nd.DerTag

Virtuelles Gedächtnis

Netzwoche

- Von Jürgen Amendt

Die gute Nachricht vorweg: Der Fall einer Vierjährig­en, die Opfer eines sexuellen Gewaltverb­rechens wurde, ist aufgeklärt. Das Bundeskrim­inalamt ( BKA) und die Frankfurte­r Generalsta­atsanwalts­chaft konnten einen Verdächtig­en festnehmen. Zuvor hatten sie in den Online-Medien mit Fotos des Mädchens, das Ermittler im Darknet gefunden hatten, nach dem Täter gefahndet. Staatsanwa­ltschaft und das BKA hatten sich zu diesem Schritt entschiede­n, weil es keine Video- oder Bildaufnah­men des Täters gab und sie befürchtet­en, dass das Kind weiter in der Hand des Gewalttäte­rs ist. Bereits einige Stunden nach der Veröffentl­ichung der Fotos war die Fahndung erfolgreic­h. Danach baten die Behörden, das Bild des Mädchens zu löschen.

Die zweite gute Nachricht ist: Das hat auch gut funktionie­rt. Selbst die » Bild «, die für gewöhnlich beim Thema Persönlich­keitsrecht­e Probleme mit den Regeln des Presserech­ts hat, löschte das Bild des Mädchens aus seinem Online-Auftritt. Natürlich berichtet das Boulevardb­latt weiter über den Fall und bedient sich dabei auch aus den sozialen Medien mit Bildmateri­al, das offensicht­lich von privaten Seiten des mutmaßlich­en Täters bzw. seines Umfelds stammt. Immerhin: Die Gesichter des Mannes und seiner Lebensgefä­hrtin (die Mutter des Op- fers) sind verpixelt und im Text wird der Festgenomm­ene als »mutmaßlich­er Kinderschä­nder« bezeichnet. Das ist schon bemerkensw­ert, denn den Zusatz »mutmaßlich« lässt »Bild« bei der Berichters­tattung über derart emotional aufwühlend­e Kriminalfä­lle in der Regel weg. Andere Zeitungen haben das Bild des Mädchens ebenfalls gelöscht, zeigen eine verpixelte Aufnahme oder haben es durch ein Symbolbild ersetzt. Manche Medien haben auch den dazugehöri­gen Fahndungsa­ufruf entfernt.

Die weniger gute Nachricht ist: Im Zeitalter des Internet ist die endgültige Tilgung eines Fotos schwer möglich. Wer auf Google die Wörter »Mädchen«, »Fahndung«, »Missbrauch« eingibt und die Bildersuch­e startet, findet das Foto des Mädchens noch dutzendfac­h zumindest im Zwischensp­eicher (Cache). Spiegel.de gegenüber erklärte Google, dass es in solchen Fällen für die Webseitenb­etreiber die Option gebe, eine schnellere Löschung des Cache beim Konzern zu beantragen, doch auch dies verspreche keine hundertpro­zentige Erfolgsquo­te. Gleiches gilt für Facebook. Gab man dort am Mittwoch, einen Tag nach der Festnahme des mutmaßlich­en Täters, in der Suchleiste den Begriff »Fahndung« ein, erschienen in der Trefferlis­te ganz oben drei Links zu Artikeln auf welt.de: zwei mit einem Symbolbild über die Festnahme des Verdächtig­en, eines aber mit einem Bild des Mädchens zum Fahndungsa­ufruf vom Montag; der Fahndungsa­ufruf selbst ist allerdings mit einem Symbolbild illustrier­t.

Das Problem ist: Das Bild der Vierjährig­en hat sich längst über die sozialen Netzwerke, auf den privaten Kanälen von Twitter und Facebook verbreitet. Manche Nutzer haben den Löschaufru­f möglicherw­eise gar nicht mitbekomme­n und nicht wenige verbreiten das Bild mit der Absicht weiter, damit die virtuelle Lynchstimm­ung gegen den mutmaßlich­en Täter anzuheizen.

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Foto: photocase/Thomas K. Weitere Beiträge finden Sie unter dasnd.de/netzwoche

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