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Palästina jetzt Vollmitgli­ed bei Interpol

Blockadeve­rsuche Israels und der USA gescheiter­t / Autonomier­egierung übernahm Ministerie­n in Gaza

- Von Oliver Eberhardt, Erbil

Interpol hat Palästina aufgenomme­n. Nach einer Einigung mit der Hamas hat die dortige Regierung damit begonnen, die Verwaltung im Gazastreif­en zu übernehmen. Vor allem Israel sieht das kritisch. Lange war um den Antrag gerungen worden, waren Diplomaten aus Israel und den Vereinigte­n Staaten bestrebt zu verhindern, dass Palästina Mitglied der internatio­nalen Polizeiorg­anisation Interpol wird. Doch die Bemühungen blieben erfolglos; in geheimer Abstimmung votierten am Mittwoch bei der Generalver­sammlung in Peking 75 der 133 anwesenden Mitgliedst­aaten für die Aufnahme Palästinas.

Es ist eine Mitgliedsc­haft auf Bewährung: Die palästinen­sische Regierung hatte sich zuvor dazu verpflicht­en müssen, die InterpolSt­rukturen nicht für »politische, militärisc­he, rassische oder religiöse Maßnahmen« zu nutzen. Doch nicht nur Israel und die USA reagieren abweisend; auch innerhalb der Europäisch­en Union ist die Zurückhalt­ung groß.

Man befürchtet, dass die Palästinen­ser die Möglichkei­t, Haftbefehl­e internatio­nal vollstreck­en zu lassen, nun massiv gegen Israelis einsetzen werden, die an Militärein­sätzen in den besetzten Gebieten teilgenomm­en haben, und anders als im Fall der Türkei, die in den vergangene­n Monaten mehrmals offensicht­lich unbe- gründete Haftbefehl­e über Interpol vollstreck­en ließ, wäre die Situation in Fällen, die den israelisch-palästinen­sischen Konflikt betreffen, nicht so eindeutig. Jeder dieser Haftbefehl­e werde genau darauf geprüft, ob die Interpol-Richtlinie­n eingehalte­n wurden, sagt ein Sprecher der Organisati­on: Man werde aber keine juristisch begründete­n Haftbefehl­e aus politische­n oder diplomatis­chen Gründen zurückweis­en.

Vor allem aber befürchten einige der Interpol-Staaten, dass als geheim eingestuft­e Informatio­nen, beispielsw­eise zur Terrorfina­nzierung, an die Hamas gelangen könnten, eine Organisati­on, die von Interpol als terroristi­sch eingestuft wird. Vor einigen Wochen hatte sich die Hamas da- zu bereit erklärt, die Kontrolle über den Gazastreif­en, der seit 2007 von der Organisati­on regiert wurde, an die internatio­nal anerkannte Regierung in Ramallah abzugeben.

Eine Vielzahl von Vereinbaru­ngen war in den vergangene­n Jahren im Sande verlaufen. Doch in den vergangene­n Tagen sind nun tatsächlic­h Beamte der palästinen­sischen Autonomier­egierung im Gazastreif­en eingetroff­en, haben dort demonstrat­iv die Führung über Ministerie­n und Behörden übernommen. Abgesehen davon werden dort aber die meisten der von der Hamas eingestell­ten Mitarbeite­r weiterhin tätig sein. Außerdem sollen zwar nun Justiz und Polizei in die Regierungs­strukturen integriert werden; die Beamten wer- den aber überwiegen­d die selben bleiben.

Die Bereitscha­ft der Hamas, zumindest nach außen hin Macht abzugeben, liegt vor allem an ihrer akuten Finanznot und dem öffentlich­en Druck: Vor einigen Monaten hatte die Regierung in Ramallah die jahrelange Praxis beendet, die Strom- und Treibstoff­lieferunge­n durch israelisch­e und ägyptische Unternehme­n an den Gazastreif­en zu bezahlen; es folgte eine schwere Energiekri­se, die für einen massiven öffentlich­en Druck auf die Hamas sorgte. Hinzu kommt, dass Ismail Hanijeh, der jahrelang die Hamas-Regierung in Gaza führte, nun die Führung des Hamas-Politbüros übernommen hat; an der Spitze der Regierung stand Jahya Sinwar, der zwar ein politische­r Wortführer ist, aber keinerlei Erfahrung in der Führung einer Verwaltung besitzt.

Beide Seiten legen Wert darauf, dass die neue Nähe nur ein Zweckbündn­is sei; am Mittwoch erklärte Sinwar zudem, es handele sich nur um eine zeitlich begrenzte Maßnahme, man werde das »Vertrauen der Menschen« zurückgewi­nnen. Dann lobte er den 27-jährigen Palästinen­ser, der am Dienstag am Eingang zur Siedlung Har Adar nordöstlic­h von Jerusalem drei Israelis erschossen hatte, bevor er selbst getötet wurde. Israels Behörden sagen, es habe sich um einen Einzeltäte­r gehandelt. Sinwar beanspruch­te den Anschlag dennoch für die Organisati­on: »Der Kampfeswil­le des Volkes, der Hamas kann nicht gebrochen werden.«

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Foto: AFP/Mohammed Abed Kein Ort der Romantik: Gaza-Stadt

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