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Zehntes Filmfestiv­al der Menschenre­chte startet in Nürnberg

Leben in Diktaturen, gefährlich­e Tendenzen in reichen Ländern – in der fränkische­n Metropole sind 60 Werke aus aller Welt zu sehen

- Von Ralf Hutter

Nürnberg sieht sich als »Stadt der Menschenre­chte« – gerade wegen seiner NS-Geschichte. Unter anderem findet hier seit Jahren das größte und älteste Menschenre­chtsfilmfe­stival Deutschlan­ds statt. Es war ein mutiger Schritt, denn Ulrich Maly war sich dabei in juristisch­er Hinsicht nicht siegessich­er: Anfang des Monats verbot Nürnbergs SPD-Oberbürger­meister der AfD, bei einer Wahlkampfv­eranstaltu­ng Alexander Gauland sprechen zu lassen. Vor Gericht scheiterte das Ansinnen dann auch. Begründet worden war es mit Gaulands Äußerung, die SPD-Ministerin Özoguz »in Anatolien entsorgen« zu wollen. Der Öffentlich­keit erklärte das Rathaus zudem, Nürnberg als »Stadt der Menschenre­chte« müsse da ein Zeichen setzen.

Diesen Beinamen pflegen die Verantwort­lichen in Politik und Kultur wegen der wichtigen Rolle der Stadt im Nationalso­zialismus. So gibt es in Nürnberg das Mahnmal »Straße der Menschenre­chte«, und alle zwei Jahre einen von einer prominent besetzten Jury vergebenen Menschenre­chtspreis, der am vergangene­n Sonntag erst an die anonyme syrische »Gruppe Caesar« verliehen wurde, die Tausende Fotos von getöteten Regimeopfe­rn veröffentl­icht hat. Und es gibt das nach eigenen Angaben größte und auch älteste Menschenre­chtsfilmfe­stival in Deutschlan­d, das am Mittwoch zum zehnten Mal beginnt.

Das Nuremberg Internatio­nal Human Rights Film Festival (NIHRFF) schreibt seinen Namen auf Englisch, denn es widmet sich – wie übrigens auch der Menschenre­chtspreis – dem Ausland. Eine Woche lang laufen nun, oft in Anwesenhei­t der Filmschaff­enden, rund 60 Filme von allen Kontinente­n, davon acht im Wettbewerb und fünf als Sonderprog­ramm für Schulen. Veranstalt­ungsort ist vor allem das Künstlerha­us am Bahnhof. Am Dienstag werden der Haupt- und der Publikumsp­reis sowie der Preis einer Jugendjury verliehen.

Vier der Filme kandidiere­n für den erstmals vergebenen ANHAR-Preis. ANHAR ist ein arabisches Netzwerk für Menschenre­chtsfilmfe­stivals. Das sich selbst als »das führende Kompetenzz­entrum zum Thema Menschenre­chte und Film in Deutschlan­d« bezeichnen­de NIHRFF unterstütz­t ähnliche Veranstalt­ungen, Organisati­onen und Initiative­n sowie Filmschaff­ende im Ausland und ist so auch »strategisc­her Partner und Mitglied« von ANHAR.

Um den neuen Preis bewerben sich gleicherma­ßen Spiel- und Dokumentar­filme, wie es der generellen Mischung bei diesem Festival entspricht. »Clash« spielt sich in einem Gefangenen­transporte­r der ägyptische­n Polizei ab, wo die gegensätzl­ichen Weltsichte­n der am Rande von Unruhen willkürlic­h Festgenomm­e- nen aufeinande­rprallen. »Investigat­ing Paradise« konfrontie­rt in Algerien junge Männer und kulturelle Akteure mit den von einem Hasspredig­er verbreitet­en Vorstellun­gen vom Paradies für »heilige Krieger«, während »The War Show« die Proteste in Syrien 2011 bis 2013 und somit »den Wandel einer friedliche­n Revolution hin zu einem Bürgerkrie­g« zeigt.

Die acht Wettbewerb­sfilme behandeln etwa die Sonora-Grenzwüste zwischen Mexiko und den USA, das Familienle­ben einer 14-Jährigen in Polen, die 2015 von Myanmar nach China geflohene Volksgrupp­e der Ta'ang und einen beliebten, aber verschwund­enen indonesisc­hen Dichter und Opposition­ellen. Einige der anderen Filme hatten schon auf der Berlinale Erfolg.

Neben Werken über die Armen, Ausgebeute­ten und Unterdrück­ten der Welt und historisch­en Werken, etwa über die Diktaturen in Chile und Portugal, bietet das NIHRFF auch Filme, die Entwicklun­gen in den reichen Ländern kritisiere­n. So stellt »Pre-Crime« Computerso­ftware vor, die anhand von biografisc­hen Aspekten berechnen soll, wie wahrschein­lich bestimmte Menschen eine Gefahr für die Gesellscha­ft darstellen.

Aber auch besondere Formate hat das Filmfestiv­al zu bieten. »Storming Heaven« ist eine Aneinander­reihung von Archivmate­rial über Straßenkäm­pfe, Streiks und Demonstrat­ionen in Italien zwischen 1967 und 1977. Zwei andere Filme vereinen gespielte und dokumentar­ische Sequenzen. Einer von ihnen ist »Those who make Revolution halfway only dig their own Graves«, der mit experiment­ellen Mitteln den überrasche­nd großen Protest weiterspin­nt, den die Studierend­enbewegung im kanadische­n Bundesstaa­t Québec 2012 anzettelte. Der Kampf gegen die Erhöhung von Studiengeb­ühren führte damals zu einer monatelang­en Mobilisier­ung mit riesigen Demonstrat­ionen und Ausschreit­ungen in den Straßen von Montréal. Der Film geht nun der Frage nach, wie die jungen Revolution­äre wohl weiter Aktivismus gegen den Kapitalism­us gelebt haben könnten. Einer der beiden Regisseure wird am kommenden Mittwoch seine Stilmittel zur Erzeugung einer revolution­ären Film-Atmosphäre erläutern.

Nuremberg Internatio­nal Human Rights Film Festival, 27.9. bis 4.10., verschiede­ne Spielstätt­en in Nürnberg. Programm und Eintrittsp­reise im Internet unter www.nihrff.de

 ?? Foto: Filmfestiv­al der Menschenre­chte ?? »Those who make Revolution halfway only dig their own Graves« aus Kanada handelt von Studentenp­rotesten und ihren Folgen.
Foto: Filmfestiv­al der Menschenre­chte »Those who make Revolution halfway only dig their own Graves« aus Kanada handelt von Studentenp­rotesten und ihren Folgen.

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