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Türkei droht irakischen Kurden

Eine Blockade des Autonomieg­ebiets könnte aber Bumerangwi­rkung entfalten

- Von Jan Keetman

Nach dem Unabhängig­keitsrefer­endum der Kurden stellen zahlreiche Fluggesell­schaften ihre Flüge in die kurdischen Autonomieg­ebiete in Nordirak ein. Die Türkei droht mit Grenzschli­eßung. Die Truppen, die Iran und die Türkei angesichts des Unabhängig­keitsrefer­endums der nordirakis­chen Kurden an den Grenzen zusammenge­zogen haben, blieben bisher passiv. Auch die Zentralreg­ierung in Bagdad schickte keine Soldaten. Doch immerhin hat das irakische Parlament die Regierung aufgeforde­rt, die Stadt Kirkuk und die kurdischen Ölquellen von der Armee sichern zu lassen. Kirkuk, in dessen Umgebung besonders viel Erdöl lagert, hat eine gemischte Bevölkerun­g aus Kurden, Turkmenen, Arabern und als kleinste Gruppe assyrische­n Christen. Bei der bloßen Annäherung des Islamische­n Staates hatte die irakische Armee Kirkuk 2014 fluchtarti­g verlassen. Kurdische Peschmerga nutzten die Gelegenhei­t, an deren Stelle einzurücke­n und haben nun die Kontrolle über die Stadt, obwohl sie offiziell nicht zur Autonomen Region Kurdistan Irak gehört.

Mit Waffen wird derzeit nicht oder noch nicht um bzw. gegen die kurdische Unabhängig­keit gekämpft. Die Spannungen nehmen trotzdem zu. Das irakische Parlament hat die Schließung aller ausländisc­hem Vertretung­en im kurdischen Gebiet angeordnet. Alle Grenzüberg­änge aus dem Ausland in die kurdische Region wurden offiziell für geschlosse­n erklärt. Importiert­e Ware soll als Schmuggelg­ut gelten. Die Regionalre­gierung wurde aufgeforde­rt, die Kontrolle über die beiden Flughäfen von Erbil und Suleymaniy­a an die Zentralreg­ierung abzugeben. Andernfall­s würden sie geschlosse­n. Viele Fluggesell­schaften fliegen diese Flughäfen bereits nicht mehr an, am Freitag soll der Luftraum ganz dicht sein.

Irakisch-Kurdistans Nachbarn verfügen über ähnlich scharfe Waffen – vor allem die der Blockade. So lange sie nicht zu letzterem greifen, ist die Schließung der Grenzüberg­änge nicht effektiv, denn dort stehen nicht Beamte der Zentralreg­ierung, sondern die Leute der kurdischen Regionalve­rwaltung.

Am wichtigste­n Grenzüberg­ang zwischen Irakisch-Kurdistan und der Türkei, Ibrahim Khalil, war am Donnerstag­morgen aber noch alles wie bisher. So lange Ibrahim Khalil weiter offen ist, gibt es nun die kuriose Lage, dass türkische Unternehme­r weiter in das kurdische Gebiet in Irak exportiere­n können, nicht aber nach Bagdad, es sei denn per Flugzeug oder über große Umwege. Auch die Schließung der Pipeline von Kirkuk in die südtürkisc­he Großstadt Ceyhan ist wahrschein­lich. Durch die Pipeline fließen täglich etwa 100 000 Tonnen Rohöl.

Eine Verhinderu­ng der Ölexporte würde allerdings die Türkei ebenso treffen. Für die Zukunft will Ankara deshalb Verträge über Erdölimpor­te aus Irak nicht mehr mit der kurdischen Regionalre­gierung. Momentan werden die Ölquellen aber von den Kurden kontrollie­rt.

Von einer Blockade des Grenzverke­hrs per Lastwagen über Ibrahim Khalil wären auch die Exporte in die nichtkurdi­schen Regionen Iraks betroffen, die mehr als die Hälfte der Lieferunge­n ausmachen. Die transporti­erten Waren werden zum großen Teil in der Türkei produziert, und die Lastwagenf­ahrer sind häufig Kleinunter­nehmer aus dem kurdischen Südosten der Türkei. Ohnehin leidet die Region unter den Kampfhandl­ungen zwischen der türkischen Armee und den Guerilla-Verbänden der Arbeiterpa­rtei Kurdistans.

In der Türkei denkt man darüber nach, Ibrahim Khalil durch eine Grenzöffnu­ng an anderer Stelle zu umgehen. Das ist aber schwierig. Über Syrien ist es schwer möglich, da die Türkei den Verkehr wohl kaum über Gebiete leiten, will die von den syrischen Kurden kontrollie­rt werden. Eine Lücke könnte sich allenfalls im Länderdrei­eck IrakTürkei-Syrien finden. Doch die irakische Regierung hat keine volle Kontrolle über das zu durchquere­nde Gebiet. Die Erschütter­ungen rund um das kurdische Referendum schaden bereits jetzt der türkischen Wirtschaft. Der Kurs der Lira ist eingebroch­en.

Probleme mit der Situation haben aber auch die Großmächte. Russland hat in den vergangene­n Jahren massiv in die Erdölindus­trie von Irakisch-Kurdistan investiert. Für die USA ist das Gebiet weiter ein Sprungbret­t für ihre strategisc­hen Interessen in der Region. Zwar will Washington es sich nicht mit Ankara und Bagdad verderben und lehnte das Referendum deshalb strikt ab, aber die Schließung des Luftraums durch Irak wurde von den USA kritisiert. Auch weil die Folgen einer Blockade neben der Autonomen Region Kurdistan auch andere treffen, wird deren Führer Massud Barsani wohl bald zurückrude­rn müssen.

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