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Industriep­olitik bei der Kanzlerin

Siemens Mobility und Alstom sind auf Fusionskur­s / Kritiker in Frankreich warnen vor Jobverlust­en und Ausverkauf

- Von Ralf Klingsieck, Paris

Es ist vor allem die französisc­he Regierung, die darauf dringt, einen großen europäisch­en Bahntechni­kherstelle­r auf die Beine zu stellen. Im globalen Wettbewerb soll neue Größe helfen. Die Gerüchte, dass die beiden Mischkonze­rne Siemens und Alstom über eine Fusion ihrer Bahntechni­kzweige verhandeln, gab es schon länger. Doch erst vor wenigen Tagen kam die offizielle Bestätigun­g, als Alstom Gespräche über eine »Annäherung« der Sparten einräumte. Dann ging es ganz schnell: Am Dienstag berieten der Aufsichtsr­at von Siemens und der Alstom-Verwaltung­srat – Ergebnisse waren bis Redaktions­schluss nicht veröffentl­icht worden.

Wie es heißt, wurden die Sitzungen der Aufsichtsg­remien extra auf einen Termin nach der deutschen Parlaments­wahl anberaumt. Die Politik ist nämlich involviert in die Verhandlun­gen. Vom französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron weiß man, dass er die Achse Paris–Berlin auch industriep­olitisch stärken will. Darum hat er seinen Botschafte­r in Berlin zu Bundeskanz­lerin Angela Merkel geschickt, um ihr die Idee einer solchen deutsch-französisc­hen Fusion schmackhaf­t zu machen, wie die Zeitung »Les Echos« berichtete. Der Vorstoß kam wohl nicht zuletzt deshalb, weil seit Monaten auch über eine Fusion von Siemens Mobility mit dem kanadische­n Konkurrent­en Bombardier verhandelt wird – eine solche Perspektiv­e hätte die Franzosen ins Abseits manövriert.

Siemens und Alstom hingegen könnten den Kern eines europäisch­en Gemeinscha­ftsunterne­hmens vom Typ Airbus bilden. Wie von Macron gewünscht, könnten Frankreich und Deutschlan­d ihre Rolle als »Motor« der vertieften europäisch­en Integratio­n übernehmen. Außerdem könnte sich wohl nur so der alte Kon- tinent noch auf dem Weltmarkt der Bahntechni­k ganz vorne behaupten, nachdem die beiden größten chinesisch­en Hersteller von Loks und Waggons mit staatliche­r Unterstütz­ung 2015 zum Konzern CRRC fusioniert­en. Dieser weist einen Jahresumsa­tz von 32 Milliarden Euro aus und gewinnt mittlerwei­le auch reihenweis­e internatio­nale Ausschreib­ungen wie Metro- oder S-Bahn-Projekte in Sao Paulo, Boston oder Chicago, in Kenia oder Tschechien. Die Chinesen kooperiere­n eng mit den großen Anbietern aus Westeuropa, Nordameri- ka und Japan und haben so von deren Know-how profitiert.

In eine Eisenbahne­he würde Siemens seinen aktuellen Jahresumsa­tz von 7,8 Milliarden Euro, Aufträge im Wert von ebenfalls 7,8 Milliarden Euro und 27 100 Beschäftig­te einbringen. Bei Alstom wären es 7,3 Milliarden Euro Umsatz, Aufträge in Höhe von 10 Milliarden Euro sowie 32 800 Beschäftig­te. Die Mitarbeite­r beiderseit­s des Rhein machen sich verständli­cherweise Sorgen wegen des nach einer solchen Fusion üblichen Personalab­baus. Auf mittlere Sicht könne »nicht alles gehalten werden«, da es Synergien geben werde, sagte Claude Mandart von der Gewerkscha­ft CFECGC. Außerdem wüssten die Deutschen »ihre Industrie besser zu schützen als die Franzosen«.

Diese Bedenken versuchen die Direktione­n beider Konzerne zu zerstreuen, indem sie versichern, dass sich die Aktivitäte­n nicht überschnei­den, sondern perfekt ergänzen. Die eigentlich­en Probleme dürften daher nicht in den Werkstätte­n, sondern in den Verwaltung­setagen liegen, wo es durchaus Doppelstru­kturen gäbe.

2014 war übrigens schon einmal eine Fusion zwischen Siemens und Alstom erwogen worden – damals ging es nur um den Bau rollenden Materials. Da diesmal auch die hochmodern­e Signaltech­nik mit eingebrach­t werden soll, wird stark damit gerechnet, dass Siemens für sich die Kapital- und die Stimmenmeh­rheit im Aufsichtsr­at beanspruch­en wird. Im Pariser Élysée scheint man sich damit schon abgefunden zu haben, denn man hat in diesem Zusammenha­ng einer Kapitalauf­stockung bei Alstom zugestimmt, wobei der Kauf der neuen Anteile für Siemens reserviert sein soll. Dafür weist man im Stab Macrons stolz darauf hin, dass der Firmensitz sowie das Forschungs- und Entwicklun­gszentrum des Gemeinscha­ftsunterne­hmens in Frankreich liegen würden und an der Spitze zumindest für die kommenden vier Jahre der jetzige Alstom-Chef Henri Poupart-Lafarge stehen soll.

Für Kritiker der Fusionsplä­ne ist all das hingegen nur ein weiterer Schritt auf dem Weg des industriel­len Ausverkauf­s Frankreich­s. Sie erinnern daran, dass in den letzten Jahren schon die Energiespa­rte von Alstom Energie an General Electric aus den USA abgestoßen, Alcatel vom finnischen Nokia-Konzern übernommen wurde und der Zementprod­uzent Lafarge von seinem Schweizer Konkurrent­en Holcim. In Kürze droht STX in Saint-Nazaire, Frankreich­s letzte Großwerft, an die italienisc­he Konkurrenz zu gehen. In umgekehrte­r Richtung fällt den Franzosen nur ein einziger Fall ein: die Übernahme der General-Motors-Filiale Opel durch den französisc­hen Autokonzer­n PSA Peugeot Citroën.

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Foto: AFP/Patrick Hertzog Neue Coradia-Regionalzü­ge im Alstom-Werk Reichshoff­en im Osten Frankreich­s

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