Schwieriger Kurswechsel im Norden
Die ehrgeizige dänische Gesundheitsreform zeigt erste Erfolge, bringt aber auch neue Probleme mit sich
Deutlich weniger Kliniken, dafür Super-Krankenhäuser auf der grünen Wiese, kurze Wartezeiten – das dänische Gesundheitswesen strebt nach mehr Effizienz. Das Gesundheitswesen ist eines der wichtigsten Felder dänischer Politik und ein Politiker, der hier Erfolg hat, kann es weit bringen. Ministerpräsident Lars Løkke Rasmussen von der konservativ-liberalen Venstre-Partei ist ein Beispiel dafür. Er schaffte seinen Durchbruch als Innen- und Gesundheitsminister. 2006 setzte er eine umfangreiche Reform in Gang, die Rationalisierung, Spezialisierung, bessere Behandlung und geringere Kosten zum Ziel hatte. Das System sollte »länger pro Liter« fahren können, wie er es ausdrückte. Viele Ziele sind erreicht worden, aber es zeigte sich auch, dass das Gesundheitswesen selbst in einem Land mit einer Bevölkerung von nur knapp sechs Millionen Einwohnern schwer zu steuern ist.
Eines der Reformziele war die Reduzierung der Verwaltung und Zusammenlegung medizinischer Abteilungen. Letzteres führte zur Schließung von 14 regionalen Krankenhäusern. Zehn weitere wurden in Gesundheitshäuser umgewandelt, Krankenhausabteilungen auf regionaler oder nationaler Grundlage zusammengelegt. Bis 2025 werden 16 sogenannte Superkrankenhäuser, von denen elf imponierende Neubauten auf der grünen Wiese sind, die Behandlungen übernehmen. Die meisten dieser Großprojekte entstehen in der Nähe von Autobahnen. Für rund 5,5 Milliarden Euro sollen dann 1,68 Millionen Quadratmeter neue Krankenhausfläche zur Verfügung stehen. Wie fast schon normal bei Projekten dieser Größenordnung gibt es auch bei diesem Umbau schon seit mehreren Jahren Verzögerungen und Budgetüberschreitungen.
Wenn das gesamte Projekt abgeschlossen ist, wird das medizinische Personal in weitaus weniger Krankenhäusern und Abteilungen arbeiten. Mehr Spezialisierung und damit höhere fachliche Standards wären möglich. Grundlage dafür ist eine Art Verwaltungsreform: Bis 2006 existierten noch 98 Ämter mit politischer und ökonomischer Verantwortung für das Gesundheitswesen. Aus ihnen wurden nur fünf regionale Verwaltungen, die durchschnittlich für eine Million Einwohner zuständig sind. Chirurgen, Kardiologen und andere medizinische Experten können auch bei komplizierten Eingriffen über hohe Fallzahlen Routine entwickeln und aufrechterhalten. Patienten akzeptieren vor diesem Hintergrund längere Anfahrtswege. Krankenhausaufenthalte dauern in Dänemark heute durchschnittlich nur 3,4 Tage, in der Bundesrepublik 7,3 Tage.
Kritik am Gesamtprojekt blieb nicht aus. In den entscheidenden, kleinen Expertengruppen wog die Meinung der Mediziner weniger als die der Verwaltungs- und Finanzfachleute. So fehlen den Ärzten abteilungsübergreifende Lösungen, um Ressourcen besser nutzen zu können. Bei den meisten Neubauten wurden Patientenhotels aus ökonomischen Gründen eingespart. Die Idee war, dass Patienten aus anderen Landesteilen und eventuell auch Angehörige hier zeitweise unter weniger krankenhausartigen Bedingungen wohnen können.
Bürokratieabbau – und damit das zweite Reformziel – wurde nicht erreicht. Auch hier beklagen die Vertreter der Gesundheitsberufe, dass sie bei den neuen Strukturen und Prozeduren zu wenig mitentscheiden durften. Ökonomen und Verwaltungsexperten dominieren heute die Krankenhausleitungen.
Nichts geändert hat die Reform an der grundlegenden Aufteilung des Gesundheitswesens in allgemein praktizierende Familienärzte und das Krankenhauswesen. Man konzentrierte sich ausschließlich auf die Kliniken. Eine effektive Zusammenarbeit beider Sektoren gibt es kaum. Der Übergang zwischen beiden gilt als Bermudadreieck des Gesundheitswesens, in dem viele Informationen verschwinden und so die Gefahr von Falschbehandlungen entsteht. Wegen der kurzen Klinikaufenthalte bekommt die ärztliche Primärversorgung immer mehr Aufgaben.
