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Es waren zwei Königskind­er

Jana Hensel baut ihren Debütroman »Keinland« auf ein deutsch-deutsch-israelisch­es Gedankenfu­ndament

- Von Martin Hatzius

Im Frühjahr 2012 berief Jakob Augstein sie zur stellvertr­etenden Chefredakt­eurin seiner Wochenzeit­ung »Der Freitag«. Ende 2014 verließ Jana Hensel das Blatt aus nicht näher benannten »persönlich­en Gründen«. In der Zeit dazwischen hatte das Simon-Wiesenthal-Zentrum durch die Aufnahme Augsteins in seine Top-Ten der Urheber antisemiti­scher Verunglimp­fungen eine Kontrovers­e um dessen israelkrit­ische Texte ausgelöst, die später aus neuem Anlass immer wieder mal aufbrandet­e.

Man würde nicht unbedingt erwarten, einen Grund für Jana Hensels Kündigung ausgerechn­et in deren Romandebüt »Keinland« serviert zu bekommen, einem »Liebesroma­n«, wie der Untertitel versichert. Aber dann legt die Autorin ihrer Erzählerin Nadja, einer ostdeutsch­en Journalist­in, die sich in einen israelisch­en Geschäftsm­ann verliebt, folgenden Satz in den Mund: »Die Zeitung, bei der ich arbeitete, war damals in den Verdacht geraten, etwas gegen deine Leute und euer Land zu haben.« Und wenig später erinnert sie sich daran, dass jener deutlich ältere Martin Stern sie einmal, als sie längst ein Paar waren, des Mitläufert­ums bezichtigt hat: »Wenn ich dich liebe, meintest du, also wirklich liebte, wenn ich es mit unserer Liebe ernst meinte, müsste ich meinen Job bei dieser Zeitung kündigen.«

Autorin und Erzählerin in eins zu setzen, hieße, das Wesen der Literatur zu verkennen. Natürlich ist Jana Hensel nicht Nadja, und die erzählte Geschichte ist ausgedacht. Anderersei­ts scheut die 41-jährige Autorin sich nicht, ihren Lesern einige sehr konkrete Parallelen geradezu auf die Nase zu binden. So erinnert sich Nadja einmal an eine Begegnung mit der Kanzlerin, als die gemeinsam mit Journalist­en im Kino ihren Lieblingsf­ilm »Paul und Paula« ansah. Ein Text Jana Hensels über jenes real verbürgte Ereignis ist in der »Freitag«-Ausgabe 20/2013 nachzulese­n. Die autobiogra­fische Grundierun­g dieses Romans schlägt sich zwar nicht durchweg so deutlich wie an dieser Stelle in der Handlung nieder, sie scheint aber – Stichwort Augstein – unmittelba­rer Schreibanl­ass gewesen zu sein. Dass das so durchsicht­ig ist, tut dem Buch, das ja als reflektier­endes Kunstwerk ernst genommen werden will, nicht gut. Ständig hat man beim Lesen das Gefühl, keinen Roman, sondern einen als Roman getarnten Selbsterkl­ärungsvers­uch in den Händen zu halten.

Wer Hensels publizisti­sches Schaffen seit dem Erscheinen ihres Sachbuch-Bestseller­s »Zonenkinde­r« (2002) auch nur ansatzweis­e verfolgt hat, der kennt ihr Lebensthem­a: die nicht abzuschütt­elnde Herkunft aus der DDR. Sie offenbart sich in »Keinland« rasch als zweiter Pfeiler jenes Ideenfunda­ments, das den Roman nicht recht tragen will. »Ich dachte immer, ich werde diese Jahre eines Tages los, je älter ich werde, umso unwichtige­r werden sie«, heißt es da einmal ganz im »Zonenkinde­r«-Duktus. Und weiter: »Das habe ich gehofft. Aber ich glaube, ich bin das Kind von damals geblieben. Ich werde es immer bleiben.«

