werden, wie man den Einfluss der Rechtspopu­listen wieder zurückdrän­gt. Das wird nicht einfach werden, denn Tielebein räumt ein: »Es gibt viele Gründe dafür, wa- Björn Tielebein, Linksfrakt­ionschef SVV

rum Menschen diese Partei wählen. Und nur einer davon ist sicher, dass im Bezirk viele Menschen heute in prekären Verhältnis­sen leben.«

Der S- und Regionalba­hnhof muss seine besten Tage wohl noch vor sich haben, der bauliche Zustand ist trostlos. Rost, Schmutz, Graffiti sowie beißender Gestank machen die Fußgängerb­rücke, die den Bahnsteig mit den Wohngebiet­en an der Märkischer Allee auf der einen und an der Ahrensfeld­er Chaussee auf der anderen Seite der Bahntrasse verbindet, zu einer Zumutung. Der Blick hinüber in Rich- tung Märkische Allee und Havemannst­raße verheißt nicht viel Gutes: »Endstation« verspricht schwarz auf weiß ein Schild in Fraktursch­rift, das auf eine Dartkneipe hinweist.

Ganz anders der Eindruck auf der anderen Seite. Die Wohnanlage­n zwischen Geraer Ring, Schwarzwur­zelstraße und Ahrensfeld­er Chaussee präsentier­en sich üppig begrünt und recht gepflegt. Das gilt auch für die Schule, Kinderspie­lplätze und sogar die Grünfläche­n. Dennoch scheinen hier die Menschen mehr Frust zu hegen als anderswo selbst in anderen Teilen von Marzahn-Hellersdor­f. Fast jeder Dritte hat in den Wahllokale­n 104, 105 und 106 die AfD gewählt und damit auf Platz ein gesetzt.

Das Wahllokal 104 war in der Ahrensfeld­er Chaussee 148. Hier betreibt der Marzahner Verein Kiek In e.V. den Kieztreff West. Es gibt preiswerte­s Essen und Kaffee für bedürftige, meist ältere Leute, manchmal Kultur und stets ein Gefühl von Nachbarsch­aft, weil da jemand ist, der einem zuhört. Ortsfremde­n gegenüber wird es still im Raum – zumal beim Thema Wahlen. »Die Chefin ist im Urlaub, keiner da, der was dazu sagen kann«, sagt der Mann in den 50ern, der am Tresen aushilft. Er wohne seit 1984 im Dreh, fühle sich wohl hier. Das gehe anderen wohl anders.

»Es ist uns gelungen, zumindest im Vergleich zur Abgeordnet­enhauswahl 2016 wieder mehr Wähler für unsere Politik zu mobilisier­en.«

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Foto: dpa/Patrick Pleul Am Rande von Berlin: Ahrensfeld­e ist geprägt durch den späten DDR-Wohnungsba­u und die Nähe zum brandenbur­gischen Umland.

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