nd.DerTag

Gefahr im Verzug

Angela Merkel ist angeknockt, meint Georg Fülberth. Doch sie ist innerparte­ilich alternativ­los – vorerst zumindest

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Chapeau, SPD! Durch ihre Entscheidu­ng, in die Opposition zu gehen, hat sie der Kanzlerin, von der sie in der Wahl klar besiegt wurde, im Nachhinein eine Niederlage beigebrach­t, die sie ernsthaft gefährden kann. Dass die Union Verluste erleiden werde, war absehbar. Sie sind in Angela Merkels Nachwahlka­lkulatione­n wohl schon eingepreis­t gewesen. Die Kanzlerin konnte sich vorab ruhig zurücklehn­en, da sie als nächste Regierungs­chefin schon feststand. Zwei Optionen schien sie zu haben: Fortsetzun­g der Großen Koalition oder Jamaika.

In beiden Fällen konnte sie nur gewinnen: Wäre die SPD der Versuchung erlegen, weiter mitregiere­n zu wollen, hätte die Kanzlerin eine handzahme Partnerin gehabt, die sie künftig noch kleiner machen konnte. Reizvoller wäre für sie wahrschein­lich eine schwarz-gelb-grüne Variante gewesen: die Krönung der schon von Heiner Geißler eingeleite­ten Modernisie­rung der CDU. Auch dass die Einbußen höher als erwartet ausfielen, musste Merkels Kreise allein noch nicht stören. Doch dann kam die Absage der SPD. Jetzt hat die Kanzlerin nur noch eine Option, und damit können ihre drei denkbaren Partnerinn­en – CSU, FDP, Grüne – stärkeren Druck auf sie ausüben.

In diesem Moment erst wurde sie als Wahlverlie­rerin gehandelt. Die CDU mag nur Sieger(innen) an ihrer Spitze. Wer schwächelt, ist in der Vergangenh­eit zum Abschuss freigegebe­n worden. So erging es Konrad Adenauer, als er 1961 die absolute Mehrheit einbüßte: Zwei Jahre später musste er zurücktret­en. Helmut Kohl wurde demontiert, nachdem die Union 1998 abgewählt worden war.

So weit ist es mit Merkel noch nicht. Dass sie innerparte­ilich alternativ­los bleibt, macht die Situation für sie persönlich zwar vorerst bequem, aber ungemütlic­h für die CDU. In 16 Jahren Merkel ist ihr eine Führungsre­serve und damit die Möglichkei­t der Auswechsel­ung der Spitzenfig­ur verloren gegangen. Alternativ­losigkeit bedeutet Einschränk­ung – wenn nicht sogar Verlust von Politikfäh­igkeit.

Es kann noch schlimmer kommen. Im Oktober wird in Niedersach­sen gewählt. Bisher sah es dort gut aus für die CDU. In Berlin wird es dann noch keine neue Regierung geben, höchstwahr­scheinlich noch nicht ein- Georg Fülberth hat von 1972 bis 2004 Politikwis­senschafte­n an der Universitä­t Marburg gelehrt. mal eine schwarz-grün-gelbe Vereinbaru­ng. Und selbst wenn diese wider Erwarten schon zustande gekommen sein sollte, fehlt noch die angekündig­te Urabstimmu­ng bei der FDP und den Grünen. Es wird also eine Hängeparti­e geben, die der Kanzlerin als Zeichen von Schwäche angekreide­t werden wird. Sollte sich im Ergebnis Stephan Weil (SPD) in Niedersach­sen behaupten, wird es für sie eng werden, und ein Wiederaufs­tieg der SPD könnte früher beginnen, als nach ihrem Debakel vom 24. September erwartet werden konnte.

Die Achillesfe­rse der Union befindet sich in Bayern. CSU-Chef Horst Seehofer hat stärker verloren als Merkel. Wie er bei der Landtagswa­hl im kommenden Jahr die AfD kleinhalte­n kann, ist derzeit unerfindli­ch, zumal die Taktik, die er bisher anwandte, sich als kontraprod­uktiv erwies: Er wollte klar machen, dass eine Dumpfbacke­nPartei in Bayern überflüssi­g ist, weil ihre Positionen schon von seiner CSU besetzt seien. Das stimmt sogar – bereits seit Franz Josef Strauß. Seehofer übersah Folgendes: Diejenigen, denen er und seine Vorgänger nach dem Mund redeten, sind jetzt auf den Geschmack gekommen, dass eine andere Partei ihre Ressentime­nts noch besser bedienen kann als bisher die CSU.

Offenbar will Seehofer diesen verhängnis­vollen Kurs bei Verhandlun­gen über eine Jamaika-Koalition fortsetzen. Die Führung der Grünen wird sich absehbar nicht so weit verbiegen können, um ihm hier ausreichen­d entgegen zu kommen.

Die Perspektiv­en für SchwarzGel­b-Grün sind also nicht rosig. Selbst wenn diese Koalition zustande kommen sollte, wird von ihr nicht der Erneuerung­simpuls ausgehen, den sich einige von ihr erhofft haben mögen. Gegner(innen) der Union sollten sich Schadenfre­ude jedoch verkneifen. Als die SPD seit Schröder niederging, stieg neben ihr die LINKE auf, die zum Verfassung­sbogen gehört. Die Verluste von CDU und CSU dagegen stärken eine Partei mit einer offenen Flanke hin zu faschistis­chen Positionen.

Angela Merkel wollte die Liftung der Union vollenden. Solche modernen konservati­v-liberalen Parteien gibt es seit jeher in Skandinavi­en und Großbritan­nien. Wenn dieses Modell im wirtschaft­lich stärksten Land Europas misslingen sollte, könnte es gefährlich werden.

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Foto: nd/Camay Sungu

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