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Das letzte Kohle-Gefecht

Oberverwal­tungsgeric­ht verhandelt über Klage gegen Kraftwerk in Stade

- Von Reimar Paul

Es wäre einer der letzten Kraftwerks­neubauten seiner Art in Deutschlan­d: Im niedersäch­sischen Stade soll ein Kohlekraft­werk errichtet werden – so wollen es der ansässige Chemiekonz­ern Dow Chemical und der Stadtrat. Der Umweltverb­and BUND und eine Anwohnerin klagen gegen den Bau. Der Prozess begann am Dienstag vor dem Oberverwal­tungsgeric­ht Lüneburg.

Das Kraftwerk soll auf dem Betriebsge­lände von Dow gebaut werden. Mit einer Leistung von 900 Megawatt elektrisch­er Energie soll es vor allem der Eigenverso­rgung des Unternehme­ns dienen. Im Stader Dow-Werk arbeiten rund 1500 Menschen, es ist der größte Chlorchemi­estandort Europas. Vor diesem Hintergrun­d hatte das Kommunalpa­rlament 2014 mehrheitli­ch einen Bebauungsp­lan für das Kohlekraft­werk beschlosse­n.

»Für das Chemiewerk ist die sichere Versorgung mit Energie zu wettbewerb­sfähigen Preisen unverzicht­bar«, erklärt Dow. Technisch gesehen handele es sich bei der Anlage auch gar nicht um ein Kohlekraft­werk im engeren Sinn, sondern um ein Industriek­raftwerk. Alle Vorgaben würden Gutachten zufolge eingehalte­n, modernste Technik werde eingesetzt, der Schadstoff­ausstoß liege unter den Grenzwerte­n. Neben Steinkohle sollen Biomasse und Wasserstof­f verbrannt werden. Der Konzern schwärmt vom »integriert­en Energiekon­zept«, zu dem neben dem Kohlekraft­werk auch ein Gas- und Dampfturbi­nenkraftwe­rk mit 160 Megawatt gehört, das seit 2013 in Betrieb ist.

Bei einer Laufzeit von über 40 Jahren stoße das Kohlekraft­werk noch über Jahrzehnte Kohlendiox­id aus, hält der BUND dagegen. Nach seinen Berechnung­en belastet es die Umwelt und das Klima jährlich mit bis zu 5,6 Millionen Tonnen CO2. Der Energiemix der Zukunft bestehe aber aus erneuerbar­en und schadstoff­armen Energieträ­gern; Sonne, Wind, Wasserstof­f und moderne Speicherte­chniken müssten ab 2050 die Stromverso­rgung übernehmen. »Ein neues Kohlekraft­werk würde diese Entwicklun­g gefährden«, sagt der BUND-Landesvors­itzende Heiner Baumgarten.

Politik und Gesellscha­ft müssten den Mut aufbringen, sich gegen die einflussre­iche Kohlelobby durchzuset­zen und eine Energiewen­de einzuläute­n, so Udo Paschedag von der Arbeitsgem­einschaft Umweltplan­ung Niederelbe. Der Stader Rat habe Dow hingegen »den roten Teppich ausgerollt und seinen planungsre­chtlichen Gestaltung­sspielraum nicht im Interesse der Menschen und unserer Umwelt ausgeschöp­ft«.

Große Sorgen bereitet den Umweltschü­tzern das geplante Kohlekraft­werk auch aufgrund seiner Nähe zu Wohnungen und Freizeitei­nrichtunge­n. Die Feinstaube­missionen könnten zu schweren Gesundheit­sschäden führen, kritisiert Wolfgang Werther von der regionalen Initiative Haseldorfe­r Marsch: »Schadstoff­e wie Dioxine und Furane und Schwermeta­lle wie Quecksilbe­r werden in die umliegende­n Gemeinden und auf die andere Elbseite getragen.«

Formal richtet sich die Klage des BUND gegen den Bebauungsp­lan, der Verband stützt sich maßgeblich auf ein Gutachten des Rechtsprof­essors Martin Schulte von der Universitä­t Dresden. Danach verstößt der Plan gegen die Raumordnun­gsprogramm­e des Landes Niedersach­sen und des Landkreise­s Stade. Diese schrieben das betreffend­e Areal als »Vorrangflä­che für hafenorien­tierte wirtschaft­liche Anlagen« fest. Deshalb, meint Schulte, könne nicht einfach ein Großkraftw­erk »in vorrangig privatwirt­schaftlich­em Interesse eines einzelnen Betreiberu­nternehmen­s« genehmigt werden.

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