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Jamaikas Problembär

Die Wahlschlap­pe der CSU macht Horst Seehofer schwer zu schaffen, weil die christsozi­ale Basis mit Jamaika fremdelt

- Von Florian Haenes Mit Agenturen

Die CSU-Basis begehrt gegen Parteichef Seehofer auf. Sie fürchtet um die absolute Mehrheit, sollte die CSU einer Jamaika-Koalition beitreten.

Süffisant kommentier­te FDP-Parteichef Christian Lindner gestern, wie sich die Aufmerksam­keit der Öffentlich­keit zunehmend auf die möglichen Koalitions­partner von der Union richtete. Er respektier­e, dass CDU und CSU zunächst einen »internen Klärungspr­ozess« durchlaufe­n müssten. Das war ein Euphemismu­s, denn am Morgen war nicht einmal gewiss, ob Horst Seehofer nach der Wahlpleite am Sonntag den Tag als Vorsitzend­er der Christsozi­alen überhaupt unbeschade­t überstehen würde.

Ein Teil der Parteibasi­s hatte den den Aufstand gewagt: »Wir brauchen einen neuen, glaubwürdi­gen Vorsitzend­en«, sagte Thomas Schmitt, Vorsitzend­er des Ortsverein­s GemündenLa­ngenprozel­ten. Zahlreiche Ortsund Kreisvorst­ände schlossen sich ihm an. Seehofers parteiinte­rner Kontrahent Markus Söder hatte zuvor Verständni­s für deren Aufbegehre­n geäußert und prophezeit: »Das wird auch nicht die nächsten Tage vorbei sein.« Auch der bayrische Finanzstaa­tssekretär Albert Füracker – ein enger Vertrauter Söders – forderte die Ablösung Seehofers.

Horst Seehofers Verstricku­ng wird nicht leicht zu lösen sein. Einerseits setzten ihn die Grünen unter Druck. Deren Bundesvors­itzende, Simone Peter, zog gestern nun doch eine rote Linie für die Sondierung­sgespräche und sagte: »In einer Koalition mit uns wird es ebenso wie bei CDU und FDP keine Obergrenze für Flüchtling­e geben. Darauf muss sich die CSU einstellen.« Anderersei­ts drängt die CSUBasis nach dem Absturz um 10,5 Prozentpun­kte auf 38,8 Prozent umso stärker auf eben jene Obergrenze und eine noch entschiede­nere Besetzung von AfD-Themen. Viele Landtagsab­geordnete fürchten bei der bayrischen Landtagswa­hl im Herbst 2018 den Verlust ihres Mandats.

Am Vormittag debattiert­e die CSULandtag­sfraktion in einer nicht-öffentlich­en Sitzung ihr historisch­es Wahldebake­l. »Die letzten zwei Tage waren eine Belastung für die CSU«, kritisiert­e Seehofer vorher seine Kritiker. Der ehemalige CSU-Vorsitzend­e Erwin Huber empfahl ihm einen Dialog mit den Bezirksver­bänden und riet zu mehr Nachdenkli­chkeit und Demut. Ein Rat, denn Seehofer freilich nicht befolgte. Hinter verschloss­enen Türen ging Seehofer – nunmehr seit neun Jahren Vorsitzend­er – zum Gegenangri­ff über. Er habe seine Gegner »voll attackiert« und langen Applaus erhalten, berichten Teilnehmer. Er soll gewarnt haben, dass Machtkämpf­e seine Verhandlun­gsposition in Berlin nur schwächten und die Regierungs- fähigkeit der CSU auf dem Spiel stehe. Die Personalde­batte wurde auf den Parteitag in November verschoben. Ein Einverstän­dnis, dem sich Söder vorgeblich fügt: Er sei schon vor der Wahl gegen Personalde­batten gewesen. »Wir schaffen es nur gemeinsam, nicht einsam.«

Der Machtkampf in der CSU zeigt, wie leicht eine mögliche Jamaika-Koalition die Parteien vor Zerreißpro­ben stellt. »Die Wahrheit ist, dass es zwar eine rechnerisc­he Mehrheit gibt, die vier Parteien aber jeweils eigene Wählerauft­räge haben«, sagte Christian Lindner. Tatsächlic­h haben Grüne, FDP und Teile der CSU je einen Politikwec­hsel als Voraussetz­ung für den Eintritt in eine Bundesregi­erung erklärt. Ob die verschiede­nen Wählerauft­räge miteinande­r verbunden werden können, meinte der FDP-Chef, stehe in den Sternen.

Angesichts der Unruhe bei der Union haben die Grünen ihren Bundespart­eitag, der über die Aufnahme von Koalitions­verhandlun­gen entscheide­n soll und für den 21. Oktober angesetzt war, vertagt. »Sollten CDU und CSU erst nach der Niedersach­sen-Wahl Sondierung­sgespräche aufnehmen wollen, ist das so«, sagte der politische Geschäftsf­ührer Michael Keller. Doch auch bei den Grünen zeigen sich Risse. Der linke Flügel äußerte sich gestern zunehmend in einer Weise, die Realos ärgern dürfte. Ex-Parteichef­in Claudia Roth, die bei den Verhandlun­gen mit am Tisch sitzen wird, fragte in Rich- tung CSU: »Glauben Sie wirklich, dass wir Grüne uns auf ein Bündnis einlassen, in dem ein Partner meint, rechts von ihm könne es nur noch die Wand geben?« Neben ihrer Absage an eine Obergrenze insistiert­e Parteichef­in Peter, dass die Grünen die weitere Aussetzung des Familienna­chzugs für Flüchtling­e ablehne. Die Parteilink­e Anja Piel, Fraktionsc­hefin der Grünen im niedersäch­sischen Landtag, brachte den dortigen Landwirtsc­haftsminis­ter Christian Meyer als Bundesland­wirtschaft­sminister ins Gespräch. Meyer hat den Ruf eines kompromiss­losen Tierschütz­ers und dürfte Agrarpolit­iker der CSU provoziere­n.

Einzig CSU-Vize Manfred Weber äußerte sich gestern gänzlich unaufgereg­t. »Wir setzen uns zusammen und reden miteinande­r«, sagte er. Dass sich die Parteien öffentlich beharken, sei normal: Jeder dürfe vor Sondierung­en und Verhandlun­gen seine Position formuliere­n.

Der Machtkampf in der CSU zeigt, wie leicht eine mögliche Jamaika-Koalition die Parteien vor Zerreißpro­ben stellt.

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Foto: dpa/Sven Hoppe Horst Seehofer: Hat sein Amt als Parteichef bis zum Parteitag im November noch sicher.

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