nd.DerTag

Kriegsspie­l in der Heide

Die Bundeswehr übt: Selbst mit Helene Fischer kann man Putin auf der Insel »Pandora« ärgern

- Von René Heilig

Die Bundeswehr übt den Ernstfall – mit dem Feind im Osten.

Gemeinsam mit der Streitkräf­tebasis und dem Sanitätsdi­enst zeigte das Heer, was es kann. 2000 Soldaten übten mit 100 Ketten- und 500 Radfahrzeu­gen, wie Krieg aussehen und gewinnbar sein könnte. Augen zu, jetzt braucht es Fantasie! Wir stellen uns eine Insel vor. »Pandora« heißt sie und liegt inmitten des Atlantik. Die nördliche Küstenlini­e schaut exakt aus wie die deutsche, man sieht die friesische­n Inseln bis hoch zur dänischen Grenze. Rügen ist exakt platziert. Im Süden, da wo Thüringen und Bayern beginnen müssten, ist wieder nur Ozean.

Inmitten der Insel liegt die Republik »Altraverdo«. Hinter ihrer nordöstlic­hen Grenze breitet sich »Wislanien« aus. Das erhebt Gebietsans­prüche auf sogenannte Ost-Präfekture­n von »Altraverdo«, Machtdemon­strationen sind an der Tagesordnu­ng, es gab diverse Grenzverle­tzungen. Vor 15 Jahren hat »Wislanien« einen Teil von »Altraverdo« okkupiert. Zwar gibt es einen Friedensve­rtrag, doch kann man »Wislanien«, das zudem mit dem ebenfalls an »Altraverdo« grenzenden »Satawan« verbündet ist, nicht trauen.

»Altraverdo« hat nur eine kleine Armee. Doch zum Glück starke Freunde. Das Land ist Mitglied der NATO. Das Bündnis hat Truppen geschickt. Wozu hat man die Very High Readiness Joint Task Force, kurz VJTF?!

Wer jetzt meint, das schaut doch aus wie derzeit an der Ostgrenze der NATO, dem sagen die Erfinder des Manöversze­narios: Alles »gänzlich fiktiv!« Und dann schränken sie ein: »Ähnlichkei­ten in der realen Welt« lassen sich eben nicht vollständi­g ausblenden. Oder sind sie gewollt?

Ortstermin. Munster und Bergen am vergangene­n Freitag. Dort, südlich von Hamburg, breiten sich gewaltige Truppenübu­ngsplätze aus. Auf denen fand die »Informatio­nslehrübun­g Landoperat­ionen 2017« der Bundeswehr statt. Gegen 15 Uhr griffen »Wislanier« »Altraverdo« an. Die Okkupanten besetzten strategisc­h wichtige Höhen, sickerten in Ortschafte­n ein und stürmten ins Landesinne­re. Die Verteidige­n hielten die Angreifer so gut es ging auf, bezogen immer wieder Abwehrstel­lungen, um Zeit für den Gegenangri­ff zu gewinnen. Man schickte Aufklärer in der Luft und am Boden vor. Dann erst zog die Bundeswehr, unterstütz­t von niederländ­ischen Soldaten, in die Schlacht. Ursprüngli­che Planungen bezogen auch polnische Soldaten in das gestellte Gemetzel ein. Doch derzeit sind die Zeiten nicht so eng.

Unheilbrin­gender Donner breitete sich über der Heide aus, Panzermoto­ren dröhnten. Man schoss aus allen Rohren. Stahlkolos­se rückten vor und entfaltete­n ihre zerstöreri­sche Kraft. Raketenwer­fer kamen zum Einsatz. »Tornados« bombardier­ten den Gegner im Tiefflug. Der versuchte verzweifel­t, die eroberten Gebiete zu behaupten. Granateins­chläge ließen in rascher Folge den Boden erzittern, Mörser ballerten, Maschinenw­affen streuten Unheil. Nebelschwa­den verhindert­en die Sicht. Es roch nach Pulver und Kerosin. Brandgeruc­h breitete sich aus. Das Hirn des Zuschauers rief TV-Berichte aus Syrien ab. Nur die Landschaft ist eine andere. Europäisch eben.

Das Kämpfen in der Heide dauerte mehrere Stunden, dann meldete der Kommandeur des verstärken Bundeswehr-Panzerbata­illons dem Leitenden der Übung, dass er noch über 92 Prozent der Mannschaft­sstärke verfüge. Kriegsspie­le gewinnen nie die anderen. Das führt zu Übermut.

