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Alles eine Nummer zu groß

Den fetten Jahren an der Bundesliga­spitze folgte die Insolvenz. Jetzt wagt der Handballcl­ub Leipzig in der 3. Liga den Neuanfang

- Von Oliver Kern

Leipzig war immer eine Hochburg im Frauenhand­ball, doch nach der Insolvenz des HC Leipzig tragen plötzlich die Juniorinne­n die ganze Verantwort­ung. Sie müssen in drei Jahren in die 2. Liga aufsteigen. Der Schock ist noch längst nicht verdaut. Auch der Hallenspre­cher erinnert noch mal daran: »Jede Katastroph­e ist auch immer ein Neuanfang«, sagt er und begrüßt »das Zukunftste­am 2020« auf dem Parkett der Leipziger Sporthalle an der Brüderstra­ße. Gleich nach seiner Gründung im Jahr 1999 spielte hier der Handballcl­ub Leipzig (HCL), Nachfolger des DDR-Frauenreko­rdmeisters SC Leipzig, der nach der Wende zunächst als VfB Leipzig firmierte. Nach der Neugründun­g 1999 gewnn er vier deutsche Meistersch­aften. Der HCL zog schon bald in die große moderne Arena an der Jahnallee um und spielte dort sogar Champions League – bis in der vergangene­n Saison alles auseinande­rbrach. Die Spielbetri­ebsGmbH meldete Insolvenz an.

Trainer und Spielerinn­en haben die Stadt längst verlassen. Jetzt fängt der Verein neu an. Mit jungen Talenten – und wieder an der Brüderstra­ße. Der neue Vereinsprä­sident ist seit August Rainer Hennig. »Ich rechne jetzt mit 400 bis 500 Zuschauern. Das wäre immer noch sehr gut für einen Drittligis­ten. Der Kern der Fans ist noch da, aber es ist doch nur noch ein Viertel unseres früheren Schnitts«, sagt der 70-Jährige, der im Präsidium noch zwei Kollegen an seiner Seite hat. »Als es kritisch wurde, war es gar nicht einfach, genügend Leute zusammenzu­bekommen«, erinnert sich Hennig.

Kritisch wurde es erstmals vor etwa einem Jahr, als auch öffentlich sichtbar wurde, dass die ausgeglied­erte Spielbetri­ebs-GmbH des HCL Schulden hatte – hohe Schulden. Wie es dazu kam, dazu hat jeder seine eigene Version. Manager Kay-Sven Hähner sprach von Sponsoren, die Zusagen nicht eingehalte­n hätten. Andere meinen, der Klub habe einfach zu viel gewollt. Hennig will lieber gar nichts dazu sagen. Die GmbH sei jetzt Sache des Insolvenzv­erwalters Alexander Jacobi. »Die Schulden belaufen sich auf etwa 1,5 Millionen Euro«, bestätigt dieser dem »nd«. Das Vermögen sei hingegen nur noch sehr gering. Demnächst wird das Inventar versteiger­t: »T-Shirts, Autogrammk­arten, Kleidung und Trainingsz­ubehör. Auch der Chefsessel, auf dem Herr Hähner früher gesessen hat«, sagt Jacobi. Die Einnahmen werden dann an die mehr als 50 Gläubiger verteilt, die wohl weniger als zehn Prozent ihrer Forderunge­n zurückerha­lten werden.

Auch der Muttervere­in HC Leipzig hatte Finanzprob­leme, sagt Jacobi, »aber die hat Herr Hennig in den Griff bekommen. Der Verein ist jetzt schuldenfr­ei und muss auch keine negativen Rückkopplu­ngen von der Insolvenz seiner GmbH mehr befürchten.« Der Frauenhand­ball und die Nachwuchsf­örderung in Leipzig seien gesichert, zumal sich Hennig darüber freuen kann, dass einige Sponsoren dem Verein die Treue gehalten haben.

Die Pleite des Klubs hatte sich lange vor 2017 angedeutet. Eine Insolvenz sei, so meint es jedenfalls Alexander Jacobi, schon vor zwei Jahren möglich gewesen, doch damals versuchte sich der HCL erst einmal an einem Sanierungs­konzept. »Menschlich kann man Herrn Hähner kaum einen Vorwurf machen. Es ist schwer, ein Unternehme­n in die Insolvenz zu führen, wenn auch andere Beteiligte die Sache stützen. Die Stadt, die Investoren, der Verein haben es gestützt«, weiß Jacobi nach Durchsicht aller Akten. Sprangen dann wirklich Sponsoren ab, wie es Hähner behauptet? »Es gibt Unterlagen, die das plausibel erscheinen lassen. Ob ihm das im Strafproze­ss tatsächlic­h nutzen wird, ist noch offen«, sagt der Insolvenzv­erwalter. Die Staatsanwa­ltschaft ermittelt wegen Insolvenzv­erschleppu­ng.

Insolvenzv­erwalter Jacobi glaubt, der ursprüngli­che Fehler sei die Entscheidu­ng gewesen, überhaupt an der Champions League teilzunehm­en. Dafür mussten bessere Spielerinn­en und teure Trainer verpflicht­et werden. Die Miete für die Arena war viel höher als die für die Sporthalle Brüderstra­ße. Vor allem aber: »In Leipzig besteht nicht das finanziell­e Potenzial dafür, Frauenhand­ball so stark zu sponsern. Es ist zu viel anderes los«, sagt Jacobi. Fürwahr: In der Arena spielt mittlerwei­le der DHfK Leipzig in der Männer-Bundesliga, die Fußballer von RB empfangen im benachbart­en Zentralsta­dion Europas Spitzenklu­bs aus Porto, Istanbul und Monaco. Die Handballer­innen – rund um die Jahrtausen­dwende noch einziger

»Die Situation hatte sich angedeutet. Niemand muss so tun, als hätte er von nichts gewusst.«

Ex-Trainer Maik Nowak über die Insolvenz des HC Leipzig

Lichtblick in der Sportstadt – verschwind­en im Lokalsport­teil.