Vorbeugende Altenpflege sollte eigentlich zu Hause oder im Pflegeheim stattfinden, statt es immer wieder zu Notfällen mit Krankenhausaufnahme kommen zu lassen. Hier wurde noch keine Lösung gefunden, zumal die Personalbesetzung der Pflegeheime meist nicht ausreicht. Auch in Dänemark gilt diese Arbeit nicht als besonders attraktiv. So kommt es zu Qualitätsproblemen und häufigem Personalwechsel.
Die Reform sollte alle Behandlungsschritte nachvollziehbar und kontrollierbar machen – der Steuerzahler sollte wissen, wo sein Geld bleibt. Die Beschäftigten klagen indes über Kontrollwahn und mangelndes Vertrauen in ihre Arbeit. In vielen Situationen fehlt die Zeit, um mit dem Patienten in Ruhe zu sprechen. Ungelöst ist auch der Widerspruch zwischen der geforderten Effektivität und zugleich immer neuen Extrageldern für öffentlich besonders diskutierte Krankheiten. Abgesehen von zahnärztlicher Behandlung ist die Nutzung des Gesundheitswesens gratis für Bürger und Einwohner Dänemarks. Finanziert wird das über Steuern, der Sektor erhält 16 Prozent des Staatshaushaltes, das entspricht 2017 rund 20 Milliarden Euro.
Die Wartezeiten bei vielen Fachärzten sind heute schon zurückgegangen. Es bleiben aber ausreichend Lücken im Behandlungssystem, die privaten Krankenhäusern Verdienstmöglichkeiten geben. Zugänglich sind diese Kliniken für alle, falls die Wartezeiten bei öffentlichen Krankenhäusern länger sind als festgelegt. Auch diese Kosten zahlt letztlich der Steuerzahler. Wer darüber hinaus schneller behandelt werden will, muss entweder selbst bezahlen oder nutzt eine private Gesundheitsversicherung. Eine solche haben inzwischen insgesamt 1,9 Millionen Einwohner, oft vom Arbeitgeber als extra Vergünstigung über das Gehalt hinaus angeboten. Damit kann man die Warteschlange überspringen, bekommt eine Diagnose und eventuell auch eine Behandlung. Kann das Privatkrankenhaus diese nicht ausführen, wird in das nächste öffentliche Krankenhaus mit entsprechender Abteilung überwiesen. Termine gibt es oft innerhalb weniger Tage. Niemand sollte überrascht sein, wenn der behandelnde Arzt der gleiche ist, der die Diagnose bereits im Nebenjob im privaten Krankenhaus stellte. Die Diskussion zur Zweiklassengesellschaft im Gesundheitswesen wird deshalb schon seit Jahren geführt, ohne dass eine Lösung in Sicht wäre.
Medizintourismus spielt wegen kultureller und sprachlicher Hürden nur eine geringe Rolle. Bei einigen Krebsformen werden Therapien in Deutschland in Anspruch genommen, dessen Gesundheitswesen einen guten Ruf hat. Eine kleine Zahl lebensbedrohlich erkrankter Patienten wählt alternative Behandlungen beispielsweise in China, Thailand oder auch Deutschland und muss diese selbst bezahlen. Häufiger ist die Auslandsreise bei Zahnbehandlungen. In diesen Fällen geht es oft nach Deutschland, Polen oder Thailand, um etwa innerhalb einer Woche eine komplette Gebisssanierung zu einem Drittel der dänischen Preise durchführen zu lassen – und zwar von ausgewanderten dänischen Zahnärzten. Kosten wie Risiken von Falschbehandlungen müssen aber dann privat getragen werden.
Das Ziel, Wartezeiten im Wesentlichen abzuschaffen, wird eine Wunschvorstellung bleiben, da neue Behandlungsmöglichkeiten neue Wartezeiten schaffen. Kritiker des dänischen Gesundheitswesens vergessen, dass es dem Sektor wie jedem Supertanker geht. Zwischen dem Beschluss eines Kurswechsels und dessen Durchführung ändern sich die Bedingungen – und machen neue Anpassungen nötig.