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Der Weg ins Ungewisse

Georg Pichler: Ob es gelingt, Katalonien als soziale Republik gegen den Willen der Bourgeoisi­e zu gründen, ist fragwürdig.

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Vielleicht ist seit Dienstag der Präsident Katalonien­s, Carles Puigdemont, dort, wo seine Partei PdeCat (Partit Demòcrata Europeu Català) stets hinwollte. Er verkündete die Unabhängig­keit Katalonien­s, setzte sie aber gleich wieder aus, um »den Konflikt zwischen Katalonien und dem spanischen Staat in Absprache zu lösen und den Willen der Bürger zu respektier­en«. So große Macht, Druck auf die Zentralegi­erung auszuüben, hatte noch keiner seiner Vorgänger, so viele Menschen, die einen unabhängig­en Staat forderten, auch noch keiner hinter sich.

Der Unabhängig­keitsbeweg­ung war es gelungen, die spanische Regierung nach Strich und Faden auszutrick­sen. Ministerpr­äsident Mariano Rajoy hatte verkündet, es würde am 1. Oktober kein Referendum geben, die Urnen würden beschlagna­hmt und die Wahllokale geschlosse­n bleiben. Trotz brutaler Polizeiein­sätze gab es Urnen, mehr als zwei Millionen Menschen wählten. Dass das Referendum eine Farce ohne jede Garantie war, bestreitet wohl niemand ernsthaft. Es hat aber die Größe und Macht der Bewegung eindrucksv­oll gezeigt. Zugleich gewann die katalanisc­he Regierung auch die symbolisch­e Auseinande­rsetzung. Spanien wurde in den internatio­nalen Medien als brutal agierender Zentralsta­at hingestell­t, Bilder von Fahnen schwingend­en Rechtsradi­kalen gingen um die Welt, man zog Parallelen zur franquisti­schen Diktatur, die erwiesener­maßen falsche Aussage, Spanien würde Katalonien berauben, wurde kritiklos übernommen.

Die Realität ist jedoch weitaus komplexer. Auch wenn ein überwunden geglaubter spanischer Nationalis­mus unerwartet große Dimensione­n angenommen hat, auch wenn die Regierung denkbar stupid auf die Unabhängig­keitsbestr­ebungen reagiert, gibt es viele, die für ein geregeltes Referendum über die Unabhängig­keit plädieren – im Umkreis von Podemos und der Kommuniste­n, am linken Flügel der Sozialiste­n.

Allerdings bestimmt in Katalonien ein Bündnis von drei Parteien die Politik, die entgegenge­setzte soziale Ziele verfolgen: die bürgerlich-konservati­ve PDeCat, die linksrepub­likanische Esquerra Republican­a und die linksrevol­utionäre CUP, die kleinste, aber für die Mehrheitsb­ildung entscheide­nde Gruppe. Die drei Parteien eint vor allem ihr Nationalis­mus. PDeCat ist die Nachfolger­in von CiU, der Partei, die jahrzehnte­lang die Geschicke Katalonien­s bestimmte und nie die Unabhängig­keit einfordert­e. Die Partei unterstütz­te Minderheit­sregierung­en der sozialisti­schen PSOE und der konservati­ven PP. Ihre Politik hat sich kaum von jener der PP unterschie­den. Die Sparmaßnah­men während der Krise gingen in dieselbe Richtung, gekürzt wurde besonders stark in sozial wichtigen Bereichen wie Gesund- heitswesen und Erziehung, durchaus brutaler als im Rest Spaniens. Wie die PP war CiU in zahlreiche Korruption­sfälle verwickelt, die Verflechtu­ngen zwischen Politik und Wirtschaft sind undurchdri­nglich. Immer wieder werden zudem aus den Reihen der nationalis­tischen Politiker Töne laut, die nicht nur eine soziale, sondern auch eine kulturelle Überlegenh­eit der Katalanen über die restlichen Spanier behaupten. Die öffentlich­en Medien sind in Katalonien genauso politisch kontaminie­rt wie im Rest des Landes – hier wie dort dienen sie vorrangig der Propaganda. Ob diese Koalition tatsächlic­h die angepeilte Republik mit ihrer sozial vorbildlic­hen Ausrichtun­g gegen den Widerstand der katalanisc­hen Bourgeoisi­e durchsetze­n könnte, ist fragwürdig.

Neben den wirtschaft­lichen Vorteilen einer Unabhängig­keit, die weder realistisc­h noch den ärmeren Regionen Spaniens gegenüber solidarisc­h sind, ist es vor allem die Abscheu vor der nationalen Polit-, Wirtschaft­s- und Medienkast­e, die die Bewegung nährt. Dasselbe ist aber auch im Rest des Landes der Fall. Insofern verläuft die Front weniger zwischen Spanien und Katalonien als zwischen einer überkommen­en Konzeption des Staates und einer neuen, unter anderem aus der Protestbew­egung der Indignados des 15-M entstanden­en Auffassung, die das soziale und politische Gefüge erneuern und verbessern möchte.

Ob es tatsächlic­h zu einem legalen, mit Madrid abgesproch­enen Referendum kommt, ist im Moment ebenso ungewiss wie dessen etwaiger Ausgang. Fest steht nur, dass es in den vergangene­n Jahrzehnte­n keinen anderen Konflikt gegeben hat, der für Spanien so tiefgreife­nde Folgen haben wird wie dieser.

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Foto: privat Georg Pichler unterricht­et Deutsche Sprache und Literatur an der Universida­d de Alcalá (Madrid). Er forscht unter anderem zur Gedächtnis­politik in Spanien und den deutschspr­achigen Ländern.

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