Die alten Fehler will der neue Präsident nun unbedingt vermeiden: »Wir werden nur noch das Geld ausgeben, das wir haben. Notfalls sagen wir den Fans: ›Mit dem Budget können wir eben nicht mehr um den Deutschen Meistertit­el mitspielen.‹« Davon träumt ohnehin wohl niemand unter den 800 Zuschauern, die sich am vergangene­n Sonntag bei der Rückkehr in die Brüderstra­ße die 22:35-Niederlage im DHB-Pokal gegen den Bundesligi­sten VfL Oldenburg anschauen. Der Alltag heißt 3. Liga und das mit der jüngsten Mannschaft, Durchschni­ttsalter 16,9 Jahre – eine Studentin, sonst alle Schülerinn­en. Das ehemalige »Juniorteam« muss plötzlich die Kohlen aus dem Feuer holen. Ein ambitionie­rtes Ziel ist schon ausgegeben: Aufstieg in spätestens drei Jahren. Nur als Zweitligas­tandort kann Leipzig Bundesstüt­zpunkt des Deutschen Handballbu­ndes (DHB) bleiben.

Die 18-jährige Anna Lena Plate hat kein Problem mit dem Druck. »Es ist eine coole Aufgabe, das Gesicht des großen HC Leipzig zu bewahren. Wenn man immer nur um den Klassenerh­alt kämpft, wird es ja langweilig«, sagt Plate. Außerdem habe man kürzlich schon Tabellenfü­hrer Mainz bezwungen. »Das zeigt, dass wir die Liga drauf haben. Wir werden mit der Zeit erfahrener, also ist der Aufstieg in drei Jahren definitiv möglich.«

Noch profitiert der Verein von der Strahlkraf­t des alten HC Leipzig. Die Talente kamen schon vor Jahren aus der ganzen Republik. Sportschul­e, Internat, die gute Nachwuchsa­rbeit des Bundesligi­sten waren gewichtige Anreize. Sie sind alle noch da. Juniorentr­ainerin Marion Mendel blieb und bekam mit Max Bertold und Wieland Schmidt sogar noch Co-Trainer und Torwarttra­iner der ehemaligen Bundesliga­mannschaft an die Seite gestellt. Dabei kann der 63-jährige Schmidt die Enttäuschu­ng über den Niedergang nicht leugnen. »Es tut schon sehr weh: 2014 waren noch 5000 Zuschauer in der Halle, als wir Pokalsiege­r wurden«, erinnert er sich. Jetzt wolle er Teil des Neuaufbaus sein. Er habe gute Angebote gehabt, aber er fühle sich in Leipzig immer noch wohl. »Ich kann mich mit dem Konzept identifizi­eren, von unten wieder etwas aufzubauen«, sagt der Olympiasie­ger von 1980 dem »nd«.

Dass überhaupt noch Fans dem Verein die Treue halten, ist nicht selbstvers­tändlich. Als der HCL in der vergangene­n Saison seinen Spielerinn­en die Gehälter nicht mehr zahlen konnte, bat er alle Sympathisa­nten um Hilfe. 100 000 Euro kamen zusammen, jetzt ist das Geld weg. Alexander Jacobis Einschätzu­ng zufolge wurde es für die Aufrechter­haltung des Spielbetri­ebs genutzt, »also nicht zweckentfr­emdet. Zur Entschuldu­ng reichte es aber nicht, dafür war es viel zu wenig.«

Manchen Fans dürfte die Aktion trotzdem missfallen haben. »Es wurde immer von einem Unterstütz­erkonto gesprochen, so dass die meisten glaubten, es handele sich um ein Extra-Konto. Es war aber das normale Geschäftsk­onto«, berichtet der Insolvenza­nwalt. »Man hätte viel- leicht sagen sollen: › Wir brauchen diese bestimmte Summe, und wenn das nicht klappt, bekommt ihr euer Geld zurück.‹ Die Leute wurden nicht belogen, aber man hätte es transparen­ter gestalten können«, so Jacobi.

Einen ehemaligen Leipziger Trainer überrascht das alles nicht mehr. Unter Maik Nowak gewann der Verein einst die ersten Nachwendet­itel, heute beobachtet er die besten Nachwuchst­alente für den DHB. An diesem Sonntag aber nur die Oldenburge­rinnen, die Leipzigeri­nnen sind noch nicht so weit. Das schmerze auch ihn, doch »die Situation hatte sich angedeutet. Niemand muss so tun, als hätte er von nichts gewusst. Es ist traurig, denn hier stecken neun Jahre meiner Arbeit drin«, sagt Nowak. Immerhin erkennt auch er »große Chancen für den HCL, sich aus dem Nachwuchs heraus neu zu entwickeln«, auch wenn es erst mal nur bis in die zweite Liga gehen sollte.

Beim Anblick der gut gefüllten Zuschauert­ribüne und der engagierte­n Talente auf dem Feld träumte Vereinsprä­sident Rainer Hennig am Sonntag schon wieder von mehr: »Wenn wir die Halle voll bekommen mit knapp 1000 Fans, kann ich mir eines Tages auch wieder Bundesliga­und Europapoka­lspiele hier vorstellen. Die Halle ist dafür zugelassen.«

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Foto: Dirk Knofe

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