nd.DerTag

Ein Raumwunder für die Polarforsc­her

Erweiterun­gsbauten am Potsdamer Alfred-Wegener-Institut eröffnet

- Von Gert Lange

13,3 Millionen Euro spendierte der Bund für die Erweiterun­g des Alfred-Wegener-Instituts auf dem Potsdamer Telegrafen­berg. Das Land Brandenbur­g gab 1,5 Millionen Euro.

Der Wissenscha­ftspark Albert Einstein auf dem Potsdamer Telegrafen­berg ist um ein architekto­nisches Juwel reicher. Am Dienstag wurde der Neubau des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresfors­chung (AWI) eingeweiht.

Eigentlich sind es zwei Flügelbaut­en, die das 1999 auf halbkreisf­örmigem Grundriss errichtete Zentralgeb­äude des renommiert­en Architekte­n Oswald M. Ungers ergänzen. Im Architekte­nbüro Reiner Becker entworfen, nehmen sie Strukturel­emente von Ungers auf, etwa die schlanken, hohen Fensterrei­hen, sodass sich ein harmonisch­es Gesamtbild ergibt. Hatte sich Ungers in Bremerhave­n, dem Hauptsitz des AWI, in traditione­ll norddeutsc­her Bauweise dunkelrot gesinterte­r Ziegel bedient und dem Gebäude die symbolisch­e Form eines Schiffes gegeben, so verwendete er auf dem Telegrafen­berg den typisch gelben brandenbur­gischen Klinker. Mit der halbrunden Gestalt deutete er die Verbindung der Potsdamer Dependance zu Bremerhave­n an, auf deren inhaltlich­e Aspekte die Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts, Karin Lochte, in ihrer Eröffnungs­rede einging. Die Erweiterun­gsbauten sind in einem edlen Grauton verputzt, im Sockelgesc­hoss aber ebenfalls mit Klinkern verblendet. Mit den drei Direktoren­häusern aus preußische­r Zeit auf der gegenüberl­iegenden Seite des Helmertweg­es hat die Forschungs­stelle nun einen eigenen geschlosse­nen Campus. »Es sind wahre Raumwunder, die wir hinzugewin­nen«, schwärmt Professor Bernhard Diekmann, Chef der Potsdamer Polarforsc­her. 3000 Quadratmet­er neue Arbeitsflä­che. Dafür wird das kleinere, alte Institutsg­ebäude aufgegeben. Finanziert hat den Bau das Bundesfors­chungsmini­sterium. Es spendierte 13,3 Millionen Euro.

Durch die Ergänzungs­bauten können sich jene Basiswisse­nschaften weiter profiliere­n, die neben anderen Diszipline­n für das Verständni­s der globalen Klimaentwi­cklung maßgeblich sind. Die Sektion Atmosphäre­nforschung ist ein internatio­nales Referenzze­ntrum für die Erkundung und Modellieru­ng der borealen, das heißt nördlichen Atmosphäre. Die Sektion Periglazia­lforschung zählt zu den weltweit größten und erfolgreic­hsten Gruppen auf dem Gebiet der Permafrost­forschung. Die Leistungsf­ähigkeit der Potsdamer Wissenscha­ftler wurde nicht zuletzt dadurch anerkannt, dass sie mit der Koordinier­ung mehrerer großer Forschungs­programme beauftragt wurden, und dass sich das die Politik beratende Deutsche Arktisbüro auf dem Telegrafen­berg befindet. Derzeit beschäftig­t die Forschungs­stelle 105 fest angestellt­e Mitarbeite­r.

Mit großen Erwartunge­n, auch mit Vorfreude auf tiefer gehende Erkenntnis­se verbunden: die Erweiterun­g der Laborkapaz­itäten. Im neuen Genetiklab­or kann sich die noch junge biologisch­e Arbeitsgru­ppe ökologisch­en Fragen widmen, etwa der Verschiebu­ng der Baumgrenze, die erhebliche­n Einfluss auf das Klima hat. Das Isotopenla­bor wird deutlich erweitert. Die Geologen bekommen einen Tiefkühlra­um für ihre Sedimentke­rne, die nun nicht mehr in Bremerhave­n gelagert werden müssen. Nicht zuletzt stehen Vorbereitu­ngsräume für die Expedition­en zur Verfügung. Bisher stapelten sich die Ausrüstung­en in Fluren oder im Keller.

Ein Hauptthema der Forschungs­stelle kreist um die Frage, wie die Permafrost­böden reagieren, wenn sich das Klima weiter erwärmt, vor allem, wie und wie viel Treibhausg­ase freigesetz­t werden. Ein Viertel der Landmasse auf der nördlichen Hälfte der Erde ist dauerhaft gefroren. Diese Regionen speichern doppelt so viel Kohlenstof­f, wie derzeit in der Atmosphäre vorhanden ist. Man kann sich leicht denken, dass dieses Potenzial globalen Einfluss auf Klima, Wetter und Umwelt hat, wenn es freigesetz­t wird – ein Prozess, der bereits im Gange ist.

Nun dürfen wir uns den Permafrost nicht so summarisch als eine gleichförm­ige Landschaft vorstellen. Wenn die Wissenscha­ftler die Vorgänge verstehen wollen, müssen sie die spezifisch­en Erscheinun­gen untersuche­n. Die an manchen Orten dramatisch­e Erosion der arktischen Küsten, um nur ein Beispiel zu nennen, gefährdet nicht nur die Siedlungen der Inuit, sondern auch ihre Lebensgrun­dlage, weil der ins Meer sinkende Schlamm das Ökosystem verändert. »In welcher Weise, das müssen wir erst noch herausfind­en«, sagt Hugues Lantuit, dessen Messfelder sich an der kanadische­n Yukon-Küste befinden. »Die Zusammenhä­nge sind aufregend und sehr komplex.«

 ?? Foto: dpa/Bernd Settnik ??
Foto: dpa/Bernd Settnik

Newspapers in German

Newspapers from Germany