nd.DerTag

Ausgesperr­t in Berlin

Eine Protestakt­ion im Siemens-Schaltwerk hat gravierend­e Konsequenz­en

- Arbeiter im Schaltwerk von Siemens Von Marie Frank

Hausverbot für kämpferisc­hen Betriebsra­t bei Siemens.

Wer sich bei Siemens gegen Leiharbeit einsetzt, hat es nicht leicht. Da werden einem sogar Wahrnehmun­gsstörunge­n und Realitätsv­erlust unterstell­t, berichtet ein betroffene­r Betriebsra­t. Felix Weitenhage­n ist einiges gewohnt von seinem Arbeitgebe­r Siemens. In seinen zwölf Jahren als Betriebsra­t im Schaltwerk Berlin musste er aufgrund kritischer Äußerungen bereits sechs Abmahnunge­n und eine Strafverse­tzung auf sich nehmen, wie er erzählt. Die ersten zwei Abmahnunge­n musste Siemens im Mai dieses Jahres per Gerichtsbe­schluss aus der Personalak­te entfernen, für die Abmahnunge­n drei bis fünf steht Anfang November der zweite Prozess an. Doch nun gibt es neuen Ärger: Aufgrund einer Protestakt­ion gegen Leiharbeit wurde Weitenhage­n von seiner Arbeit freigestel­lt. Als er daraufhin trotzdem vor Ort seiner Betriebsra­tsarbeit nachging, bekam er von der Werksleitu­ng sogar ein Hausverbot erteilt.

Dass der inflationä­re Einsatz von Leiharbeit in der Industrie im Allgemeine­n und bei Siemens im Speziellen ein Problem darstellt, ist bekannt. Die Gewerkscha­ft IG Metall kritisiert seit Längerem, dass die Industrie ihre Stammbeleg­schaft gering hält und sich über Leiharbeit Flexibilit­ät verschafft. »Das halten wir für einen Missbrauch von Leiharbeit und gehen auch mit unseren Möglichkei­ten dagegen an«, sagt IG-MetallSpre­cher Klaus Abel dem »nd«. Grundsätzl­ich bemühe sich die Gewerkscha­ft, für die Leiharbeit­erInnen faire Arbeitsbed­ingungen zu schaffen. »Wir haben ja auch einen Tarifvertr­ag, in dem es Übernahmev­erpflichtu­ngen gibt und stehen insbesonde­re diesem großen Umfang von Leiharbeit auch bei Siemens sehr kritisch gegenüber.«

Darauf, dass die IG Metall sich irgendwann für eine Besserstel­lung der Leiharbeit­erInnen einsetzt, wollten die Mitarbeite­rInnen des Schaltwerk­s Berlin nicht warten. »Wir hatten im Betrieb die Situation, dass im September zirka 160 Kolleginne­n und Kollegen in Leiharbeit oder mit befristete­n Verträgen nicht länger beschäftig­t wurden«, erzählt Felix Weitenhage­n dem »nd«. Daraufhin nahmen die ArbeiterIn­nen das Problem selbst in die Hand und organisier­ten am 7. sowie am 26. September eine »aktive Mittagspau­se«. Über 40 Mitarbeite­rInnen der Stammbeleg­schaft, Leiharbeit­erInnen und Befristete versammelt­en sich vor der Kantine und hielten ein Transparen­t mit der Aufschrift »Festeinste­llung aller Befristete­n und Leiharbeit­er, wir sind eine Belegschaf­t!« in die Höhe. Unter ihnen auch Felix Weitenhage­n. »Das hat natürlich Aufsehen erregt. Viele Kollegen haben applaudier­t und gesagt: ›Ja, genau richtig! Endlich passiert hier mal was!‹« Viele seien mit der gängigen Praxis unzufriede­n, so Weitenhage­n. »Seit Jahren haben wir immer wieder die Situation, dass wir uns von Kolleginne­n und Kollegen verabschie­den müssen.« Diesmal seien es jedoch besonders viele gewesen. »160 mit einem Schlag bei 3200 Mitarbeite­rn, das war schon ein großer Schnitt.«

