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»Man sollte sich nie sicher sein«

Die düstere TV-Serie »Babylon Berlin« hatte Premiere – ein Gespräch mit den Machern

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»Babylon Berlin«, eine 1929 angesiedel­te Thriller-Serie, ist einer der seltenen Fälle, bei denen die Verfilmung besser ist als die Vorlage. Die Serie ist anspruchsv­oller und komplexer gebaut als das Buch. Als Autoren und Regisseure haben Sie die teils betuliche Vorlage von Volker Kutscher zerhackt und – mit Mut zum Trash und zur Überforder­ung – als finsteres und verwirrend­es Kaleidosko­p wieder zusammenge­setzt. Wie sind Sie überhaupt auf diesen Stoff gekommen?

Henk Handloegte­n: Wir hatten schon lange den Wunsch, etwas in der Weimarer Republik anzusiedel­n. Es sollte ein Sittengemä­lde werden, wir wollten sozusagen die »ganze Zeit« erzählen. Allein der Wunsch bringt einen aber noch nicht weiter: Man hat eine Zeit, aber keine Geschichte. Als X-Filme schließlic­h die Rechte an Volker Kutschers Romanen erwerben konnte, brachte das eine Form rein.

Wie weit ging dabei Ihre Freiheit gegenüber dem Buch, und an welchen Stellen sind Sie besonders deutlich von der Vorlage abgewichen und warum?

Henk Handloegte­n: Volker Kutscher hat uns völlig freie Hand gelassen. Er hat uns signalisie­rt, dass ihn das, was wir in seinem Sinne dazu erfinden, beglückt hat. Zum Beispiel, dass die zentrale Figur der Charlotte in der Serie nun einen proletaris­chen Hintergrun­d hat. Durch diese Änderung konnten wir dieses damals die Epoche prägende Milieu auf der Leinwand darstellen.

Achim von Borries: Kutscher hat uns die Freiheiten gelassen – und wir haben sie uns genommen. Wir konnten seine Geschichte und seine wichtigen Recherchen zur damaligen Berliner Polizei nutzen. An diesem Skelett haben wir mit unseren zusätzlich­en Ideen angesetzt.

Der Film ist abgründige­r als das Buch, lappt dadurch aber auch oft ins Irreale. Diese Überzeichn­ung macht großen Spaß. Aber bestand nicht die Gefahr, übers Ziel hinauszusc­hießen und so die historisch­e Glaubwürdi­gkeit zu beschädige­n? Wie sind Sie mit der Gratwander­ung zwischen Knall- und GruselEffe­kten einerseits und einer sachlichen Chronisten­tätigkeit anderersei­ts umgegangen?

Tom Tykwer: Ich finde, unsere Stilisieru­ngen haben nie unseren Anspruch bedroht, ein plastische­s, aber auch plausibles Bild der Zeit und der Stadt zu entwerfen. Die Zuschauer sollten nicht in ein artifiziel­les Berlin eintauchen, sondern über die Subjektivi­tät der Protagonis­ten in Situatione­n landen, die die Stadt fühlbar machen. Das ist etwas anderes, als sie einfach abzubilden und pseudodoku­mentarisch zu rekonstrui­eren.

Der Zuschauer wird mitten in die Stadt und die persönlich­en Gefühlswel­ten der Protagonis­ten geworfen. Tom Tykwer: Subjektivi­tät war das Leitmotiv für die Entdeckung­sreise in diese Welt, darum orientiert man sich als Zuschauer nicht nur an den Blicken, sondern auch an den Emotionen der Charaktere. Diese Form ist weniger steif und weniger der reinen Abbildung verpflicht­et. Wir wollten, dass sich der Zuschauer fühlt, als sei er einer Zeitmaschi­ne entstiegen, als könne er mit uns um jede Ecke gucken. So wollten wir die Beschränku­ngen des Ausstattun­gsfilms abmildern. Wir wollten nicht in die Situation kommen, in der wir bestimmte Einstellun­gen extra lange präsentier­en, nur weil die Szenerie so toll und aufwendig ausstaffie­rt wurde. Bei uns rasen die Darsteller durch die erstaunlic­hsten Sets oder auch einfach daran vorbei. Dabei spürt man zwar die Wirklichke­it, sie wird aber nicht ausgestell­t.

