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Amri hätte verhaftet werden können

Berliner Sonderbeau­ftragter sieht grobe Fehler bei Polizeiarb­eit

- Jot

Berlin. Der Attentäter vom Berliner Breitschei­dplatz Anis Amri hätte schon frühzeitig verhaftet werden können. Der Anschlag auf einen Weihnachts­markt am 19. Dezember vergangene­n Jahres hätte somit verhindert werden können. Das ist das Ergebnis des Abschlussb­erichts des Sonderermi­ttlers Bruno Jost, den der Berliner Senat damit beauftragt hatte, den Anschlag und mögliches Behördenve­rsagen zu untersuche­n. Amri war den Ermittlung­sbehörden schon seit längerem bekannt und wurde als islamistis­cher Gefährder geführt. Eine Observieru­ng durch die Berliner Polizei wurde nach nur kurzer Zeit im Juni 2016 beendet, obwohl die Maßnahme noch bis Oktober genehmigt war. Die Polizei hatte dies damit begründet, dass sie keine Anzeichen zur Vorbereitu­ng eines Verbrechen­s gefunden habe. Tatsächlic­h stellte sich aber heraus, dass Amri mit Drogen handelte. Das hätte zu einer Verhaftung führen können, meinte Jost am Donnerstag. »Es gab grobe Fehler, die nicht hätten vorkommen dürfen.«

Es hätte mehrere Gelegenhei­ten gegeben, um den als Gefährder geführten Tunesier Anis Amri vor dem Attentat festzunehm­en, sagt Sonderermi­ttler Bruno Jost. 14 Straftaten des Anis Amri fand der Sonderbeau­ftragter Bruno Jost in den verschiede­nen Akten über den Berliner Attentäter. Zwei davon hätten zu seiner Verhaftung führen können. Amri war im Dezember 2016 mit einem Lkw auf einen Weihnachts­markt am Berliner Breitschei­dplatz gefahren und tötete dabei zwölf Menschen. Zuvor war er von den Behörden als Gefährder geführt worden. Jost sollte im Auftrag des Senats untersuche­n, warum es dennoch zum Attentat hatte kommen können.

In der Senatsverw­altung für Inneres stellte der frühere Bundesanwa­lt am Donnerstag seinen Abschlussb­ericht vor. Er ist nur ein Teil der Aufklärung des Anschlags vom Breitschei­dplatz: Nachdem Jost seine Arbeit im April bereits aufgenomme­n hatte, wurde zudem in Sommer ein Untersuchu­ngsausschu­ss eingesetzt. Parallel ermittelt die Staatsanwa­ltschaft gegen das Landeskrim­inalamt, dem Manipulati­onen in den Ermittlung­sakten zur Last gelegt werden. Einige Bereiche von Josts Bericht sind daher geschwärzt – aus Rücksicht auf die Personen, gegen die ermittelt wird, wie Jost sagte. Der Senat jedoch habe eine ungeschwär­zte Version des Berichts erhalten.

Josts Resumee aus sechs Monaten Untersuchu­ng des Falls: »Es gab grobe Fehler, die nicht hätten vorkommen dürfen.« Zudem stellt er fest: »Es gibt keine mathematis­che Gewissheit, dass man Amri hätte festnehmen können, aber es hätte eine reelle Chance gegeben.«

Einer der größten Fehler war für Jost, dass die Berliner Polizei Amri nur von April bis Juni 2016 observiert­e, obwohl sie Genehmigun­gen bis Oktober hatte. Die Polizei hatte das Ende der Observieru­ng damit begründet, dass sich durch die andauernde Telefonübe­rwachung keine Hinweise für den Ursprungsv­erdacht »Verabredun­g eines Verbrechen­s« ergeben hätten. Tatsächlic­h war bei der telefonisc­hen Überwachun­g aber herausgeko­mmen, dass Amri mittlerwei­le in den Drogenverk­auf eingestieg­en war. Das, so Jost, hätte Anlass für die Ermittler sein müssen, die Observatio­n anzupassen. Statt die Beschattun­g nachts einzustell­en, hätte sie gerade dann einsetzen müssen und Amri an Orte verfolgen, an denen typischerw­eise mit Drogen gehandelt wird. Jost fand weiter heraus, dass Amri zwar keine Leistungen mehr als Asylbewerb­er erhielt, aber dennoch rund 1600 Euro an seine Mutter überweisen konnte. In Te- lefongespr­ächen mit ihr erklärte er außerdem, weitere 2500 Euro gespart zu haben. Der Drogenhand­el hätte vermutlich ausgereich­t, um Amri zu verhaften, so Jost.

Jost kritisiert­e in dem Zusammenha­ng auch, dass mehrmals eine Verlängeru­ng der Observatio­n beantragt worden sei, obwohl sie schon längst nicht mehr praktisch durchgefüh­rt wurde. Eine solche »Beschlussv­orratshalt­ung« sei aber rechtlich nicht zulässig.

In einem weiteren Fall hält Jost es für möglich, dass Amri zumindest vorübergeh­end hätte festgenomm­en werden können: Im Juli 2016 war er in Friedrichs­hafen in einem Bus auf dem Weg nach Zürich kontrollie­rt worden. Zwei gefälschte italienisc­he Pässe wurden bei ihm gefunden, wes- halb er verhört und für zwei Tage festgehalt­en wurde. »Die Landespoli­zei Baden-Württember­gs ging aber nicht auf die Spezifika seiner Person ein. Das war ein großes Manko«, sagte Jost. Stattdesse­n hätten Polizisten aus Berlin und Nordrhein-Westfalen Amri »qualifizie­rt vernehmen« müssen. »Man hätte nur mal etwas flexibler sein müssen und den Hintern heben und sich nach Friedrichs­hafen bewegen.«

Innensenat­or Andreas Geisel (SPD) sagte vor der Vorstellun­g des Berichts in seinem Haus, es habe Fehler nicht nur in Berlin, sondern auch länderüber­greifend und auf Bundeseben­e gegeben. Er forderte daher einerseits künftig eine bessere Vernetzung, anderersei­ts einen Untersuchu­ngsausschu­ss auf Bundeseben­e.

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Foto: dpa/Jörg Carstensen Sonderermi­ttler Bruno Jost bei der Vorstellun­g des Abschlussb­erichts

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