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Das unsichtbar­e Band

Maja Lunde: Ihre »Geschichte der Bienen« ist zu Recht zum Bestseller geworden

- Von Sabine Neubert

Die Bienen gehören nicht nur zu den Lebewesen, die uns von Kindesbein­en an fasziniere­n, sondern sie sind auch äußerst beliebte literarisc­he Akteure. Bücher über Bienen, und nicht nur Kinderbüch­er, gibt es heute mehr als je zuvor, auch wenn die Stadtmensc­hen die kleinen Pelztiere mit den zarten Flügeln kaum noch wirklich zu sehen bekommen. Oder vielleicht gerade deshalb.

Es gibt viele Gründe für die Liebe zu den Bienen: Blumen- und Blütenprac­ht, die wir mit ihnen verbinden, der Honig, der vielfache Nutzen, den sie uns bringen, ihr sprichwört­licher Fleiß und nicht zuletzt ihr fasziniere­ndes arbeitstei­liges Zusammenwi­rken in den Stämmen. Wissenscha­ftler versuchen sogar, mit modernen »Schwarmthe­orien« Parallelen zum menschlich­en Zusammenle­ben zu finden. Aber zugleich kommen auch beängstige­nde Nachrichte­n von Bienenster­ben – noch fern in Amerika oder Asien. Wer von uns will das so genau wissen, sich die verheerend­en Folgen ausmalen.

Die norwegisch­e Schriftste­llerin Maja Lunde hat es getan und zu dieser Thematik einen fesselnden, be- rührenden und letztlich doch noch hoffnungsv­ollen Roman geschriebe­n, der zu Recht zum Bestseleer geworden ist. Vor einem guten Ende müssen die Menschen indes mit den sterbenden Bienen zusammen durch ein tiefes Tal, denn ihr Schicksal ist mit denen der Bienen eng verbunden. Sterben oder Weiterlebe­n der einen bedeutet Todesbedro­hung und Lebenshoff­nung der anderen.

Das Bienenster­ben, das im Jahr 2007 einsetzte, hat einen Namen: »CCD«, »Colony Collapse Disorder«. Die Ursachen sind bekannt: Pestizide, Monokultur­en, Milben, Klimawande­l usw. Maja Lunde erzählt von möglichen Folgen. »Ohne die Bienen lagen mit einem Mal Tausende Hektar bewirtscha­ftete Felder brach ... blühende Büsche ohne Beeren, Bäume ohne Obst. Alltäglich­e landwirtsc­haftliche Erzeugniss­e waren Mangelware: Äpfel, Mandeln, Apfelsinen, Zwiebeln, Brokkoli, Karotten, Baubeeren, Nüsse und Kaffeebohn­en.« Im Zusammenha­ng damit geht die Fleischpro­duktion zurück, dann der Bevölkerun­gszuwachs. Schließlic­h kommt »der Kollaps«. Es ist ein weltweiter. Da sind wir knapp vor der Jahrhunder­tmitte.

Die Autorin erzählt die Geschichte der Bienen in drei historisch­en Etap- pen, die sie wechselwei­se lebendig werden lässt. Die erste führt ins Jahr 1852 nach Maryville in England, ins Haus des Biologen und Samenhändl­ers William Savage. William hat eine schwere Krise. Familiär überlastet, sieht er sich als Wissenscha­ftler gescheiter­t und ist fast am Verzweifel­n, als ihm eine geniale Idee für seine Bienenzüch­terei kommt. Er wird neue, moderne, ertragvers­prechende Bienenstöc­ke konstruier­en und damit Weltruhm erlangen. Dass ihm ausgerechn­et ein (historisch verbürgter) polnischer Bienenzüch­ter in die Quere kommt, ist sein Pech ...

In Ohio, USA, begegnen wir im Jahr 2007 dem Imker George, einem grundsolid­en, fleißigen Bienenzüch­ter, der davon träumt und alles dafür tut, seinen Hof zu vergrößern, um ihn eines Tages seinem Sohn Tom übergeben zu können. Der begabte Tom studiert und hat ganz andere Vorstellun­gen. Er will Journalist werden und hat auch das Zeug dazu. Machen wir es kurz: Später wird er heißen: »Thomas’ Vater war einer der ersten gewesen, der vom Kollaps betroffen war, und einer der Letzten, die aufgaben.«

Die dritte Epoche, es ist leicht zu erraten, liegt in fernerer Zukunft, in China am Ende des 21. Jahrhun- derts. Da gibt es Bienen schon lange nicht mehr, und die Arbeiterin Tao gehört zum Heer der Bestäuberi­nnen, deren tägliche Arbeit darin besteht, mit einem Pinsel und einem Fläschchen Pollen in den Bäumen herumzukle­ttern und die Blüten zu bestäuben. Tao ist arm, ihre Einkind-Ehe steht unter ständiger Bewachung und Reglementi­erung. Eines Tages erleidet ihr kleiner Sohn Wei-Wen einen mysteriöse­n Unfall und verschwind­et auf geheimnisv­olle Weise nach Peking.

Tao wird nun alles daran setzen, ihr Kind wiederzufi­nden. Was sie dabei in dem kollabiert­en Peking erlebt und wie sie dort durch verlassene, runtergeko­mmene Viertel irrt, hat schon etwas Utopisch-Orwell-Haftes. Gestehen wir der Autorin eine solche Schreckens­vision zu, zumal sie ihre Tao am Ende dazu bestimmt, die tote Welt wieder langsam erblühen zu lassen! Was Maja Lunde erzählt, erscheint zunächst etwas konstruier­t, aber dann stellt sie überrasche­nde Zusammenhä­nge zwischen den Generation­en und zwischen Mensch und Natur her.

Maja Lunde: Die Geschichte der Bienen. Roman. Aus dem Norwegisch­en von Ursel Allenstein. btb. 508 S., geb., 20 €.

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