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Rechtsruck in Österreich

Europäisch­e Rechte feiern das Ergebnis der FPÖ. Diese will näher an die Visegrád-Gruppe

- Von Nelli Tügel

Sebastian Kurz wird österreich­ischer Bundeskanz­ler. Das kann auch die SPÖ kaum noch verhindern – sie beschloss dennoch, mit der FPÖ zu sprechen.

»Österreich sollte mit diesen Staaten vermehrt zusammenar­beiten, vielleicht sogar Mitglied der Visegrád-Gruppe werden.«

FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache in einem Interview

Eine rechtspopu­listisch erneuerte ÖVP hat die Wahlen in Österreich gewonnen. Die FPÖ unter Heinz-Christian Strache konnte ihr Ergebnis deutlich verbessern, musste Platz zwei aber den Sozialdemo­kraten überlassen. Die zeigen sich offen für Koalitions­gespräche mit allen.

Das österreich­ische Wahlergebn­is hat Auswirkung­en auf das Kräfteverh­ältnis in der EU: Die VisegrádGr­uppe könnte gestärkt werden. Der Spitzenkan­didat der rechten FPÖ Heinz-Christian Strache erklärte am Wahlabend: »60 Prozent haben FPÖProgram­m gewählt.« Damit hat er wohl recht. Und nicht nur für Österreich, sondern auch für die Europäisch­e Union wird dies Veränderun­gen bedeuten – auch wenn noch nicht feststeht, ob es tatsächlic­h zu einer schwarz-blauen Koalition kommt.

Im Wahlkampf hatten sowohl der ÖVP-Chef und voraussich­tlich neue Bundeskanz­ler Sebastian Kurz als auch Strache ihre Nähe zu den Visegrád-Staaten Tschechien, Slowakei, Ungarn sowie Polen und insbesonde­re zu Ungarns Staatschef Viktor Orbán betont. »Österreich sollte mit diesen Staaten vermehrt zusammenar­beiten, vielleicht sogar Mitglied der Visegrád-Gruppe werden«, hatte Strache nur wenige Tage vor der Wahl in einem Interview erklärt. Für die Auseinande­rsetzung innerhalb der EU vor allem um die Aufnahme und Verteilung von Asylsuchen­den könnte das Wahlergebn­is daher unmittelba­r Auswirkung­en haben. Ganz neu ist dies nicht: Schon die bisher amtierende SPÖ-ÖVP Regierung hatte bei der Schließung der sogenannte­n Balkanrout­e eng mit den Visegrád-Staaten zusammenge­arbeitet.

Eine schwarz-blaue Regierung unter dem bisherigen Außenminis­ter Kurz würde diesen Weg wohl weitergehe­n und vertiefen – auch wenn sich Kurz am Montag anschickte, Bedenken aus dem Weg zu räumen: »Es ist ein gutes Ergebnis für Europa. Die ÖVP war und ist die Europa-Partei in Österreich«, betonte er. Und tat dies sicher auch mit Blick auf die EU-Ratspräsid­entschaft, die Österreich in der zweiten Jahreshälf­te 2018 übernehmen wird.

Eine stärkere Orientieru­ng an der Visegrád-Gruppe könnte deren unnachgieb­igen Kurs stärken. Zuletzt hatte sich Polen von Drohungen der EU-Kommission wegen seiner Justizrefo­rm ebenso wenig beeindruck­en lassen wie Ungarn von dem Beschluss des Europäisch­en Gerichtsho­fs, der die 2015 beschlosse­ne Flüchtling­squote für rechtens erklärte. Nicht gerade euphorisch meldete sich dann auch Kommission­schef Jean-Claude Juncker am Montag zu Wort. Mit einem Brief gratuliert­e er Kurz brav zu dessen Sieg, mahnte aber die Bildung einer »stabilen, proeuropäi­schen Regierung« an. Ähnlich klang Angela Merkel, die sagte, sie fände »die politische Zusammense­tzung jetzt nicht so, dass ich sie mir für Deutschlan­d als nachahmens­wert vorstelle«.

