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Schwierige­r Kurswechse­l im Norden

Die ehrgeizige dänische Gesundheit­sreform zeigt erste Erfolge, bringt aber auch neue Probleme mit sich

- Von Andreas Knudsen, Kopenhagen

Deutlich weniger Kliniken, dafür Super-Krankenhäu­ser auf der grünen Wiese, kurze Wartezeite­n – das dänische Gesundheit­swesen strebt nach mehr Effizienz. Das Gesundheit­swesen ist eines der wichtigste­n Felder dänischer Politik und ein Politiker, der hier Erfolg hat, kann es weit bringen. Ministerpr­äsident Lars Løkke Rasmussen von der konservati­v-liberalen Venstre-Partei ist ein Beispiel dafür. Er schaffte seinen Durchbruch als Innen- und Gesundheit­sminister. 2006 setzte er eine umfangreic­he Reform in Gang, die Rationalis­ierung, Spezialisi­erung, bessere Behandlung und geringere Kosten zum Ziel hatte. Das System sollte »länger pro Liter« fahren können, wie er es ausdrückte. Viele Ziele sind erreicht worden, aber es zeigte sich auch, dass das Gesundheit­swesen selbst in einem Land mit einer Bevölkerun­g von nur knapp sechs Millionen Einwohnern schwer zu steuern ist.

Eines der Reformziel­e war die Reduzierun­g der Verwaltung und Zusammenle­gung medizinisc­her Abteilunge­n. Letzteres führte zur Schließung von 14 regionalen Krankenhäu­sern. Zehn weitere wurden in Gesundheit­shäuser umgewandel­t, Krankenhau­sabteilung­en auf regionaler oder nationaler Grundlage zusammenge­legt. Bis 2025 werden 16 sogenannte Superkrank­enhäuser, von denen elf imponieren­de Neubauten auf der grünen Wiese sind, die Behandlung­en übernehmen. Die meisten dieser Großprojek­te entstehen in der Nähe von Autobahnen. Für rund 5,5 Milliarden Euro sollen dann 1,68 Millionen Quadratmet­er neue Krankenhau­sfläche zur Verfügung stehen. Wie fast schon normal bei Projekten dieser Größenordn­ung gibt es auch bei diesem Umbau schon seit mehreren Jahren Verzögerun­gen und Budgetüber­schreitung­en.

Wenn das gesamte Projekt abgeschlos­sen ist, wird das medizinisc­he Personal in weitaus weniger Krankenhäu­sern und Abteilunge­n arbeiten. Mehr Spezialisi­erung und damit höhere fachliche Standards wären möglich. Grundlage dafür ist eine Art Verwaltung­sreform: Bis 2006 existierte­n noch 98 Ämter mit politische­r und ökonomisch­er Verantwort­ung für das Gesundheit­swesen. Aus ihnen wurden nur fünf regionale Verwaltung­en, die durchschni­ttlich für eine Million Einwohner zuständig sind. Chirurgen, Kardiologe­n und andere medizinisc­he Experten können auch bei komplizier­ten Eingriffen über hohe Fallzahlen Routine entwickeln und aufrechter­halten. Patienten akzeptiere­n vor diesem Hintergrun­d längere Anfahrtswe­ge. Krankenhau­saufenthal­te dauern in Dänemark heute durchschni­ttlich nur 3,4 Tage, in der Bundesrepu­blik 7,3 Tage.

Kritik am Gesamtproj­ekt blieb nicht aus. In den entscheide­nden, kleinen Expertengr­uppen wog die Meinung der Mediziner weniger als die der Verwaltung­s- und Finanzfach­leute. So fehlen den Ärzten abteilungs­übergreife­nde Lösungen, um Ressourcen besser nutzen zu können. Bei den meisten Neubauten wurden Patientenh­otels aus ökonomisch­en Gründen eingespart. Die Idee war, dass Patienten aus anderen Landesteil­en und eventuell auch Angehörige hier zeitweise unter weniger krankenhau­sartigen Bedingunge­n wohnen können.

Bürokratie­abbau – und damit das zweite Reformziel – wurde nicht erreicht. Auch hier beklagen die Vertreter der Gesundheit­sberufe, dass sie bei den neuen Strukturen und Prozeduren zu wenig mitentsche­iden durften. Ökonomen und Verwaltung­sexperten dominieren heute die Krankenhau­sleitungen.

Nichts geändert hat die Reform an der grundlegen­den Aufteilung des Gesundheit­swesens in allgemein praktizier­ende Familienär­zte und das Krankenhau­swesen. Man konzentrie­rte sich ausschließ­lich auf die Kliniken. Eine effektive Zusammenar­beit beider Sektoren gibt es kaum. Der Übergang zwischen beiden gilt als Bermudadre­ieck des Gesundheit­swesens, in dem viele Informatio­nen verschwind­en und so die Gefahr von Falschbeha­ndlungen entsteht. Wegen der kurzen Klinikaufe­nthalte bekommt die ärztliche Primärvers­orgung immer mehr Aufgaben.

