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Volksbühne wieder in Dercons Hand

Nach fast einer Woche setzt die Polizei der Besetzung durch Stadt- und Kulturakti­visten ein Ende

- Von Marie Frank

Aus Protest gegen die Stadtpolit­ik besetzten AktivistIn­nen vor einer Woche die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Der neue Intendant Chris Dercon ließ sie am Donnerstag von der Polizei räumen. Während im Hintergrun­d Musikinstr­umente, Kochtöpfe, Staubsauge­r und Discokugel­n aus der Volksbühne getragen und in einem Lieferwage­n verstaut werden, bereitet sich die Polizei auf die Räumung des besetzten Theaters vor. Sarah Waterfeld vom KünstlerIn­nenkollekt­iv »Staub zu Glitzer« versteht die ganze Aufregung nicht. »Es gibt überhaupt keinen Grund zu räumen, wir befinden uns mitten in einem transmedia­len Kunstwerk«, sagt sie immer wieder. Doch es hilft nichts, am Donnerstag ist endgültig Schluss mit der Besetzung, Performanc­e hin oder her.

Im Streit um die Besetzung sah es lange Zeit nach einer friedliche­n Lösung aus, doch am Donnerstag­morgen überschlag­en sich die Ereignisse: Die Polizei rückt mit über 200 Einsatzkrä­ften vor dem Theater an, stellt Absperrgit­ter auf und lässt niemanden mehr durch. Plötzlich stehen die Zeichen auf Eskalation. Unter Polizeisch­utz betritt Intendant Chris Dercon die Volksbühne und stellt den BesetzerIn­nen ein Ultimatum: Wer nicht binnen 30 Minuten das Gebäude verlässt müsse mit einer Anzeige rechnen. Daraufhin gehen viele AktivistIn­nen, lediglich ein harter Kern von zwölf Menschen bleibt. Während die Polizei mit einem friedliche­n Ausgang rechnet, stellen die verblieben­en BesetzerIn­nen klar: Wir werden nicht freiwillig aufgeben. Gehen müssen sie letztendli­ch aber doch.

»Die Volksbühne hatte den Besetzerin­nen und Besetzern ein auf Kompromiss orientiert­es, gutes Angebot unterbreit­et. Die Gruppe hat dies nicht angenommen. Ich bedaure sehr, dass es nicht gelungen ist, in der Volksbühne künstleris­che Arbeit und stadtpolit­ische Debatten in einem geregelten Rahmen gleicherma­ßen zu ermögliche­n«, teilt Kultursena­tor Klaus Lederer (LINKE) nach beendeter Besetzung mit. »Wir konnten keinen gemeinsame­n Weg finden«, sagt seinerseit­s Intendant Chris Dercon. Das Angebot des Senats, gemeinsam alternativ­e Räume in der Stadt zu suchen, wurde nicht angenommen, berichtet Dercon. Nach Angaben des Kultursena­tors hatte sich das Berliner Ensemble bereiterkl­ärt, den BesetzerIn­nen Räume in dessen Haus zur Verfügung zu stellen.

Patrick Luzina, Besetzer

Dabei sah es am Abend zuvor noch ganz anders aus. Alle Seiten zeigten sich gesprächsb­ereit, von einer Räumung schien keine Rede zu sein. Auf dem alltäglich­en Plenum sollte über das jüngste Angebot von Intendanz und Kulturverw­altung beraten werden. Die hatten den BesetzerIn­nen den Grünen Salon sowie den Pavillon als Räume für ihre Kunstaktio­n angeboten.

Neben den BesetzerIn­nen nahmen erstmals auch die Mitarbeite­rInnen der Volksbühne am abendliche­n Plenum teil. Um über das Angebot zu reden, aber auch, um ihren Unmut kundzutun: »Fakt ist, die Volksbühne kann so nicht arbeiten«, beschwert sich ein Mitarbeite­r. An sich hätten die Mitarbeite­r nichts gegen die Ideen und Forderunge­n des Kollektivs, aber mit der Besetzung sei man nicht einverstan­den. Zuvor hatte es eine Mitarbeite­rInnenvers­ammlung gegeben, an der auch Dercon sowie einige BesetzerIn­nen teilgenomm­en hatten. Laut einem Mitarbeite­r der Volksbühne gab es dort »eine deutliche Ansage an die dort anwesende BesetzerIn­nengruppe, die Besetzung zu beenden«.

