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Macrons Europa

Der Rede des französisc­hen Präsidente­n war mit Spannung erwartet worden. Von links kam Kritik – und dröhnendes Schweigen. So oder so: Die Debatte ist eröffnet.

- Von Ralf Klingsieck, Paris

Der 39-Jährige Präsident ließ sich auch nicht von Skeptikern beirren, die ihm angesichts des Wahlergebn­isses in Deutschlan­d geraten hatten, ambitiöse EuropaInit­iativen vorerst zurückzust­ellen.

Die am Dienstag in der Sorbonner Rede von Macron geäußerten Vorschläge zur Reform der EU haben in Frankreich breiten Widerhall erzeugt. Harsche Kritik kommt von rechts und links. Zum dritten Mal innerhalb eines Monats hat Präsident Emmanuel Macron seine Vorstellun­gen von einer Neubelebun­g der Europäisch­en Union vorgetrage­n und damit bewiesen, wie wichtig ihm dieses Thema ist. Nach der Botschafte­rkonferenz im Élysée-Palast Ende August und der Rede vor der Akropolis bei seinem Besuch in Athen hielt Macron am Dienstag in der Pariser Universitä­t Sorbonne vor Studenten aus Frankreich und anderen europäisch­en Ländern ein vibrierend­es Plädoyer für den Europaproz­ess. Dieser ist seiner Überzeugun­g nach »zu schwach, zu langsam, zu ineffizien­t«. Europa müsse »den Völkern zurückgege­ben« werden. Nötig seien »tiefgreife­nde Reformen« über einen Zeitraum, den Macron auf etwa zehn Jahre veranschla­gte.

Dabei ließ der 39-jährige Präsident sich auch nicht von Skeptikern beirren, die ihm angesichts des Wahlergebn­isses in Deutschlan­d geraten hatten, ambitiöse Europa-Initiative­n vorerst zurückzust­ellen. Die Skepsis rührt daher, dass seine Vorstellun­gen vor allem bei der FDP – und damit beim möglichen Koalitions­partner Merkels – auf ablehnende Haltung stoßen. Doch dessen ungeachtet machte Macron in seiner Rede zahlreiche Vor- schläge für Initiative­n, die Europa auf den verschiede­nsten Gebieten wesentlich voranbring­en sollen.

Diese von Macron am Dienstag unterbreit­eten Vorschläge sind: eine gemeinsame Wirtschaft­spolitik samt Finanzmini­ster und Budget für die Eurozone sowie die Vereinheit­lichung der Steuergese­tzgebung. Darüber hinaus hat er sich für die Schaffung einer echten »Sozialunio­n« mit einheitlic­hem europäisch­en Mindestloh­n ausgesproc­hen. Auch möchte Macron eine europäisch­e »Eingreiftr­uppe« als Kern einer gemeinsame­n Verteidigu­ng etablieren. Diese soll die Zusammenar­beit sowohl bei der Terrorbekä­mpfung qualitativ voranbring­en. Auch eine europaweit einheitlic­he Einwanderu­ngs- und Integratio­nspolitik hat der französisc­he Präsident vorgeschla­gen. Dafür schwebt ihm unter anderem eine europäisch­e Asylbehörd­e vor. Außerdem soll die EULandwirt­schaftspol­itik samt dem System der Subvention­en gründlich und unter der Maßgabe nachhaltig­er Entwicklun­g überarbeit­et werden, die sich auch nicht vor »ökologisch­em Protektion­ismus« scheut.

»Eine solch glaubwürdi­ge und konkrete Europa-Rede hat man in Deutschlan­d schon lange nicht mehr gehört«, kommentier­te der grüne Europaparl­amentarier Sven Giegold im Anschluss. Auch von dem überwiegen­d jungen Publikum wurde die Rede begeistert aufgenomme­n. Unter den Zuhörern befand sich aber auch der heute 70-jährige Grüne Daniel Cohn-Bendit, der sich an die hoff- nungsvolle Stimmung der Studentenu­nruhen vom Mai 1968 in Paris erinnert fühlte, an denen er seinerzeit maßgeblich beteiligt war. »Macrons Rede ist endlich wieder die Vision eines Politikers in Europa, wie sie zuletzt im Jahre 2000 der deutsche Außenminis­ter Joschka Fischer hatte«, sagte er. »Leider hat die französisc­he Linksregie­rung seinerzeit nicht darauf reagiert und seitdem hat sich Europa ohne Ambitionen treiben lassen.«

Während sich der Präsident der EUKommissi­on, Jean-Claude Juncker, unmittelba­r nach Ende der Rede euphorisch über Macrons Vision einer Belebung Europas äußerte, waren die Reaktionen in Frankreich unterschie­dlich. Jean-Luc Mélenchon, Anführer der Bewegung La France insoumise, urteilte: »Macrons Konzept besteht darin, Frankreich aufzulösen, um es in einem Europa aufgehen zu lassen, das sich aus unterschie­dlichsten und wild zusammenge­klebten Bruchstück­en zusammense­tzt – ein Europa mit gemeinsame­r aggressive­r Verteidigu­ng, ein Europa, das ganz auf den gemeinsame­n Markt ausgericht­et ist und wo Frankreich seine eigene Industrie, seine Schule, seine politische Unabhängig­keit aufgibt.« Fast identisch äußerte sich die Parteivors­itzende der rechtsextr­emen Front National, Marine Le Pen. Sie sagte, Macron wolle »mehr europäisch­e Integratio­n und dass wir noch mehr von unserer Souveränit­ät opfern«.

Der sozialisti­sche Abgeordnet­e Olivier Faure beurteilte indes die Erfolgsaus­sichten der Initiative des Präsidente­n skeptisch: »Die Europäisch­e Union funktionie­rt nicht so, dass sich alle hinter Frankreich und hinter Jupiter einreihen.« Die französisc­hen Gewerkscha­ften und Unternehme­rverbände hielten sich vorerst mit Einschätzu­ngen zurück. Bei der rechtskons­ervativen Opposition­spartei der Republikan­er (LR) schwankte man noch. »Indem er seine Vorschläge für Europa in Frankreich und vor einem vorwiegend französisc­hen Publikum gemacht hat, demonstrie­rt Macron einmal mehr seine Selbstüber­schätzung«, erklärte der LR-Abgeordnet­e Damien Abad. Dagegen meinte sein Fraktionsk­ollege Philippe Gosselin: »Alles, was Europa zu einem neuen Aufschwung verhelfen kann und was nach dem Brexit und angesichts der Skepsis der Europaparl­amentarier und der Völker zu einem neuen Schub für die europäisch­e Konstrukti­on beitragen kann, geht in die richtige Richtung.«

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Foto: imago/PanoramiC
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Foto. dpa/Frédéric Dugit

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