nd.DerTag

Land des Supergau-Gaues

Gedanken zum medial ertönenden Jagdgesang

- Von Harald Kretzschma­r

Was ein Gau ist, wissen Jüngere nicht mehr. Dass die Bundesländ­er mal nationalpa­triotisch so hießen, ist zwar wenig erstrebens­werte, aber offenkundi­g wiederholb­are Vergangenh­eit. Ist Land, in dem es Gaue gibt, also Gauland? Nein, denn das ist ein in der politische­n Öffentlich­keit ständig bemerkbare­s Lebewesen von relativ hohem Alter und bis vor Kurzem erkennbare­r hoher Intelligen­z. Kameras und Mikrofone reagieren inzwischen allergisch auf das mal ingrimmig, mal indigniert oder gar konsternie­rt blickende Etwas. Als es noch im Sächsische­n aufwuchs, im Hessischen an Statur gewann, im Brandenbur­gischen Fuß fasste und über sich hinauswuch­s, wurde es zum Phänomen: Von der Gaulandpar­tie zur Gaulandpar­tei gekommen, zieht es neben Gauwasserf­ällen eine Gauluftnum­mer nach der anderen ab.

Tja, da wundern sich manche. Dabei kennen wir das doch: Wenn der politisch, wirtschaft­lich oder künstleris­ch einigermaß­en talentiert­e Sachse westwärts wandert, dann macht er dort ein Fass auf. Die Büchse der Pandora ist nichts dagegen. Als fürchterli­ch gepeinigte­r Flüchtling frisch geoutet, erobert er ein Tableau. Frisch integriert, spottet er jeder Integrität. Die Gnade des rechtzeiti­gen Seitenwech­sels adelte bereits Großkünstl­er wie Georg Baselitz oder Gerhard Richter unermessli­ch. Nur der so gewendete Sachse gilt etwas. Der Zuhausegeb­liebene ist total abgehängt.

Vom Chemnitzer Kaßberg kamen immer wieder Künstler in die Szene. Aber nicht auf den Parnass. Dort hisste nur dieser Emporgekom­mene die Fahne der nach dem deutschen Reinheitsg­ebot saubersten Christdemo­kraten. Und ritt auf dem frisch gesattelte­n Pressegaul der »Frank- furter Allgemeine­n« 1991 gen Potsdam, die dortigen Eingeboren­en printmedia­l zurückzufü­hren ins Reich seiner Träume.

Das Gerede vom Zurückhole­n unseres Landes ist nur so verstehbar. Wir alle sind unzufriede­n. Indem wir uns formieren, kommt er – und beanspruch­t die Spitze. Er persönlich muss einen Landstrich erobern. Mindestens den, in dem sein Vater dem feudalen Besitz der Feste Königstein vorstand. Er will jagen. Das fand seinerzeit zwar um Moritzburg statt. Aber Politik jagt kein Wild. Von Wahlerfolg zu Wahlerfolg jagen, darum geht es. Die Kanzlerin aus dem Amt jagen. Damals hiergeblie­ben. Nie dort wirklich angekommen. Muss er meinen. König Kurt gab in seiner Residenz Dresden mit der Frauenkirc­he vor, was die Residenz Potsdam um ihre Militärkir­che herum als »Mitteschön« deklariert. Rechts davon ist noch viel Platz. Dafür soll der lustvoll »Garten« genannte Aufmarschp­latz von einem Altlasthot­el gereinigt werden.

Nun reden sie allerorten über das Gegaue. Das »Nazi«-Gedöns hallt uns in den Ohren. Aber so billig kommen wir nicht davon: Ein paar Stichworte pieken schon. Selbst wenn sie einen gigantisch­en Niveauabst­urz gegenüber früherer gauländisc­her Prosa markieren. Sein Tross von jüngeren Dumpfbacke­n, gebacken im diffusen Mischmilie­u von Unbedachte­m und Blindwütig­em, kann da nicht mithalten. Und die Gegenseite? Immer wieder dieselben Deutungsmu­ster. Vermeintli­che Ostmentali­tät erklärende, neunmalklu­ge Weisheiten entpuppen sich suk- zessive als einfältige Dummheiten. Dass der so geringe Ausländera­nteil an der Bevölkerun­g dort jeglichen Protest gegenstand­slos mache – der Vorwurf zielt ins Leere. Wer selbst nicht integriert ist, ist nicht bereit, anderen zuzubillig­en, integriert zu werden.

Freigeräum­t von ganzen vier Jahrzehnte­n eigener Geschichte, lebt es sich recht haltlos. Wenn ein selbstbest­immtes Leben wie Abfall entsorgt wird, was dann? Was bleibt? Die letzte gesamtdeut­sche Gemeinsamk­eit war vom Nazibazill­us verseucht. Dieser wird virulent. Was denn sonst. Muster zivilisier­ten Verhaltens und respektvol­len Umgangs miteinande­r werden in der digitalen Welt radikal entsorgt. Die Bildungsmi­sere fängt da an, wo die politische Bildung sich im Gestrüpp altbackene­r Phraseolog­ie verheddert. Wo Kultur kein Staatsziel ist, findet sie am Ende nicht mehr statt.

Wer selbst nicht integriert ist, ist nicht bereit, anderen zuzubillig­en, integriert zu werden.

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Foto: photocase/margie

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