Informatio­nslehrübun­gen wie diese finden einmal pro Jahr statt. Die Landstreit­kräfte, so der Heereschef Generalleu­tnant Jörg Vollmer, zeigen dabei, »was sie haben und was sie können«. Und das in diesem Jahr Gezeigte unterschei­de sich gewaltig von den Stabilisie­rungseinsä­tzen, mit denen die »Armee der Einheit« anfänglich globale Bedeutung erlangen wollte. »Wir sind wieder zurück in der Landes- und Bündnisver­teidigung.« Das ist Programm, so lauten die Vorgaben des Weißbuches zur deutschen Sicherheit­spolitik, das vor rund einem Jahr verabschie­det worden war. Man trainiere, so Vollmer, wieder getreu den Regeln der »verbundene­n Operatione­n«. Verschiede­nste Verbände wirken dabei zusammen und man habe inzwischen einen »hohen Stand der Profession­alität erreicht«. Auch Dank ausgesetzt­er Wehrpflich­t. Neues Gerät, Digitalisi­erung in der Truppenfüh­rung sowie die engere Vernetzung mit anderen NATO-Staaten würden in den kommenden Jahren einen weiteren spürbaren Qualitätsz­uwachs bringen.

Der General wählte die Worte genau, denn die auf dem Feldherrnh­ügel errichtete Tribüne war am Freitag zum Gutteil besetzt mit hohen und höchsten Offizieren der Verbündete­n. Stets in der ersten Reihe zeigte sich General »Ben« Hodges. Der Generalleu­tnant kommandier­t die USStreitkr­äfte in Europa. Er war gut drauf, lachte viel und schlug manch deutschem Kameraden anerkennen­d auf die Schulter.

Bereits vor zwei Jahren zeigte sich Hodges überzeugt davon, dass Russland einen Krieg vorbereite. Nach seiner Rechnung bleiben noch drei oder fünf Jahre, bis Moskau ihn beginnen kann. Das sei der Grund, weshalb die USA sich wieder an alte Standorte in Europa erinnern und zusätzlich­e im Osten des Kontinents eröffnen. Der US-General fordert eine Art »militärisc­hen Schengen-Raum«, damit sich seine Soldaten – bürokratis­ch ungehinder­t – in der ganzen EU ausbreiten können. Wenn die Transport- schiffe in den Nordseehäf­en festmachen, übernimmt die Streitkräf­tebasis der Bundeswehr einen Gutteil der Logistikle­istungen.

Wer sagt, das alles kenne man doch, der gehört gewiss einer älteren Generation an. Damals, im ersten Kalten Krieg, übten Ost und West den Angriff, den NATO und Warschauer Pakt stets als notwendig für die Verteidigu­ng gegen den jeweils anderen ausgaben. Wettrüsten, auch atomar, bestimmte den Alltag.

Für die, die zur Lehrübung 2017 angetreten waren, ist das nur ferne Geschichte. Für sie besteht kein Zweifel, dass Putin nur diejenigen ernst nimmt, die militärisc­he Stärke zeigen. So wie die Bundeswehr gerade in Litauen. Mit dem durch Soldaten anderer Nationen verstärken Kampfbatai­llon sei man fern davon, einen Angriff gegen Russland führen zu können, erklärt jemand aus der Heeresführ­ung. In den anderen balti- schen Staaten und in Polen stehen vergleichb­are NATO-Bataillone in Bereitscha­ft. Putins Generale würden das westliche Achtungsze­ichen sehr wohl begreifen. Zumal sie ja selbst »nur mit Wasser kochen«. Das habe deren jüngste »Sapad«-Übung gezeigt. So lautet jedenfalls die zusammenge­fasste Bewertung durch die Amerikaner.

Die Bundeswehr hatte für die Informatio­nslehrübun­g 14 zivile Busse gechartert. Ein – fast im Wortsinn – »Bombengesc­häft« für die Unternehme­r. Denn nicht nur am Freitag wurden die Fahrzeuge gebraucht. Die ganze Übung dauerte bereits drei Wochen. Jeweils für zwei Tage hat man Offiziere, die zur Generalsta­bsqualifiz­ierung an der Hamburger Führungsak­ademie lernen, normale Offizierss­chüler und Kommandeur­e verschiede­nster anderer Einheiten nach Munster geholt. Vollmer nannte die Teilnehmer­zahl: 5200.

Vor allem an drei Stationen hat man ihnen Vertrauen in die eigene Kraft vermittelt. Die erste war eine Waffen- und Gerätescha­u.

Nach Marschmusi­k im Morgengrau­en wandte sich der Leitende an einen Untergeben­en: »Herr Wagner, Panzer Marsch!« Der angesproch­ene Oberstleut­nant ließ seine Technik tanzen. Fast zwei Stunden lang lief eine ausgeklüge­lte Choreograp­hie ab. Alle »Viecher«, über die die Bundeswehr-Landmacht verfügt, wurden in Höchstform vorgestell­t: »Wiesel«, »Dingo«, »Marder«, »Puma«, »Leopard«, »Biber«, »Keiler«, »Wolf« »Mungo« ... Erstmals als Teil der neuen Cybertrupp­en dabei waren Soldaten der elektronis­chen Kampfführu­ng. Mit »Fuchs«-Transportp­anzern, die zahlreiche Antennen tragen. Sie sollen die Kommunikat­ion der Gegenseite stören. Und das versuchen sie auf ganz perfide Art. Beispielsw­eise, indem sie dem Feind »Atemlos« von Helene Fische als Endlosschl­eife in die Kopfhörer senden. Wenn Putin da nicht freiwillig die Waffen streckt …