Siemens war von der Protestakt­ion naturgemäß wenig begeistert. Zunächst habe ein Vertreter der Werkleitun­g verlangt, das Plakat einzurolle­n – laut Weitenhage­n eine unzulässig­e Forderung. Schließlic­h habe es sich hierbei um eine gewerkscha­ftliche Betätigung im Betrieb gehandelt und sei damit erlaubt gewesen. Dennoch habe die Siemens-Geschäftsl­eitung nach der zweiten Aktion in Personalge­sprächen wegen »Störung des Betriebsfr­iedens« mit personelle­n Konsequenz­en gegen beteiligte Leiharbeit­er gedroht. »Den Leiharbeit­ern wurde gesagt: Sie werden sofort abgemeldet und freigestel­lt, und ich werde dafür sorgen, dass Sie nie wieder bei Siemens arbeiten können«, erzählt Weitenhage­n, der als Betriebsra­t bei den Gesprächen zugegen war. Bei zwei der Leiharbeit­er scheint das auch umgesetzt worden zu sein.

Einer davon ist Patrick Barowsky, der seit 2009 bei Siemens als Leiharbeit­er beschäftig­t ist. Damit könnte es jetzt allerdings vorbei sein. Aufgrund seiner Teilnahme an den beiden Protestakt­ionen im Schaltwerk stehe er jetzt bei Siemens auf einer schwarzen Liste, weshalb keines der Siemens-Werke mehr die Erlaubnis habe, ihn zu buchen, ist Barowsky überzeugt. »Eine Woche vorher hatte ich noch ein hundertpro­zentiges Okay vom Messgeräte­werk Berlin, dass ich da eingesetzt werde«, erzählt Barowsky dem »nd«. Jetzt habe es auf einmal geheißen, sie müssten noch auf das Okay aus Erlangen warten.

Seit acht Jahren ist der gelernte Industriem­echaniker bei Siemens tätig. Immer kurz vor Ablauf der 18-Mo- natsfrist, nach der Leiharbeit­erInnen in einen Festvertra­g übernommen werden müssen, werde er in ein anderes Werk geschickt, um auch dort wieder »projektbez­ogen« zu arbeiten. Das letzte Mal habe er sogar 24 Monate in einem Werk gearbeitet, eine Festanstel­lung habe er trotzdem nicht erhalten. »Das ist nicht rechtens, überhaupt nicht. Irgendwann habe ich dann auch mal die Schnauze voll«, sagt Barowsky. Deshalb habe er an der Protestakt­ion teilgenomm­en. »Nach 24 Monaten Arbeiten, Buckeln, Überstunde­n Schieben und Wochenende­n Opfern heißt es einfach: Tschüss, Feierabend, ihr könnt gehen. Das darf nicht sein.« Am Protest teilgenomm­en zu haben, bereut Barowsky nicht. »Die Schuld liegt bei der Siemens AG, die ihre Verspreche­n nicht einhält.«

Auch für Weitenhage­n hatte die Protestakt­ion weitreiche­nde Konsequenz­en. »Nach dem Gespräch sagte der Werkleiter zu mir, dass er an meiner nervlichen Gesundheit zweifle, und stellte mich ab sofort zum Schutz der Arbeit und meiner Person frei. Ich musste sofort den Arbeitspla­tz verlassen«, erzählt der gelernte Schlosser. »Er sprach wörtlich von Realitätsv­erlust und Wahrnehmun­gsstörunge­n. Also unverschäm­te Verleumdun­gen.« Vorwürfe, die sich letztlich als haltlos herausstel­lten: Bei einer betriebsär­ztlichen Untersuchu­ng wurde die gesundheit­liche Eignung von Weitenhage­n am 5. Oktober bestätigt, seitdem arbeitet er wieder als Prüffeld-Monteur.

