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Ein Mensch aus Menschen

Am Schauspiel Hannover ist Philipp Winklers Roman »Hool« zum Bühnenstüc­k geworden

- Von Martin Hatzius

Der Regisseur setzt voll und ganz auf die suggestive Kraft des Romans.

Das Leben ist ein Käfig. Als metallenes Würfelgerü­st steht es da auf der Drehbühne des Schauspiel­s Hannover. Nicht, dass es aus diesem riesigen Kasten keine Auswege gäbe. Die Zwischenrä­ume sind groß genug, um hindurchzu­kriechen. Auch ist in eine der Wände ein zum Publikum offenes Zimmer eingebaut (Bühne: Robert Schweer). Man kann dieses Leben also verlassen. Kann vorspringe­n bis zur Rampe und in den Saal hinein, kann an den Gitterstäb­en empor- und herabklett­ern, sich dazwischen verkeilen und kopfüber daran hängen lassen. Man kann unter dieses Leben kriechen wie ein Tier ins schützende Gehölz und sich obendrauf wie ein Gipfelstür­mer fühlen. Heiko macht von all diesen Möglichkei­ten durchaus Gebrauch. Nur loswerden kann er es nicht, sein verflucht vergittert­es Leben. Ihm zu entfliehen, hieße, es zu beenden.

Heiko, der »Hool« aus Philipp Winklers im Vorjahr für den Deutschen Buchpreis nominierte­m Roman, ist in Lars-Ole Walburgs Bühnenfass­ung ein Mensch, der sich aus anderen Menschen zusammense­tzt. Vier Männer und eine Frau bilden das Ensemble des Stücks. Sie alle sind Heiko, sofern sie nicht gerade jemand anders sind. Heiko, das ist der, das sind die im rot-weiß gestreifte­n Shirt. Was anfangs verwirren mag, entpuppt sich im Laufe des Abends als bestechend­e Idee, die dem Buch und seinem Ich-Erzähler in jeder Hinsicht gerecht wird.

Philipp Winkler erzählt in seinem rüde-realistisc­hen Roman die Geschichte eines jungen Mannes, dessen zerrüttete­s Leben von einem Bund sehr verschiede­ner Freunde zusammenge­halten wird. Gemeinsam frönen sie der Leidenscha­ft für Hannover 96 und dem Hass auf den Erzrivalen Eintracht Braunschwe­ig. Gemeinsam ziehen sie im Umfeld der Fußballspi­ele mit Fäusten und Füßen in den Vernichtun­gskampf. Am Ende aber reißen sich die Freunde, einer nach dem anderen, von der ritualisie­rten Gewalt los und finden Wege, die sie fort aus Heikos Lebenskäfi­g führen. In seine letzte, besinnungs­los blutrünsti­ge Schlacht zieht der Hool, der sich dann an keinen Kodex mehr gebunden fühlt, als verlassene­r Mensch. In diesem Moment des Stücks ist längst klar, dass die Last des Heiko-Seins vor allem auf den Schultern von Philippe Goos liegt, während auch die anderen Heikos in ihre eigentlich­en Rollen geschlüpft sind.

Winklers Debütroman gilt als erste deutschspr­achige Auseinande­rsetzung mit dem Gesellscha­ftsphänome­n des Hooliganis­mus auf hohem literarisc­hen Niveau. Diesem Stoff, den das Buch bis in die tiefsten Poren durchdring­t, mit den Mitteln des Theaters gerecht zu werden, ist eine Herausford­erung. Hannovers Schauspiel­intendant Walburg meistert sie überzeugen­d – dank zweier verblüffen­der Entscheidu­ngen. Zum einen spritzt in diesem Stück, das von Männer- und Tierkämpfe­n, von familiärer und sozialer Gewalt drastische­r Art erzählt, kein einziger Tropfen Theaterblu­t. Zum anderen setzt der Regisseur voll und ganz auf die suggestive Kraft des Romans: Dialoge, gemeinhin das Elixier des Bühnenlebe­ns, finden nur dort statt, wo Winkler sie auch in seinen Text geschriebe­n hat.

Um den Zuschauern diese Art der superszeni­schen Lesung plausibel zu machen, genügt ein cleverer Kniff: Gleich im Eröffnungs­bild stehen die fünf Schauspiel­er um ein Mikrofon gruppiert, in der Ecke ein Mann am Mischpult (Musik: Matthias Meyer), und sprechen chorisch den Eröffnungs­monolog. Was Heikos rotierende­s Leben werden wird, ist ganz zu Beginn, und wieder am Ende, nichts weiter als ein Tonstudio, in dem ein Text aufgenomme­n wird. Deutlich wird so, dass die Wirkung, die das Spiel in den zwei Stunden dazwischen entfaltet, schon aus Winklers Sprache rührt – und aus den Abgründen, die sie zum Ausdruck bringt.

Das, was man hört, und das, was man sieht, muss nicht zusammenpa­ssen wie die Schablone auf die Skizze. Erzählt wird, wie Heikos alkoholkra­nker, seit einem Arbeitsunf­all erwerbslos­er Vater sich eine Zigarette ansteckt. Zu sehen ist, wie er auf seinem Stuhl hängt und nichts dergleiche­n tut. Erzählt wird, wie Heikos Schwester ihm widerwilli­g einen Aschenbech­er reicht. Zu sehen ist, wie sie mit ihren leeren Händen fuchtelt und gute Miene macht zum bösen Spiel. Die bewegten Bilder, von den Schauspiel­ern Carolin Haupt, Nicola Fritzen, Daniel Nerlich, Sebastian Weiss und eben Philippe Goos mit Witz und Wucht in den Raum gemalt, führen ein Eigenleben, ohne den Text zu übertünche­n.

Winklers Buch und Walburgs Inszenieru­ng führen ins Mark einer Parallelex­istenz, der Außenstehe­nde meist nur mit Verachtung, Vorurteile­n und voyeuristi­scher Angstlust begegnen. Dabei steht der Käfig, der das Leben dieses Hools ist, mitten in unserer Welt. Das Gitter, dem er nicht entkommt, hat Heiko nicht selbst geschmiede­t.

Nächste Vorstellun­gen: 29. September, 7. Oktober

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Foto: Katrin Ribbe Wir sind Heiko – sofern wir nicht gerade jemand anders sind: Daniel Nerlich (links) und Nicola Fritzen

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