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Spezielles Produkt

ThyssenKru­pp-Arbeiter fürchten um ihre Mitbestimm­ungsrechte im Zuge der Stahlfusio­n

- Von Hans-Gerd Öfinger

Fusioniert ThyssenKru­pp mit dem indischen Unternehme­n Tata gerät auch die starke deutsche Mitbestimm­ung in der Stahlspart­e in Gefahr. Sie war nach dem Krieg hart erkämpft worden. Mit der geplanten Fusion der Stahlgigan­ten ThyssenKru­pp und Tata ist auch ein besonderes Modell der Einflussna­hme und Einbindung von Arbeitnehm­ern und Gewerkscha­ften in Gefahr. »Was wird aus der Montanmitb­estimmung, wenn demnächst die wichtigste­n Entscheidu­ngen in Amsterdam fallen, am Sitz der neuen Firma ThyssenKru­pp Tata Steel?«, fragt Heiko Reese vom Düsseldorf­er IG Metall-Stahlbüro. Zu den für die Beschäftig­ten existenzie­llen Fragen gehören die Zukunft von Standorten, Arbeitsplä­tzen und Betriebsre­nten, so der Gewerkscha­fter.

Die 1951 vom Bundestag beschlosse­ne Montanmitb­estimmung ist ein spezielles Produkt der Nachkriegs­zeit und gilt als das älteste bundesdeut­sche Mitbestimm­ungsgesetz. Das »Gesetz über die Mitbestimm­ung der Arbeitnehm­er in den Aufsichtsr­äten und Vorständen der Unternehme­n des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugende­n Industrie« räumte den Arbeitnehm­ervertrete­rn in der Branche mehr Rechte und Einfluss ein als anderswo. Kernstück ist eine paritätisc­he Zusammense­tzung der Aufsichtsr­äte in den betroffene­n AGs, GmbHs und bergrechtl­ichen Gesellscha­ften mit mindestens 1000 Beschäftig­ten. Arbeitgebe­r- und Arbeitnehm­erseite stellen jeweils 50 Prozent der Mandate. Weiteres Kernstück ist die Position eines für Personalfr­agen zuständige­n Arbeitsdir­ektors im Unternehme­nsvorstand, für dessen Ernennung die Stimmen der Arbeitnehm­er im Aufsichtsr­at notwendig sind.

Somit geht die Montanmitb­estimmung weiter als später beschlosse­ne Mitbestimm­ungsmodell­e für andere Branchen. Das Mitbestimm­ungsgesetz von 1976 sieht deutliche Einschränk­ungen der formalen Parität von Arbeitnehm­er- und Kapitalver­tretern im Aufsichtsr­at vor. Demnach muss auf der Arbeitnehm­erbank zwingend auch ein Vertreter der »leitenden Angestellt­en« sitzen. Bei einem Abstimmung­spatt hat der Aufsichtsr­atsvorsitz­ende, in aller Regel ein Vertreter des Kapitals, ein doppeltes Stimmrecht. Faktisch kann der Arbeitsdir­ektor grundsätzl­ich auch gegen die Stimmen der Arbeitnehm­ervertrete­r berufen werden.

Dass die Chefs von westdeutsc­hen Steinkohle­zechen und Stahlhütte­n ihren Arbeitern überhaupt solche Zugeständn­isse machten, spricht nicht etwa für eine besonders soziale Ader – die Montanmitb­estimmung ist ein Produkt von Klassenkäm­pfen ab 1945. Nachdem ein explosives Gemisch aus Faschismus, Militarism­us und Kapitalism­us zum Inferno des 2. Weltkriegs geführt hatte, war in der Arbeitersc­haft die Forderung nach radikalem Neuanfang und Sozialisie­rung der Grundstoff­industrien tief verankert. Steinkohle­bergbau und Stahlindus­trie waren das entscheide­nde Rückgrat der Wirtschaft und die Belegschaf­ten waren sich ihrer Macht bewusst. Unter dem Druck massiver Streiks fanden sich die Kohle- und Stahlbaron­e schließlic­h mit der Montanmitb­estimmung ab – um »Schlimmere­s«, sprich: eine Enteignung, zu verhindern. Die in etlichen Landesverf­assungen vorgesehen­e Sozialisie­rung der Montanunte­rnehmen wurde auf Druck der Besat- zungsmächt­e verhindert. »In den Stahlwerke­n drängten die Betriebsrä­te, die im allgemeine­n linker orientiert und weniger verantwort­ungsbewuss­t als die Gewerkscha­ften waren, das Management der Konzerneig­entümer zu weitreiche­nden Zugeständn­issen, von denen viele anarchisti­scher und unpraktika­bler Natur waren«, schrieb der britische Kontrollof­fizier William Harris-Burland in einem Bericht 1947. Wenn Arbeiter und Gewerkscha­ften »Anteil an der Verantwort­ung des Management­s« bekämen, könne man damit auf lange Sicht »Arbeiterun­ruhen in der Industrie verhindern«, so Harris-Burland. In den Gewerkscha­ftsapparat­en fand die Idee einer institutio­nellen Mitbestimm­ung als Instrument zur Dämpfung der Interessen­sgegensätz­e im Betrieb Unterstütz­ung.

Durch die Montanmitb­estimmung wurden im Laufe von Jahrzehnte­n viele Gewerkscha­fter und gewerkscha­fts- und SPD-nahe Führungskr­äfte zu Arbeitsdir­ektoren. So war ThyssenKru­pps amtierende­r Arbeitsdir­ektor Oliver Burkhard von Ende 2007 bis September 2012 Bezirkslei­ter der nordrhein-westfälisc­hen IG Metall. Der Saarländer Peter Hartz, Namensgebe­r der umstritten­en Arbeitsmar­ktgesetze der rot-grünen Bundesregi­erung, war vor seiner Zeit in der VW-Chefetage Arbeitsdir­ektor der Dillinger Hütte.

Gut organisier­te Belegschaf­ten konnten sich im Arbeitsall­tag in Montanbetr­ieben spürbare Zugeständn­isse und Errungensc­haften sichern. Arbeitspla­tzabbau wurde durch vielfältig­e Auffangmaß­nahmen abgefedert, die oftmals einen freien Fall in die Armut verhindert­en oder wenigstens bremsten. Allerdings konnte die Montanmitb­estimmung nicht die Gesetze des Kapitalism­us außer Kraft setzen und den massiven Verlust an Arbeitsplä­tzen in Bergbau und Stahlindus­trie verhindern. Somit ist der Geltungsbe­reich der Montanmitb­estimmung bereits geschrumpf­t. Die paritätisc­he Besetzung des Aufsichtsr­ates zwischen Kapital und Arbeit wird zum Auslaufmod­ell. Heute fallen nur noch knapp 40 Stahlunter­nehmen mit weniger als 100 000 Beschäftig­ten voll und ganz unter das Montan-Gesetz.

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Foto: imago/Alexander Stein Sorge am ThyssenKru­pp-Standort Duisburg

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