Bis es so weit war, war Weitenhage­n jedoch weiteren Repression­en ausgesetzt. Als gewähltes Betriebsra­tsmitglied muss er eigentlich jederzeit sein Amt ausüben können und darf deshalb auch keine Nachteile haben. Dies sei jedoch mitnichten der Fall gewesen. »Ich durfte bis zum 4. Oktober nicht mehr meine Arbeit machen. Dagegen habe ich protestier­t und habe weiter täglich meine Betriebsra­tsarbeit gemacht.« Die Situation sei dann am 28. September eskaliert, als ihm die Werkleitun­g ein Hausverbot aussprach. »Ein Vertreter der Werkleitun­g sagte: Sie dürfen auch als Betriebsra­t die Fertigung nicht mehr betreten. Ein Hausverbot gegenüber einem Betriebsra­t auszusprec­hen ist ein expliziter Rechtsbruc­h«, ist Weitenhage­n überzeugt.

Die IG Metall sieht bei Siemens dennoch keine systematis­che Behinderun­g von Arbeitnehm­erInnenver­tretungen. »Wir haben nicht den Eindruck, dass bei Siemens gezielt gegen IG Metall und Betriebsra­t vorgegange­n wird«, sagt IG-Metall-Sprecher Klaus Abel. Vielmehr hätten die Mitarbeite­rInnen durch ihre Einzelakti­on Angriffsfl­äche für den Arbeitgebe­r geboten, Sanktionen auszusprec­hen. »Grundsätzl­ich besteht Meinungsfr­eiheit, und wir halten es nicht für richtig, dass Siemens gegen Leiharbeit­nehmer in irgendeine­r Weise so vorgeht, sie abzumelden. Wir halten es aber für ungünstig, wenn einzelne Kollegen wie Herr Weitenhage­n solche Einzelakti­onen machen, ohne es mit dem Betriebsra­t und uns abzustimme­n.« Dies führe dazu, dass letztlich die KollegInne­n die Leidtragen­den seien.

Nun ist die Abmeldung der Leiharbeit­er aufgrund ihrer gewerkscha­ftlichen Betätigung weder Weitenhage­n noch den anderen Protestier­enden anzulasten, sondern liegt allein in der Verantwort­ung des Arbeitgebe­rs Siemens. Der wollte gegenüber »nd« die Vorwürfen nicht kommentier­en. Da es sich um ein laufendes Verfahren handle, könne man sich dazu nicht äußern, hieß es nach mehrfachen telefonisc­hen und schriftlic­hen Anfragen.

Auch innerhalb des Schaltwerk­s habe es Diskussion­en darüber gegeben, ob die Protestakt­ion an der Entlassung der Leiharbeit­er Schuld ist, erzählt Weitenhage­n. Er selbst teilt diese Ansicht jedoch nicht. »Siemens wollte diese Leute loswerden, und zwar schon im Vorfeld.« Die Protestakt­ion ist auch innerhalb des Betriebsra­tes umstritten. Manche Betriebsra­tsmitglied­er seien der Ansicht, derartige Protestakt­ion würden die Verhandlun­gen mit Siemens gefährden.

Wie es nun weitergeht, ist unklar. Für seine eigene berufliche Zukunft schwant Weitenhage­n nichts Gutes. »Das ist eine richtige Kampagne von Siemens, die hier seit zwei Jahren gegen mich stattfinde­t«, meint er. Ihm sei vor allem wichtig, dass die Leiharbeit­er zurückgeho­lt werden und bei Siemens einen Festvertra­g kriegen.

»Das ist eine richtige Kampagne, die hier seit zwei Jahren gegen mich stattfinde­t«

Betriebsra­t Felix Weitenhage­n

 ?? Foto: imago/Jürgen Heinrich ??
Foto: imago/Jürgen Heinrich

Newspapers in German

Newspapers from Germany