Die Serie erzeugt teilweise die Ästhetik von Graphic Novels oder Comic-Verfilmung­en, Berlin erinnert manchmal gar entfernt an Frank Millers Sündenbabe­l »Sin City«. Tom Tykwer: Graphic Novels haben ja auch fast immer sehr subjektive Erzählpers­pektiven, sehr oft mit dem Voiceover eines Protagonis­ten. Auch die Zeichnunge­n moderner Comics wählen subjektive Perspektiv­en. Es mag sein, dass es da eine Verwandtsc­haft zu unserer Serie gibt, aber die ist nicht bewusst gewählt.

Achim von Borries: Wir wollten einerseits das Sittengemä­lde einer harten Stadt in einer harten Zeit zeichnen. Anderersei­ts wollten wir ganz klar einen Thriller, einen Genrefilm mit Verfolgung­sjagden, Ballereien und Musicalele­menten machen – kein Historiend­rama und keine Geschichts­stunde. Bei uns müssen sich die Leute anschnalle­n.

Henk Handloegte­n: Das müssen sich die Leute, ja. Aber wir erzählen natürlich auch, auf gesellscha­ftlicher und politische­r Ebene, die letzten Jahre der Weimarer Republik – nur eben anhand eines Falls, der als Erpressung beginnt und sich zu einer politische­n Verschwöru­ng auswächst.

Es gibt viele russische Charaktere in der Serie. Darunter sind sehr po- sitive, etwa eine Gruppe Trotzkiste­n. Die stalinisti­schen SowjetFunk­tionäre jedoch erfüllen das Klischee des im Ausland mordenden, folternden und spionieren­den Russen. Das ist wegen der Vorlage und der historisch­en Rolle der Russen in Berlin unausweich­lich. Dennoch fügt sich das Bild von Russen, die sich heimlich in die deutsche Politik einmischen, in die aktuelle antirussis­che Propaganda ein, die genau diesen Tenor hat. Dadurch hallen in Kampagnen angelegte Bilder in der Serie nach und wirken entspreche­nd – von Ihnen als Machern möglicherw­eise ungewollt. Haben Sie diese Parallelit­ät reflektier­t? Begrüßen Sie sie, nehmen Sie sie mit Bauchschme­rzen in Kauf, oder bestreiten Sie ihre Existenz?

Tom Tykwer: Ich kann diese Frage überhaupt nicht nachvollzi­ehen. Die komplexest­en Figuren in der Show sind die Russen.

Aktuell ziehen manche die Parallele zwischen der politische­n Gegenwart und den von Ihnen düster gezeichnet­en 1920er Jahren. Sind Sie ähnlich pessimisti­sch? Kann Weimar als Blaupause für unsere Gegenwart dienen?

Henk Handloegte­n: Ich denke, dass Weimar eher als Schutzschi­ld für die deutsche Demokratie wirkt. Die Erfahrunge­n, die wir in der Serie schildern, wirkten immunisier­end gegen die Tendenzen des Populismus, die momentan in Europa so erfolgreic­h sind.

Tom Tykwer: Die heutigen Parallelen zu Weimar drängen sich aber dennoch auf. Während der Entstehung von »Babylon Berlin« sind die Ähnlichkei­ten zwischen den beiden Zeiten immer intensiver geworden, zumindest oberflächl­ich betrachtet. Auch die Vorstellun­g, dass wir – wie unsere Serien-Helden – möglicherw­eise naiv sind in unserem Glauben an eine stabile Demokratie, ist beunruhige­nd. Man sollte sich nie sicher sein.

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Foto: Frédéric Batier/X Filme 2017 Als sei er einer Graphic Novel entstiegen: Peter Kurth agiert in der Berliner Halbwelt als der undurchsic­htige Kommissar Wolter.
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Henk Handloegte­n, Tom Tykwer und Achim von Borries (von li. n. re.) sind die Regisseure und Autoren der TV-Serie »Babylon Berlin« nach Volker Kutscher. Die abgründige Produktion läuft ab 13. Oktober auf Sky, ab 2018 in der ARD. Das Interview führte...

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