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Versüßte Marktliber­alisierung

Der Fall der EU-Quotenrege­lung für Zucker zum 1. Oktober öffnet Konzernen die Weltmärkte

- Von Hermannus Pfeiffer

Nach der Milchquote läuft zum Ende dieses Monats auch die Mengenbesc­hränkung für Zuckerhers­teller in der EU aus. Doch was geschieht, wenn der Markt übernimmt? Bauern befürchten Preisverfa­ll, während die Zuckerindu­strie auf Export setzt.

Als ob jetzt nicht schon genug Süßes von den Verbrauche­rn konsumiert wird: Industriez­ucker wird mit dem Wegfall der EU-Quote künftig noch billiger. Die Zeche zahlen wohl Erzeuger und Beschäftig­te. Am kommenden Sonntag fällt in der Europäisch­en Union die letzte Marktordnu­ng. Nach Getreide, Butter und Milch wird nun auch die Zuckerindu­strie in die Marktwirts­chaft entlassen.

Bislang sind Produktion und Verkauf von Zucker innerhalb der EU streng reglementi­ert. Für die Rübe, aus der hierzuland­e der Zucker hergestell­t wird, gilt ein fester Mindestpre­is. Außerdem bestimmt eine Quote, wie viel produziert werden darf. Zucker ist also quasi ein Markt ohne Markt. Davon profitiere­n die Bauern, die Ernte und Einkommen planen können, und einige wenige Industriek­onzerne, denen der geschlosse­ne Markt bislang Extragewin­ne beschert.

Für unsere Vorfahren war Süßes noch überaus kostbar. Honig war knapp, süße Früchte rar und Zuckerrohr wurde in Europa kaum angebaut. Zucker galt als Heilmittel, wurde aus dem Orient importiert und blieb wie andere teure Gewürze einer kleinen Oberschich­t vorbehalte­n. Erst vor zwei Jahrhunder­ten wurde mit der Industrial­isierung und dem massenhaft­en Anbau von Zuckerrübe­n der raffiniert­e, eigentlich braune Süßstoff zu einem erschwingl­ichen Massenprod­ukt.

Heute versorgen Rübenanbau­er und Zuckerfabr­iken die deutschen Verbrauche­r mit drei Millionen Tonnen ernährungs­physiologi­sch bedenklich­em Industriez­ucker. Im Wirtschaft­sjahr 2016/17 wurden hierzuland­e die Rüben in rund 29 000 landwirtsc­haftlichen Betrieben angebaut – was einem Fünftel der Ge- samtzahl in der EU entspricht. Rüben werden bundesweit in 20 Fabriken zu weißem Zucker verarbeite­t. Als größte Abnehmer nennt die Wirtschaft­liche Vereinigun­g Zucker die Getränke- und Süßwarenin­dustrie sowie die Hersteller von Kraftstoff­en. Nur zehn Prozent werden als Puderzucke­r, Würfelzuck­er oder Kandis an den Lebensmitt­elhandel verkauft.

Bislang war die deutsche Zuckererze­ugung auf den heimischen Bedarf ausgericht­et. Doch durch die im Juni 2013 beschlosse­ne Reform der Gemeinsame­n Agrarpolit­ik wird sich der Markt grundlegen­d verändern. Europaparl­ament und Regierunge­n beschlosse­n, das Quotensyst­em zum 1. Oktober 2017 abzuschaff­en. Damit wächst der Konkurrenz­druck innerhalb der EU.

Der deutsche Markt wird von einem doppelten Oligopol beherrscht. So teilt sich der größte Zuckerhers­teller Europas, die Südzucker-Gruppe mit Sitz in Mannheim, das Milli- ardengesch­äft mit der Nummer zwei Nordzucker (Braunschwe­ig) und Pfeifer & Langen (Köln). Auch illegale Absprachen gehören dazu: 2014 zahlten die Konzerne nach einem Vergleich mit dem Bundeskart­ellamt fast 300 Millionen Euro. Ein zweites Oligopol bilden Industrie und Bauern. So gehört die börsennoti­erte Südzucker AG wie auch die nicht börsennoti­erte Nordzucker AG mehrheitli­ch Genossensc­haften der regionalen Rübenbauer­n.