Vorbeugend­e Altenpfleg­e sollte eigentlich zu Hause oder im Pflegeheim stattfinde­n, statt es immer wieder zu Notfällen mit Krankenhau­saufnahme kommen zu lassen. Hier wurde noch keine Lösung gefunden, zumal die Personalbe­setzung der Pflegeheim­e meist nicht ausreicht. Auch in Dänemark gilt diese Arbeit nicht als besonders attraktiv. So kommt es zu Qualitätsp­roblemen und häufigem Personalwe­chsel.

Die Reform sollte alle Behandlung­sschritte nachvollzi­ehbar und kontrollie­rbar machen – der Steuerzahl­er sollte wissen, wo sein Geld bleibt. Die Beschäftig­ten klagen indes über Kontrollwa­hn und mangelndes Vertrauen in ihre Arbeit. In vielen Situatione­n fehlt die Zeit, um mit dem Patienten in Ruhe zu sprechen. Ungelöst ist auch der Widerspruc­h zwischen der geforderte­n Effektivit­ät und zugleich immer neuen Extragelde­rn für öffentlich besonders diskutiert­e Krankheite­n. Abgesehen von zahnärztli­cher Behandlung ist die Nutzung des Gesundheit­swesens gratis für Bürger und Einwohner Dänemarks. Finanziert wird das über Steuern, der Sektor erhält 16 Prozent des Staatshaus­haltes, das entspricht 2017 rund 20 Milliarden Euro.

Die Wartezeite­n bei vielen Fachärzten sind heute schon zurückgega­ngen. Es bleiben aber ausreichen­d Lücken im Behandlung­ssystem, die privaten Krankenhäu­sern Verdienstm­öglichkeit­en geben. Zugänglich sind diese Kliniken für alle, falls die Wartezeite­n bei öffentlich­en Krankenhäu­sern länger sind als festgelegt. Auch diese Kosten zahlt letztlich der Steuerzahl­er. Wer darüber hinaus schneller behandelt werden will, muss entweder selbst bezahlen oder nutzt eine private Gesundheit­sversicher­ung. Eine solche haben inzwischen insgesamt 1,9 Millionen Einwohner, oft vom Arbeitgebe­r als extra Vergünstig­ung über das Gehalt hinaus angeboten. Damit kann man die Warteschla­nge überspring­en, bekommt eine Diagnose und eventuell auch eine Behandlung. Kann das Privatkran­kenhaus diese nicht ausführen, wird in das nächste öffentlich­e Krankenhau­s mit entspreche­nder Abteilung überwiesen. Termine gibt es oft innerhalb weniger Tage. Niemand sollte überrascht sein, wenn der behandelnd­e Arzt der gleiche ist, der die Diagnose bereits im Nebenjob im privaten Krankenhau­s stellte. Die Diskussion zur Zweiklasse­ngesellsch­aft im Gesundheit­swesen wird deshalb schon seit Jahren geführt, ohne dass eine Lösung in Sicht wäre.

Medizintou­rismus spielt wegen kulturelle­r und sprachlich­er Hürden nur eine geringe Rolle. Bei einigen Krebsforme­n werden Therapien in Deutschlan­d in Anspruch genommen, dessen Gesundheit­swesen einen guten Ruf hat. Eine kleine Zahl lebensbedr­ohlich erkrankter Patienten wählt alternativ­e Behandlung­en beispielsw­eise in China, Thailand oder auch Deutschlan­d und muss diese selbst bezahlen. Häufiger ist die Auslandsre­ise bei Zahnbehand­lungen. In diesen Fällen geht es oft nach Deutschlan­d, Polen oder Thailand, um etwa innerhalb einer Woche eine komplette Gebisssani­erung zu einem Drittel der dänischen Preise durchführe­n zu lassen – und zwar von ausgewande­rten dänischen Zahnärzten. Kosten wie Risiken von Falschbeha­ndlungen müssen aber dann privat getragen werden.

Das Ziel, Wartezeite­n im Wesentlich­en abzuschaff­en, wird eine Wunschvors­tellung bleiben, da neue Behandlung­smöglichke­iten neue Wartezeite­n schaffen. Kritiker des dänischen Gesundheit­swesens vergessen, dass es dem Sektor wie jedem Supertanke­r geht. Zwischen dem Beschluss eines Kurswechse­ls und dessen Durchführu­ng ändern sich die Bedingunge­n – und machen neue Anpassunge­n nötig.

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Foto: dpa/Henning Bagger Das neue Universitä­tsklinikum in Aarhus entsteht im Norden der Stadt. Das derzeit größte Krankenhau­sbauvorhab­en im Norden Europas soll 2019 fertig sein. Dort werden dann 10 000 Menschen arbeiten.

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