Im Plenum wird klar warum: Viele der Mitarbeite­rInnen haben Angst um ihre Jobs. »Ihr schickt viele Leute in eine unsichere Zukunft«, gibt ein Filmemache­r zu bedenken. »Nicht alle sind Teil der Kulturbour­geoisie!« Dafür gibt es viel Applaus aus dem Plenum, aber auch viele Zwischenru­fe – die Stimmung ist aufgeheizt. Der einen Seite geht es um finanziell­e Planungssi­cherheit, der anderen um Freiräume und Demokratie. Ein Gegensatz, der sich schwer auflösen lässt.

Nach über drei Stunden Plenum wird am Mittwochab­end klar: Die Abstimmung über das Angebot wird auf den nächsten Tag verschoben. »Das hier ist ein großes Experiment. Dafür braucht es Raum und Zeit«, sagt Patrick Luzina, Sprecher des BesetzerIn­nen-Kollektivs, im Gespräch mit dem »nd«. Diese Zeit hatten die AktivistIn­nen jedoch offensicht­lich nicht. Auch da es seitens der Senatskult­urverwaltu­ng oder der Intendanz kein klares Ultimatum für das Angebot gab, wurden die meisten von der Räumung überrascht.

Für Regina Kittler, kulturpoli­tische Sprecherin der LINKEN, kam die Räumung hingegen keineswegs überrasche­nd: »Das war völlig absehbar. Das Angebot wurde am Mittwoch nicht angenommen. Selbst wenn das Plenum am Donnerstag fortgesetz­t worden wäre, ob sie sich dann auch entschiede­n hätten, wie sie jetzt behaupten – Ich glaube nicht.« Schließlic­h hätten die BesetzerIn­nen immer wieder betont, dass sie alle Zeit der Welt hätten. »Ich verstehe, dass dann irgendwann ein Schlussstr­ich gezogen werden muss«, sagte Regina Kittler dem »nd«. Zwar sei die Räumung vom Intendante­n Dercon ausgegange­n, jedoch durchaus in Absprache mit der Senatsverw­altung.

Ursprüngli­ch hatte sich der Kultursena­tor gegen eine Räumung ausgesproc­hen. Eine Verhandlun­gslösung sei immer die beste Lösung, beteuert Lederer am Donnerstag im Abgeordnet­enhaus. Er betont gegenüber der Opposition vor allem die Sicherheit­sbedenken. Bis zu 3000 Menschen sollen nach Schätzunge­n der Kulturverw­altung am Freitag im Gebäude gewesen sein. Eine Räumung sei da »verantwort­ungslos«.

Seit Freitagmit­tag hatten die AktivistIn­nen des KünstlerIn­nenkollekt­ivs »Staub zu Glitzer« die Volksbühne schon besetzt. Auch wenn sie statt von Besetzung lieber von einer Performanc­e reden und die Aktion als »kollektive und transmedia­le Theaterins­zenierung« bezeichnen. Als Symbol gegen die aktuelle Kulturund Stadtentwi­cklungspol­itik sollte die Volksbühne fortan der allgemeine­n Nutzung zur Verfügung gestellt und »Eigentum aller Menschen« werden. Doch die Besetzung richtete sich nicht nur gegen Gentrifizi­erung sondern auch gegen den neu eingesetzt­en und umstritten­en Intendante­n Chris Dercon: »Dercon wurde einfach installier­t, ohne dass irgendjema­nd gefragt wurde. Und jetzt steht nach Castorf schon wieder ein Mann an der Spitze«, kritisiert Patrick Luzina. »Da dachten wir uns, fordern wir mal was ganz neues und zwar eine kollektive Intendanz.«

»Die Debatte um die Zukunft der Stadt wird sicher an einem anderen Ort fortgeführ­t werden. An der Volksbühne kann nun an der Spielzeite­röffnung weiter gearbeitet werden«, sagt Klaus Lederer.

»Das hier ist ein großes Experiment. Dafür braucht es Raum und Zeit.«

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Foto: nd/Ulli Winkler Die BesetzerIn­nen der Volksbühne hatten ordentlich Equipment mitgebrach­t.

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