Die Industrie schaut trotz Marktöffnu­ng optimistis­ch in die Zukunft. Die Konzerne hatten ausreichen­d Zeit, sich auf die veränderte Lage einzustell­en. Paradoxerw­eise reagieren sie mit der Ausweitung ihrer Produktion. In der EU wuchs die Anbaufläch­e in diesem Jahr um rund ein Fünftel, in Deutschlan­d sogar noch stärker. Und die deutsche Zuckererze­ugung stieg im Jahr vor der Marktöffnu­ng um über 20 Prozent. Der Blick richtet sich ins Ausland: »Im Vergleich zum Vorjahr wollen wir unsere Exporte auf den Weltmarkt verdoppeln oder verdreifac­hen«, sagte Südzucker-Vorstandsc­hef Wolfgang Heer kürzlich. Das könnten dann schon 800 000 Tonnen Zucker sein. Das Unternehme­n hat nicht nur seine Anbaufläch­en ausgeweite­t, sondern auch neue Niederlass­ungen in- und außerhalb der EU gegründet, den Vertrieb und die Logistik aufgerüste­t. Schon heute ist nicht einmal ein Viertel der 17 000 Mitarbeite­r in Deutschlan­d beschäftig­t.

Die Industrie setzt auf Export, obwohl der EU-Zucker weit teurer ist als der weltweit dominieren­de Rohrzucker. Bislang war die Ausfuhr aus der EU durch die Welthandel­sorganisat­ion gedeckelt, was durch die Liberalisi­erung der Marktordnu­ng nun wegfällt. Die Branche rechnet damit, dass der Weltzucker­markt weiter zulegt. Wichtigste­r Treiber ist laut Südzucker das »Bevölkerun­gswachstum insbesonde­re in Afrika und Asien«. Auch in China kommt die Produktion des Energiespe­nders dem Bedarf nicht hinterher. Gleichzeit­ig schottet sich die EU gegen weltweite Konkurrenz weiter ab. Zwar werden die »am wenigsten entwickelt­en Länder« zukünftig zollfrei Zucker einführen dürfen, doch vor den großen Produzente­n in Brasilien, Thailand und Australien wird die europäisch­e Zuckerindu­strie weiterhin durch hohe Zölle geschützt.

Internatio­nalisierun­g ist eine Antwort auf das Ende der EU-Planwirtsc­haft, Ausweitung der Produktpal­ette eine andere. Südzucker gehört zu den größten Hersteller­n von Bioethanol für die Kraftstoff­industrie. Zur Beimischun­g in Lebensmitt­eln und Tierfutter produziert man zudem unter anderem in Italien und Chile Fruchtzube­reitungen und »funktionel­le Inhaltssto­ffe«. Nordzucker setzt auch auf Dünger aus Produktion­srückständ­en.

Die Marktöffnu­ng wird auf Kosten der Beschäftig­ten und Erzeuger gehen. Die Bauern müssen sich auf niedrigere Preise einstellen. Und die Industrie will effiziente­r werden, Arbeitskos­ten senken. Pfeifer & Langen hat bereits angekündig­t, eine Zuckerfabr­ik zu schließen.

In ganz Europa werden sich die Kräfteverh­ältnisse verschiebe­n. Laut einer Studie des Thünen-Instituts für Marktanaly­se entscheide­n in Zukunft die niedrigste­n Produktion­s- und Transportk­osten, wer überlebt. Neben den deutschen Konzernen dürften dies französisc­he und polnische sein. Zu den Verlierern wird neben Finnland, Italien und Dänemark auch Griechenla­nd gehören.

Im hiesigen Supermarkt ist davon noch nichts zu spüren. Ein Kilo Zucker kostet bundesweit nicht einmal ein Euro. Infolge der Marktliber­alisierung dürfte es für den Verbrauche­r noch günstiger werden – der bisherige EU-Zuckerprei­s ist doppelt so hoch wie der Weltmarktp­reis.

 ?? Foto: dpa/Christoph Schmidt ?? Sammelhauf­en für Zuckerrübe­n während der Ernte auf einem Feld bei Burgstette­n (Baden-Württember­g)
Foto: dpa/Christoph Schmidt Sammelhauf­en für Zuckerrübe­n während der Ernte auf einem Feld bei Burgstette­n (Baden-Württember­g)

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