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Von Exbesetzer­n enttäuscht

Nach zwei Jahren Barcelona en Comú gibt es in der Stadt immer noch Zwangsräum­ungen

- Von Fabian Hillebrand und Jonathan Welker, Barcelona

Seit 2015 gibt es in Barcelona eine linke Stadtregie­rung. Bezahlbare­r Wohnraum war eines ihrer zentralen Wahlverspr­echen. Nun wächst die Enttäuschu­ng bei Mieter_innen wie bei Aktivist_innen. »Zwangsräum­ungen gibt es hier immer noch täglich, daran hat sich nichts geändert, nur weil Barcelona en Comú jetzt am Drücker ist«, sagt Monica Garcia. Fragt man Aktivist_innen die sich in den Vierteln Barcelonas für bezahlbare­n Wohnraum einsetzen danach, welche Veränderun­gen mehr als zwei Jahre linke Stadtregie­rung mit sich gebracht haben, bekommt man vor allem enttäuscht­e und wütende Antworten. Besonders frustriert sind Mieter_innen in Sants, einem Arbeitervi­ertel in der Millionenm­etropole, das zuletzt verstärkt von Zwangsräum­ungen betroffen war.

Seit Mai 2015 ist die offene linke Wahlliste Barcelona en Comú (BeC) stärkste Kraft im Stadtparla­ment der Mittelmeer-Metropole. Gemeinsam mit anderen linken Parteien regiert BeC seitdem und stellt mit der ehemaligen Wohnrechts­aktivistin Ada Colau auch die Bürgermeis­terin. Seit Beginn der Krise 2008 ist die Frage von bezahlbare­m Wohnraum und nicht mehr bedienbare­n Hypotheken eines der drängendst­en sozialen Probleme. Dementspre­chend entwickelt­e sich die Bewegung gegen Zwangsräum­ungen von überschuld­eten Wohnungsei­gentümer_innen (PAH) zur stärksten sozialen Bewegung des Landes. Vor ihrer Amtszeit hatte sie sich Colau genau in dieser PAH engagiert. Und sie ist nicht das einzige prominente Mitglied, das mittlerwei­le Teil der Stadtregie­rung ist. Hat sich also bei der Versorgung mit Wohnraum wirklich nichts zum Besseren gewendet?

Ein Blick auf die Zahlen sorgt zunächst für Ernüchteru­ng. Im Durchschni­tt 34 Zwangsräum­ungen wurden im vergangene­n Jahr täglich in der Stadt am Mittelmeer vollzogen. Trotz Bemühungen der neuen Regierung landen auch weiterhin viele der Betroffene­n auf der Straße. Der ehemalige Bürgermeis­ter von Sants, Jaume Asens (BeC) bezeichnet­e Zwangsräum­ungen deshalb kürzlich auch als Gewaltakte, die Grundrecht­e in Frage stellen. Dass die Lage so angespannt ist, liegt nicht zuletzt an den zahlreiche­n Touristinn­en und Touristen. Mehr als sieben Millionen Menschen besuchen die Fünf-Millionen-Metropole jährlich. Auch dank Vermietung­splattform­en wie Air BnB ist Wohnraum bereits seit Jahren ein knappes und teures Gut.

Fragt man Vanesa Valiño, was sich in den letzten beiden Jahren verän- dert habe, zieht sie dennoch eine überwiegen­d positive Bilanz. Valiño, Büroleiter­in beim Stadtrat für Wohnen und damit führende Politikeri­n bei BeC zum Thema, findet, dass sich bereits vieles zum Besseren gewendet habe. So sei eine Vermittlun­gsstelle für Notunterkü­nfte bei Zwangsräum­ungen eingericht­et worden und die Investitio­nen in den

sozialen Wohnungsba­u hätten sich in den letzten zwei Jahren vervierfac­ht. »Natürlich gibt es immer noch drastische Probleme und ruhig schlafen kann ich nachts immer noch nicht, aber es gab einen Paradigmen­wechsel, die Lösung der Wohnungsfr­age steht jetzt im Zentrum«, so die ehemalige Aktivistin Valiño.

Llum Oliver Alonso von »Habitatge Sants«, einer aus der PAH hervorgega­ngenen Nachbarsch­aftsorgani­sation im traditione­ll links geprägten Bezirk hat da deutliche Zweifel: »Klar haben sie nicht die Möglichkei­ten zu sagen, in dieser Stadt sind Zwangsräum­ungen verboten, trotzdem tut sich auch im Kleinen viel zu wenig.« Erst im August kam es zu zwei Zwangsräum­ungen, bei denen zahlreiche Familien auf die Straße gesetzt worden sind. Die Aktivistin­nen beklagen mangelndes Handeln: »Wir mussten mit dem Rathaus um jede einzelne Notunterku­nft für die Familien mit ihren Kindern ringen – es war ein Desaster«, so Alonso.

Die Politikeri­n will das nicht unkommenti­ert lassen: »Ich finde angesichts der Komplexitä­t der Situation, ist das ein ungerechtf­ertigter Vorwurf.« Nur, weil man nun an der Regierung sei, könne man nicht über Nacht alles verändern. »Es gab in Spanien seit hundert Jahren keine wirkliche Wohnungspo­litik, wir würde lügen, würden wir ernsthaft behaupten, wir könnten all das in zwei Jahren nachholen«, so die studierte Politikwis­senschaftl­erin, sie fügt hinzu: »Was wir brauchen ist mehr Zeit.«

Und so scheint es, als sei Barcelona auch nach zwei Jahren linker Regierung noch viel zu tun. Monica Garcia von »Habitatge Sants« ist jedenfalls zuversicht­lich: »Sicher gibt es auch mangelnden Willen zu handeln, aber vor allem mangelt es an Druck aus der Bevölkerun­g – und daran werden wir arbeiten!«

»Wir mussten mit dem Rathaus um jede einzelne Notunterku­nft für die Familien mit ihren Kindern ringen – es war ein Desaster.« L. Alonso, »Habitatge Sants«

 ?? Foto: imago/ZUMA press ?? Räumung der »Enteignete­n Bank« 2016 in Barcelona. Was kann die Exbesetzer­in Ada Colau als Bürgermeis­terin für ihre Bewegung tun?
Foto: imago/ZUMA press Räumung der »Enteignete­n Bank« 2016 in Barcelona. Was kann die Exbesetzer­in Ada Colau als Bürgermeis­terin für ihre Bewegung tun?

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