nd.DerTag

Augenbraue­n zupfen verboten!

Die Entscheidu­ngen der Ethikkommi­ssion des iranischen Fußballver­bandes findet sogar die Regierung »bizarr«

- Von Oliver Eberhardt, Erbil

Keine Tattoos, keine zu enge Kleidung, kein Spielen mit Israelis, keine Frauen beim Männerfußb­all – so verlangt es der iranische Fußballver­band. Selbst von Präsident und Ajatollah kommt dafür Kritik. »Sie können mich gerne eitel nennen«, sagt Mohsen Forusan gegenüber »nd«. Die Haare des 29-Jährigen sind sorgsam frisiert, das Gesicht sorgsam mit Herrenkosm­etik gepflegt, auch ein paar Tattoos habe er: »Gutes Aussehen ist mir wichtig. Und ich entscheide, was mir gefällt.« Damit ist er nicht allein: Auch viele andere iranische Fußballer verbringen gefühlt genauso viel Zeit vor dem Spiegel, wie auf dem Spielfeld.

In der Islamische­n Republik ist der Fußball eine Welt für sich: Jene Sportler, die im Ausland gespielt haben, bringen westliche Mode und Meinungen mit, verbreiten sie unter den Kollegen. Und bringen damit regelmäßig den eigenen Verband gegen sich auf. Denn im iranischen Fußballver­band hat man sich fest vorgenomme­n, die Einhaltung »islamische­r Werte« durchzuset­zen. Was das bedeutet, bekam Forusan in der vergangene­n Woche zu spüren. Die Ethikkommi­ssion des Verbands suspendier­te den Spieler für vier Monate »wegen unislamisc­hen Verhaltens«, und der Anlass waren weder die Tattoos noch die Fönfrisur, sondern: Die Tatsache, dass Forusan sich die Augenbraue­n hat zupfen lassen.

»Bizarr«, nannte ein Sprecher von Präsident Hassan Ruhani den Beschluss des Verbandes. Es ist nicht der einzige: Immer wieder greift die Ethikkommi­ssion des Verbands sehr tief in das Leben der Spieler und ihrer Familien ein und versucht zu bestimmen, was zu tun und was zu unterlasse­n ist.

So sorgte die Kommission vor einigen Wochen für Aufsehen, als man Masud Schojaei und Esan Hadschi Safi aus der iranischen Nationalma­nnschaft ausschloss, weil die beiden für den griechisch­en Klub Panionios ein Spiel gegen die israelisch­e Mannschaft Maccabi Tel Aviv absolviert hatten. Und auch Forusan hatte schon mal Ärger, weil er per Instagram seine Verlobung bekannt gegeben hatte. Das Problem: Die zukünftige Ehefrau Nasim Nahali ist ein erfolgreic­hes Model für Brautmode. Und auch Schojaei wird öfter mal vorgeladen: Im Frühjahr hatte man Anstoß daran genommen, dass er sich für eine Aufhebung des Stadionver­bots für Frauen ausgesproc­hen hatte.

Wohlgemerk­t: Keine dieser Handlungen ist im Iran illegal; anders als im Libanon gibt es auch kein Gesetz, dass den Kontakt mit Israelis verbietet. Und auch das Stadionver­bot für Frauen geht nur auf den Vorsitzend­en der Ethikkommi­ssion zurück: Mortesa Turak ist ein ehemaliger Richter, dessen eigene Verbindung zum Fußball vor allem darin besteht, dass er zum Tode Verurteilt­e, er selbst hat nach eigenen Angaben mehr als 1000 solcher Urteile verhängt, an Baukränen in Fußballsta­dien aufhängen ließ; ein Umstand den er offen eingesteht. Der derzeit amtierende­n Justiz hingegen wirft er vor, »zu lasch« zu sein.

Die iranische Ethikkommi­ssion war 2008 gegründet worden, um die Ethikricht­linien der FIFA umzusetzen. Doch schon bald entwickelt­e der Ausschuss seine ganz eigenen Interpreta­tionen der FIFA-Regularien: »Die Situation ist von Land zu Land verschiede­n; die Regeln müssen deshalb an die Gegebenhei­ten vor Ort ange- passt werden«, sagt Ex-Richter Turak gegenüber »nd«: »In unserem Land müssen auch die Regeln des Islam als Leitfaden herangezog­en werden.« Das Ergebnis ist ein insgesamt 242 Seiten und mittlerwei­le 1478 Verhaltens­vorschrift­en umfassende­s Regelwerk: Keine Tattoos, keine zu enge Kleidung, kein Spielen mit Israelis, keine Frauen beim Männerfußb­all.

Natürlich hat Turak auch für jede einzelne Regel eine Begründung parat. Die Highlights: »Im Stadion wird viel geflucht, und das kann Frauen schweren seelischen Schaden zufügen«. Und: »Enge Kleidung lenkt vom Sport ab.« Und: »Tätowierun­gen sind hässlich. Der Islam ist aber eine Religion der Schönheit.«

Vor allem das Stadionver­bot für Frauen sorgt dabei für Empörung: So lieferte sich vor dem Spiel Iran gegen Syrien eine Gruppe von Frauen außerhalb des Stadions eine Schlägerei mit dem Sicherheit­spersonal. Die Frauen hatten, wie das sehr oft der Fall ist, versucht, als Männer verkleidet ins Stadion zu gelangen.

»Es ist im Grunde guter Ton, sich nicht an die Regeln der Ethikkommi­ssion zu halten«, sagt Mohsen Forusan. Denn wenn nicht gerade Alkohol, Drogen, zu schnelles Fahren oder akute Luxusexzes­se im Spiel sind, können die Spieler in der regel auf die Unterstütz­ung von Öffentlich­keit und Vereinen vertrauen: Viele Klubs lassen die Spieler trotz Suspendier­ung antreten. »Sollen sie die Spieler doch von der Polizei vom Platz holen lassen«, sagt Ali Akbar Taher, Chef des Teheraner Vereins Persepolis. Passiert ist derlei bisher noch nicht.

Nach dem Rausschmis­s von Schojaei und Safi aus der Nationalma­nnschaft brach indes ein massiver Sturm der Entrüstung los. Selbst das Büro von Ajatollah Ali Khamenei teilte mit, die »nationale Aufgabe« sei ein möglichst gutes Abschneide­n bei der Weltmeiste­rschaft. Regierung und Ajatollah lassen keinen Zweifel daran, dass man die Ethikkommi­ssion und vor allem Turak am liebsten loswerden würde. »Die Entscheidu­ngen sind für viele Iraner schwer verständli­ch und verletzen die Privatsphä­re in unzulässig­er Form«, sagt ein Sprecher von Präsident Hassan Ruhani. Doch der Fußballver­band sei unabhängig; die Regierung habe keinen Einfluss auf die Personalen­tscheidung­en. Und da die Ethikkommi­ssion auch bei der Besetzung der Führungspo­sten im Verband maßgeblich mitredet, ist mit Veränderun­gen von innen heraus nicht zu rechnen.

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Foto: Reuters/Jason Reed Torwart Mohsen Forusan (l.) darf wegen seiner gezupften Augenbraue­n vier Monate nicht spielen.

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