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Langlebige­s Gift

Staaten beraten über Konvention zum Schutz vor Quecksilbe­r – doch es gibt noch viel zu tun

- Von Marc Engelhardt, Genf

In Genf tagt derzeit die erste Vertragsst­aatenkonfe­renz der Quecksilbe­r-Konvention. Doch ein totales Verbot des Nervengift­s ist noch in weiter Ferne, auch aufgrund von Geschäftsi­nteressen. Über 1300 Delegierte­n aus 154 Ländern ist in Genf derzeit immer mal wieder zum Feiern zumute. 79 Länder haben die 2013 vereinbart­e Konvention zum Schutz vor Quecksilbe­r ratifizier­t, auch Deutschlan­d. Seit August ist sie in Kraft. »Aber es gibt noch einige technische Fragen zu klären«, sagt Jacob Duer vom UN-Umweltprog­ramm. Tatsächlic­h gibt es bei der ersten Vertragsst­aatenkonfe­renz noch eine Menge zu tun. »Wir hoffen darauf, dass alle 193 Staaten die Konvention unterzeich­nen, außerdem werden dringend Gelder gebraucht, um sie umzusetzen«, so Duer. Seit Donnerstag wird auf Ministereb­ene beraten, allerdings nur für knapp 24 Stunden. Viele Fragen, nicht nur technische, werden wohl offen bleiben.

Das liegt auch daran, dass die nach der japanische­n Stadt Minamata benannte Konvention zwar die Quecksilbe­remissione­n weltweit senken will. Doch konkrete Ziele, etwa zur Reduktion des Quecksilbe­rausstoßes aus Kohlekraft­werken, enthält sie nicht: Vor allem China und Indien hatten das verhindert. Auch Staaten, in denen das Schwermeta­ll im Kleinbergb­au eingesetzt wird, was ganze Flüsse und Landstrich­e verseucht, müssen erst bis 2020 einen Plan vorlegen. Immerhin soll bis 2020 kein Quecksilbe­r mehr in Thermomete­rn, bestimmten Batterien, Kosmetika und Seife verwendet werden.

Gründe dafür gibt es genug, wie das Beispiel Minamata zeigt: Dort wurden seit Mitte der 1950er Jahre Quecksilbe­rabfälle in einem See verklappt. Die Bewohner klagten erst über Kopf- und Gliedersch­merzen. Erst als Lähmungen und Psychosen auftraten, Bewohner ins Koma fielen und starben, suchten die Behörden nach der Ursache. Und fanden Quecksilbe­r, das Herz und Kreislauf, Nie- ren, Magen, Darm und Lungen angreift. Auch Lagerung und Entsorgung quecksilbe­rhaltiger Abfälle sind deshalb in der Konvention geregelt.

Wie viele Schlupflöc­her es noch gibt, zeigt jedoch das Beispiel Amalgam. Das Material zur Zahnfüllun­g enthält bis zu 50 Prozent Quecksilbe­r, das mit Kupfer, Zinn und Silber vermischt wird. »In Deutschlan­d gibt es zwar seit zwanzig Jahren mit Kompositfü­llungen eine Alternativ­e, aber weil deren Einsatz aufwendige­r ist, befürchten einige Zahnärzte bei einem Amalgamver­bot, dass sie für weniger Geld mehr arbeiten müssen«, erklärt Florian Schulze von der IG Umwelt Zahn Medizin. Gut sechs Prozent der Zahnlöcher werden demnach in Deutschlan­d mit Amalgam verfüllt.

Immerhin hat die EU ab Mitte 2018 ein Verbot von Amalgam für Kinder und Schwangere verfügt. »Bei Kindern ist es besonders schlimm, wenn das Nervengift nur wenige Zentimeter vom wachsenden Gehirn im Kiefer platziert wird«, warnt Charles Brown, Präsident der Weltallian­z für quecksilbe­rfreie Zahnmedizi­n. Mit Schulze setzt er sich dafür ein, dass zumindest das EU-Verbot für Kinder und Schwangere über die Minamata-Konvention weltweit verankert wird. Denn während in der EU langsam der Schutz vor Quecksilbe­r greift, exportiere­n die Hersteller das zu Hause zunehmend unverkäufl­iche Material.

»Industriel­änder verklappen ihr Amalgam in Afrika«, klagt der Aktivist Dominique Bally von der Elfenbeink­üste. »Wenn Organisati­onen Amalgam bei der Zahnbehand­lung afrikanisc­her Kinder einsetzen, ist das nicht wohltätig, sondern eine Katastroph­e für Umwelt und Gesundheit.« Zehn Unternehme­n in Deutschlan­d produziere­n einer Studie der Europäisch­en Kommission von 2012 zufolge noch Amalgam, fast so viele wie in allen anderen europäisch­en Ländern zusammen. Sie alle stellen auch quecksilbe­rfreie Komposite her.

Doch auf das Geschäft mit Amalgam wollen die wenigsten Firmen verzichten, so Schulze. »In Schweden ist der Einsatz von Amalgam in der Zahnmedizi­n praktisch verboten, trotzdem stellt ein großes Unternehme­n weiterhin Amalgam her, das ausschließ­lich in den Export geht.« Etwa nach Afrika, wo Amalgam als billigste Lösung verkauft wird. Folgen hat das selbst für diejenigen, die auf die gefährlich­e Behandlung verzichten: Das Quecksilbe­r aus den Zahnarztpr­axen gelangt ins Grundwasse­r, selbst in Deutschlan­d mussten mehrere Kommunen deshalb zuletzt ihren Klärschlam­m teuer verbrennen. Zum Düngen war er zu giftig.

Während in der EU langsam der Schutz vor Quecksilbe­r greift, exportiere­n die Hersteller das zu Hause zunehmend unverkäufl­iche Material.

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