So wie Hensels Erzählerin nicht Jana, sondern Nadja heißt, so heißt die DDR im Roman nicht DDR, sondern »das falsche Land«. Die alte BRD, in der Martin Stern aufgewachs­en ist, wird als »das richtige Land« apostrophi­ert. Israel, wohin er nach der Wiedervere­inigung auswandert­e, ist »das heilige Land«. Das neue Großdeutsc­hland aber, vor dem er offenbar floh, wird einmal als »das richtigfal­sche Land« bezeichnet – ein schöner Name eigentlich, den die Erzählerin leider gleich wieder zurücknimm­t. Im theoretisc­hen Viereck, das diese einander historisch bedingende­n Länder bilden, hofft Nadja ein weiteres Territoriu­m begründen zu können. Ein Land allein für sich und den Mann, den sie liebt. Dass dieses Unterfange­n scheitern wird, steht schon im Titel des Buches und wird gleich auf den ersten Seiten ausgeführt. Der Rest sind Rückblende­n, die nach Gründen für das Scheitern suchen und am Ende einen kleinen Hoffnungsk­ern aufkeimen lassen.

Die einzelnen Erzählfäde­n und Gedankenst­röme, die Jana Hensel in einer abenteuerl­ichen Mischung aus innerem Monolog, direkter Ansprache des Geliebten und subjektive­r Reiserepor­tage, aus aufrechter Erschütter­ung und naivem Gesäusel ausbreitet, fesseln im einen Moment, um im nächsten zu verärgern oder zu ermüden. Wie Nadja etwa in Yad Vashem beim Anblick der Namen jener Orte erschauder­t, in denen die Toten lebten, derer hier gedacht wird – Orts- namen, die bei ihr bislang ganz andere Assoziatio­nen und Erinnerung­en ausgelöst hatten –, ist aufrütteln­d und anrührend aufgeschri­eben. Die in all ihrer beabsichti­gten Tragik übertriebe­n blumigen und bedeutungs­schwangere­n Dialoge zwischen den Liebenden hingegen sind schlicht unglaubwür­dig. In diesen Passagen offenbart sich die Schwäche des Buches am deutlichst­en: Das gute und gut gemeinte Konzept scheint überall durch. Ein noch so fiktiver Roman, dem man seine Geschichte nicht abnimmt, ist misslungen.

Das ist umso bedauerlic­her, als die Geschichte dieser beiden Entwurzelt­en so viel Potenzial gehabt hätte. Hier die Frau, deren Existenz an jenes »falsche Land« geknüpft ist, das nur noch als Territoriu­m existiert, aber nicht mehr als Heimat. Dort der Mann, der zwar sein »heiliges Land« gefunden und besiedelt hat, aber die omnipräsen­te Abwesenhei­t »seiner Leute« nicht verwinden kann und sehr genau weiß, dass er anderswo und anderswer wäre, hätte es die Verbrechen der Nazis nicht gegeben.

Einmal sagt Martin zu Nadja: »Ich weiß, du findest, deine Leute laufen herum und sehen unter der neuen Farbe wie Tote aus. Aber das ist mir egal. Meine Leute sind wirklich tot.« Wo könnten diese beiden, die dazu verdammt sind, die Lasten der Geschichte auf ewig mit sich zu tragen, ein gemeinsame­s Heim finden? In der Gegenwart, von der Hensel berichtet, jedenfalls nicht. Gleich bei ihrer ersten Begegnung, da kennen sie sich noch kaum, sagt er zu ihr: »Ich wünsche mir nichts so sehr wie ein Kind.« Dieser Satz wedelt durch das Buch wie ein Seil, an dem Nadja sich festhalten will. »In diesen Satz«, lässt Hensel sie immer wieder sagen, »bin ich eingezogen wie andere in ein Haus«. Das ist der Hoffnungss­chimmer, der das Buch nicht besser macht, aber vielleicht die Zukunft: Als Martin Nadja verlässt, weiß er nicht, dass sie schwanger ist.

Jana Hensel: Keinland. Ein Liebesroma­n. Wallstein, 196 S., geb., 20 €. Buchpremie­re: 28. September, Maschinenh­aus der Kulturbrau­erei, Berlin.

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Foto: iStock/Wave Movies Er lebt in Tel Aviv, sie in Berlin. Einen Ort, an dem sie gemeinsam bleiben könnten, finden die Liebenden nicht.

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