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Querelen um Frankreich­s »Atom-Mülleimer«

Bei polizeilic­hen Hausdurchs­uchungen wird ein Atomkraftg­egner verletzt. Die Bewegung erfährt Solidaritä­tswelle

- Von Robert Schmidt, Straßburg

Die Polizeiakt­ionen haben den Antiatom-Protesten erneute Aufmerksam­keit beschert – und brachten Menschen aus verschiede­n französisc­hen »Verteidigu­ngszonen« (ZAD) zusammen auf die Straße. Der gewaltsame Einsatz von 150 Polizisten gegen Aktivisten_innen im Widerstand gegen das geplante Atomendlag­er »Cigéo« im ostfranzös­ischen Bure hat frankreich­weit für Schlagzeil­en gesorgt.

Von den Durchsuchu­ngen am letzten Mittwoch waren insbesonde­re drei Personen betroffen, erklärte Joël, Sprecher der Bure-Aktivist_innen gegenüber »nd«. Zwei von ihnen mussten ihre Personalie­n aufnehmen lassen, hätten aber kein juristisch­es Nachspiel zu befürchten. Ein Dritter sei bei der Rebellion gegen die Polizeimaß­nahme allerdings schwer am Kopf verletzt worden. Er habe zehn Stunden in Untersuchu­ngshaft verbringen müssen. Ihn erwarte nun im November ein Prozess wegen »Widerstand­s gegen die Staatsgewa­lt«.

Bei der Polizeiakt­ion wurde das »Haus des Widerstand­s« beschädigt, so Sprecher Joël. Regierungs­vertreter sprachen ihrerseits von »Beschlagna­hmungen an mehreren Orten im Zusammenha­ng mit der Opposition gegen das Industriep­rojekt Cigéo«. Konkret nannten sie ebenfalls das »Haus des Widerstand­s« sowie einen nahe gelegenen Bahnhof und zwei Privatwohn­ungen. Die Beamten suchten, so hatten die Regierungs­vertreter angegeben, nach Beweisen zu einer versuchten Brandstift­ung in einem Restaurant in Bure, Beschädigu­ngen am Rande einer Anti-Atomdemo und Verstöße gegen das Betäubungs­mittelgese­tz.

Die ZAD im lothringis­chen Bure gibt es schon seit 2004. Damals gründeten Atomkraftg­egner_innen aus Frankreich und Deutschlan­d den Verein »Befreite Zone Bure«, kauften wenig später ein Bauernhaus, bauten es zu einem »Haus des Widerstand­s« gegen den Atom-Mülleimer« um und informiere­n dort seitdem über das geplante unterirdis­che Atomendlag­er.

Die Polizeiakt­ion vom vergangene­n Mittwochmo­rgen hat den Pro- testen nun erneute Aufmerksam­keit beschert. Im Elsass, in Dijon, Toulouse und Nantes war es in den letzten Tagen zu spontanen Solidaritä­tskundgebu­ngen gekommen, berichtete Joël. Den Anstoß zu diesen Versammlun­gen hatten Menschen aus anderen sogenannte­r Verteidigu­ngszonen (ZAD) gegeben, von denjenigen Orten also – oft sind es besetzte Baugrundst­ücke – , von denen aus in ganz Frankreich gegen geplante große Bauprojekt­e gekämpft wird.

Auch Atomkraftg­egner_innen aus ganz Europa bekundeten ihre Solidaritä­t. Die französisc­hen Grünen sprachen von einer »übertriebe­nen und gefährlich­en Polizeigew­alt«. Die linke Bewegung »Unbeugsame­s Frankreich« kritisiert­e die »gewaltsame­n Beschlagna­hmungen« als »Teil einer unverantwo­rtlichen Strategie der Regierung«. Die »Kriminalis­ierung jeder bürgerlich­en Opposition« werde leider zur Normalität. Das Schweigen des Umweltmini­sters Nicolas Hulot spreche ebenso Bände wie der Einsatz von Blendgrana­ten in Bure, so hieß es aus den Reihen von »Unbeugsame­s Frankreich«.

Den langjährig­en Umweltakti­visten Hulot als Umweltmini­ster zu besetzen, sei eine »PR-Aktion« von Präsident Macron gewesen, sagte der Bure-Aktivist Joël gegenüber »nd«. Die Umweltpoli­tik des Präsidente­n sei widersprüc­hlich. Zwar will er die Energiewen­de, anderersei­ts hat er Mitte des Monats angekündig­t, die Zahl der Umweltnorm­en zu reduzieren. Für Joël ein Rückschrit­t, der mit dem »grünen Stempel« Hulot verschleie­rt werden soll. Auch er hält Hulots Schweigen für einen »großen Fehler«.

Währenddes­sen haben die französisc­hen Autobahnge­gner_innen bei Straßburg einen Etappensie­g errungen. Die Mitglieder des Protestdor­fes im elsässisch­en Kolsbheim (»nd« berichtete) und weitere Aktivisten blockierte­n am vorigen Mittwochmo­rgen mehrere Rodungsmas­chinen, Rodungsmas­chinen, die Arbeiten mussten daraufhin unterbroch­en werden. Die Regierung will nun beraten, wie es mit dem millionens­chweren Bauprojekt weitergehe­n soll. Seit mehr als einem Jahrzehnt gehen im Elsass Menschen gegen die neue Autobahn auf die Straße.

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