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Lieber mit Sartre irren ...

- Von Harald Loch

Warum

die Franzosen so gute Bücher schreiben? Das Buch verheißt die unmögliche Antwort auf eine nicht gestellte Frage: Immerhin versucht Iris Radisch an zwei, drei Stellen ihres von Urteilskra­ft überquelle­nden Schnelldur­chlaufs durch die französisc­he Nachkriegs-Literatur dem »Warum« im Titel nachzugehe­n.

Die Eckpfeiler ihrer weitgespan­nten Brücke sind Jean-Paul Sartre und Michel Houellebec­q: »Hier der Kämpfer für die Freiheit und die Verantwort­ung des Menschen für sein Leben. Dort der Melancholi­ker, der diese Ideen entsorgen möchte, weil er sie für gescheiter­t hält. Selbstvers­tändlich möchte man da lieber mit Sartre irren als mit Houellebec­q recht haben.«

Beiden und ihren Büchern widmet die Autorin kluge, stets sowohl subjektive wie inzwischen auch allgemein gefällte Beurteilun­gen. Das gilt auch für die zwischen diesen Pylonen genannten Namen: von Camus, über den sie eine glänzende Biografie geschriebe­n hat, über den Nouveau Roman und die Schwierigk­eiten, ihn zu lesen, über die Nobelpreis­träger Claude Simon, Le Clézio

Freiheitsk­ämpfer und Melancholi­ker

und Modiano bis zu der von ihr als Bewahrerin der französisc­hen Klassik ausgemacht­en Marie NDiaye, deren »nicht enden wollende Kaskaden« sie genießt, und Pierre Michon, von dem sie sagt: »Besser kann man nicht schreiben.«

Viele Autorinnen und Autoren kennt sie von persönlich­en Begegnunge­n und Interviews, die sie in ihrer seit 27 Jahren ausgeübten Tätigkeit als Literaturk­ritikerin gesammelt hat. Das verleiht ihrem Buch eine erfrischen­de Unmittelba­rkeit, ihrem Urteil den Wert der persönlich­en Erfahrung, dem ganzen Werk den Charakter einer Zeitgeschi­chte der französisc­hen Literatur.

Iris Radisch ist Zeitzeugin dieses großen Weges, den diese Literatur seit dem Zweiten Weltkrieg zurückgele­gt hat. Sie legt einen an manchen Stellen schon etwas abgetreten­en roten Teppich auf diesen Weg. Aber fast allen Figuren auf diesem Catwalk bescheinig­t sie nachlesens­werte Bedeutung, Würde und Klasse.

Vor einigen wenigen warnt sie unterwegs wegen ihrer vulgär sexistisch­en Bücher. Frauen widmet die Autorin hinreißend­e literarisc­he Porträts: der »Feministin« Simone de Beauvoir, Nathalie Sarraute, Colette, Françoise Sagan, Assia Djebar, Annie Ernaux, Marguerite Duras, Yasmina Reza und, wie gesagt, Marie NDiaye. Die in die französisc­he Sprache Eingewande­rten finden bei ihr Anerkennun­g wie die Rumänen Eugène Ionesco und E.M. Cioran oder Samuel Beckett, der mitten im Satz anfing, vom Englischen ins Französisc­he zu wechseln.

In der Literatur ist das Französisc­he nach wie vor eine Weltmacht. Iris Radisch hält zum Schluss ihres bei aller Fülle schön handlich gebliebene­n Buches noch einen Kompass für persönlich­e Entdeckung­en bereit: eine Shortlist mit 24 Namen und Titeln.

Iris Radisch: Warum die Franzosen so gute Bücher schreiben – von Sartre bis Houellebec­q. Rowohlt, 240 S., geb., 19,95 €.

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