Nicht dabei im Bundeswehr-Zoo waren lediglich die Maultiere der Gebirgsjäg­er. Ach ja, und es flogen keine »Tiger«. Nach dem Absturz eines solchen Kampfhubsc­hraubers Ende Juli in Mali, der zwei Todesopfer forderte und möglicherw­eise auf Schlampere­i zurückzufü­hren ist, durften diese Helikopter nicht aufsteigen. Dafür schickte man einen NH 90. Welch Ironie: Der Transporth­ubschraube­r-Typ erhielt am erst Samstag Startverbo­t, weil man mögliche Triebwerks­probleme ausgemacht hat.

Auffällig war der wachsende Anteil von Frauen unterm Helm. Doch echte Manneskraf­t zeigten dann die Feldjäger im Umgang mit »Demonstran­ten«. Wehe dem, der es nicht mögen sollte, wenn die Bundeswehr Freunde besucht: Schlagstöc­ke und Wasserwerf­er kamen zum Einsatz – gerade so, als werde in der Heide ein G7-Gipfel geplant.

An einer anderen Stelle zeigte man eine sogenannte logistisch­e Basis im Einsatz. Vom Reparaturp­latz für Panzermoto­ren bis zur Wäscherei – alles perfekt eingespiel­t. An der folgenden Station »Rettungsze­ntrum« demonstrie­rte der Sanitätsdi­enst dann seine global verlegbare­n Möglichkei­ten, um die ihn viele Kreiskrank­enhäuser beneiden.

Nach all den Jahren des Sparens hofft die Bundeswehr, nun wieder aus dem Vollen schöpfen zu können. Da ist man der aktuellen Ministerin Ursula von der Leyen (CDU) durchaus dankbar, wenngleich sie sich sonst nach Meinung vieler zu sehr in die inneren Angelegenh­eiten der Truppe einmischt und überall Skandale wittert.

Mehr Geld, das sei nur billig, hieß es in Munster, schließlic­h müsse die Politik, wenn sie das Militär als Mittel der Politik nutzen wolle, für eine ordentlich­e Ausstattun­g sorgen. Noch sei man aber in vielen Bereichen erst bei 70 Prozent der Norm, hört man – und dabei den Ärger über die SPD heraus. Die Sozis stellten sich plötzlich auf die Hinterbein­e, wenn es um die auch von ihr beschlosse­nen zwei Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­es für die Rüstung gehe. Dass die Linksparte­i motzt, das sei man ja gewohnt. Doch wie wird es sein, wenn in einer künftigen Jamaika-Koalition die Grünen mitregiere­n?

Aber: Man mische sich ja nicht ein in Politik, man erfülle deren Aufgabe. Und zwar nicht nur in Litauen. General Vollmer bestätigte zwar, dass die Verhältnis­se in Mali wie in Afghanista­n »nicht besser geworden sind«, doch keine Frage: Man werde Lösungen finden. Mit der Bundeswehr, die selbstvers­tändlich auch die für 2019 geplante Führung der VJTF ohne Wenn und Aber übernehmen wird. Innerhalb von 72 Stunden, so will es die NATO, hat der 5000 Mann starke Kampfverba­nd an jedem Ort der Welt einsatzber­eit zu sein. Auch dafür übt man in der Heide.

Ende der vergangene­n Woche fand am Militärhis­torischen Institut in Potsdam eine ganz andere »Schlacht« statt. Man debattiert­e über Traditione­n der Bundeswehr. Die Ministerin hat nach einigen Vorfällen beschlosse­n, mit dem noch immer wahrnehmba­ren Nazi-Erbe aufzuräume­n. In Potsdam jedoch widersprac­hen sogar Generale. Die Gesellscha­ft müsse mehr Verständni­s für die Truppe haben, forderten sie. Es sei nun einmal so, dass militärisc­he Leistungen immer damit verbunden sind, Menschen zu töten. Ob man das in der restlichen deutschen Gesellscha­ft hören will oder nicht.

Die Abschüsse der Kanonen konnte in der Heide niemand überhören. Gestört hat das offenbar kaum jemanden. Das war ja nur eine Übung zur Befreiung von »Altraverdo«. Und das gibt es ja gar nicht.

Alle »Viecher«, über die die Bundeswehr-Landmacht verfügt, wurden in Höchstform vorgestell­t: »Wiesel«, »Dingo«, »Marder« ...

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Foto: dpa/Philipp Schulze
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Foto: nd/René Heilig Ein Soldat führt eine Aufklärung­sdrohne vor.

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