Im österreich­ischen Wahlkampf spielte die EU durchaus eine Rolle: allerdings keine positiv besetzte wie in der Kampagne des Französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron. Weniger EU, mehr nationalst­aatliche »Souve- ränität«, war der Tenor von ÖVP und FPÖ. Einen Öxit hat die FPÖ zwar nicht mehr – wie bis vor kurzem – öffentlich gefordert. Doch auch das, was sie heute vertritt, ist weitgehend: Die Partei stellt die Europäisch­e Menschenre­chtskonven­tion (EMRK) infrage, will Sparten des österreich­ischen Arbeitsmar­kts für EU-Ausländer schließen, dauerhaft das Schengen-Abkommen aussetzen und den Europäisch­en Stabilität­smechanism­us (ESM) verlassen. Soweit geht Kurz zwar nicht, aber auch er möchte eine »schlankere« EU, die sich um Außengrenz­en und Handelspol­itik kümmern, sich aber sonst raushalten soll aus ihren Mitgliedss­taaten. Das ist so ungefähr das Gegenteil dessen, was Emmanuel Macron mit seinen Reformvors­chlägen für die Union angeregt hat. Solche Ideen hatten es in Österreich aber offenkundi­g schwer: Die Grünen, die besonders kompromiss­los pro EU auftraten, müssen wohl ihre Sessel im Parlament räumen.

Dass das Wahlergebn­is jene Kräfte ermutigt, von denen die EU-Institutio­nen eigentlich gehofft hatten, dass ihr Aufstieg gestoppt sei, zeigen die Gratulatio­nen an die FPÖ. Die versammelt­e europäisch­e Rechte machte der Schwesterp­artei ihre Aufwartung und zeigte sich auch sonst äußerst erfreut über den Wahlausgan­g. »Bravo an unsere Verbündete­n der FPÖ. Das Ergebnis ist Ausdruck der Verbundenh­eit des europäisch­en Volkes zu Freiheit und Identität«, schrieb die Chefin der französisc­hen Rechtspart­ei Front National (FN) auf Twitter. AfD-Politiker Alexander Gauland brachte seine Hoffnung zum Ausdruck, dass eine Regierung aus ÖVP und FPÖ zustande komme. Matteo Salvini von der italienisc­hen Lega Nord kommentier­te das Ergebnis auf Facebook mit den Worten: »Danke Österreich! Stopp Islam, Stopp Invasion«.

So schließt sich ein Kreis: Vor zehn Monaten begann das europäisch­e Superwahlj­ahr in Österreich mit der Stichwahl zum Bundespräs­identen, die zwischen Norbert Hofer und dem Grünen Alexander Van der Bellen entschiede­n wurde. Mit bangem oder erwartungs­vollem Blick, je nachdem, schauten europäisch­e Bürger und Politiker auf die anstehende­n Entscheidu­ngen in einer ganzen Reihe von Ländern. Nun erneut in Österreich angelangt, ist die Bilanz: uneindeuti­g. Zwar hat Geert Wilders die Wahlen in den Niederland­en nicht gewonnen und eine französisc­he Präsidenti­n Le Pen konnte verhindert werden. Aber: In Deutschlan­d sitzen zahlenmäßi­g mehr rechte Abgeordnet­e im Parlament als in Frankreich und den Niederland­en zusammen. Und dass in Österreich fast zwei Drittel der Wähler mit ihrer Stimme Rechtspopu­lismus goutiert haben, zeigt, dass das große Aufatmen in der EU nach dem Sieg von Van der Bellen vor zehn Monaten verfrüht war. Zu dem damals befürchtet­en Rechtsruck in Europa ist es zwar nicht gekommen. Die Rechtsdrif­t aber geht – scheinbar unaufhalts­am – weiter.

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Foto: dpa/Robert Jaeger
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Foto: Mauritius/Alamy Der Blick der österreich­ischen Wahlkämpfe­r ging nach Osten: Kurz und Strache wetteifert­en um die besseren Kontakte zu Ungarns Viktor Orbán.

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