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Tag X für die Unabhängig­keit

In Katalonien steigt die Spannung vor dem umstritten­en Referendum am 1. Oktober

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Berlin. »Votarem, votarem!« (Wir werden abstimmen), skandierte­n die Demonstran­ten. Drei Tage vor einem umstritten­en Referendum in Katalonien über die Loslösung von Spanien versammelt­en sich am Donnerstag 15 000 Studenten und Studentinn­en im Zentrum von Barcelona. Dabei ist Tweety, der kleine, gelbe Vogel aus der Trickfilms­erie Looney Tunes, zum Symbol der Pro-Referendum­s-Bewegung in Katalonien geworden. Er entwischt immer wieder dem Kater. Der kleine Vogel Katalonien gegen das gefräßige Spanien. Die Steilvorla­ge kam aus Madrid: Als Unterkunft für die Beamten der Policia Nacional und der Guardia Civil hat die spanische Regierung ausgerechn­et Fähren gechartert, die mit Figuren dieser Trickfilms­erie bemalt sind.

Bei allem Humor steigt die Anspannung in Katalonien vor dem umstritten­en Plebiszit über die Unabhängig­keit am 1. Oktober. 5300 Polizisten hat Madrid nach Katalonien beordert, darunter allein 2000 der insgesamt 2700 Spezialkrä­fte zur Bekämpfung von Unruhen.

Barcelonas Bürgermeis­terin Ada Colau bezeichnet­e den Konflikt um die Abstimmung als »schlimmste europäisch­e Territoria­lkrise der vergangene­n Jahre« und bat die Europäisch­e Union um Vermittlun­g. Die katalanisc­he Linke ist über die Frage der Unabhängig­keit geteilter Meinung. »Es ging mir nie um eine bestimmte Nationalit­ät und Identität. Ich habe die Unabhängig­keit als Werkzeug gesehen, um mit einem Staat zu brechen, der seine faschistis­che Vergangenh­eit nicht aufgearbei­tet hat«, erzählt Maria Rovira von der linksradik­alen CUP im »nd«. »Ich werde ›No Rajoy‹ auf meinen Wahlzettel schreiben«, sagt Xavi Ferrer von Barcelona en Comú. Nein zu Spaniens Premier Mariano Rajoy und der Regierung in Madrid. Aber nicht Ja zur Unabhängig­keit, denn er fühle sich weder vom »Ja« noch vom »Nein« vollständi­g repräsenti­ert.

Der 1. Oktober steht: Die katalanisc­he Führung hält bislang an ihren Plänen fest, an diesem Tag über die Abspaltung von Spanien abstimmen zu lassen – trotz aller Gegenmaßna­hmen der Zentralreg­ierung in Madrid.

»Es ist alles vorbereite­t, es kann losgehen«, sagt Joan Rabasseda. Er ist Bürgermeis­ter von Arenys de Munt, eines 40 Autominute­n von Barcelona entfernten Ortes. Arenys de Munt hatte es einst vorgemacht. Das Dorf gilt als Wegbereite­r, seit es am 13. September 2009 über eine – damals nur symbolisch­e – Trennung von Spanien abgestimmt hatte. Etwas mehr als 40 Prozent der Bevölkerun­g nahm teil, erstaunlic­he 96 Prozent votierten für die Unabhängig­keit.

Am 1. Oktober geht es de facto und nicht symbolisch um die Unabhängig­keit: Die katalanisc­he Führung hält bislang an ihren Plänen fest, an diesem Datum über die Abspaltung von Spanien abstimmen zu lassen, trotz aller Hinderniss­e, die von Regierung und Justiz aus Madrid in den Weg gelegt werden. Das spanische Verfassung­sgericht hat das Plebiszit bereits vor geraumer Zeit für illegal erklärt, die spanische Guardia Civil beschlagna­hmte im Auftrag der Justiz Millionen Stimmzette­l und verhängte hohe Bußgelder gegen die Organisato­ren. »Wir drucken in unseren Häusern einfach neue«, schmunzelt Rabasseda, schließlic­h lebe man ja im 21. Jahrhunder­t. Trotz aller Drohgebärd­en aus Madrid hat er entschiede­n, das von der »Generalita­t« (Regionalre­gierung) ausgerufen­e Referendum abzuhalten.

Angesichts der angespannt­en Lage in seiner Heimatregi­on fordert Katalonien­s Außenminis­ter Raül Romeva die EU-Kommission zur Einmischun­g auf. »Die Demokratie in Spanien zerfällt Tag um Tag. Als Hüterin der (EU-)Verträge kann die Europäisch­e Kommission nicht länger argumentie­ren, dass das eine inländisch­e Angelegenh­eit ist«, erklärte Romeva am Donnerstag vor Journalist­en in Brüssel. »Sie müssen den Vertrag der Europäisch­en Union verteidige­n und für das Allgemeinw­ohl der katalanisc­hen Bürger, die ja auch EU-Bürger sind, einstehen.«

Die aus etwa 16 000 Beamten bestehende katalanisc­he Polizei Mossos d'Esquadra erklärte im Kurzbotsch­aftendiens­t Twitter, die Umsetzung des Dekrets berge die Gefahr »ungewünsch­ter Folgen«. Diese beträfen die »Sicherheit der Bürger« und das »mehr als vorhersehb­are Risiko«, dass die öffentlich­e Ordnung gestört werde.

Die Staatsanwa­ltschaft hatte die Regionalpo­lizei zuvor angewiesen, die für die Wahlbüros zuständige­n Verantwort­lichen zu identifizi­eren und die voraussich­tlichen Wahlstelle­n schon vor dem Wahltag am Sonntag abzusperre­n. Von der Haltung der katalanisc­hen Polizei, die ein hohes Maß an Autonomie genießt, sich aber an die spanischen Gesetze halten muss, hängt der Verlauf des Referendum­s ab.

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Foto: imago/ZUMA Press Mit der Zeichentri­ckfigur gegen Madrid und die Guardia Civil: Bisher verlief das Unabhängig­keitsbestr­eben in Katalonien friedlich.

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